Der „Elite“ dämmert es langsam: Die Vielfalt der täglichen Beschwerden ambulanter Patienten durch eine zersplitterte Truppe von Organspezialisten unsortiert und ohne Generalisten behandeln zu wollen, ist unbezahlbar. So werden die Architekten der hausärztlichen Nachwuchs-Misere nervös, und als Problemlösung kommt wieder Marketing-Sprech aus der gleichen Werbeagentur, die bislang die Alternativlosigkeit der Hausarztdiskriminierung verkaufte.
Momentan ertönt tinnitusartig das Mantra vom emotionalen Mehrwert beglückender, lebenslänglicher Arzt-Patienten-Beziehungen, die für alle finanziellen Nachteile und die deprofessionalisierenden hausärztlichen Arbeitsbedingungen entschädigten. Man hofft, die Studenten sprängen scharenweise in dieses warme Schmalzbad. Tun sie aber nicht. Nirgendwo. Und warum nicht? Die Verhaltensökonomik gibt die Antwort: Wegen einer angeborenen Verlustaversion schmerzen den normalen Menschen zehn Euro Verlust mehr, als ihn 30 Euro Gewinn freuen. Paart man dieses Wissen mit den rührenden Ergebnissen der Micky-Maus-Studie des „Normenkontrollrates“ zur Bürokratiebelastung, hat man die Erklärung.
Dieses aufrechte Fähnlein Faselschweif verkündete, Überweisungen, Kassenanfragen, AU-Bescheinigungen, REHA-Anträge etc. beanspruchten in der Praxis „im Durchschnitt“ 96 (!) Arbeitstage jährlich. Kodierung und DMP-Bögen, erfunden zum Betrieb eines aberwitzig irrationalen „Risikostrukturausgleichs“ – wurden als sakrosankt ausgespart, denn Sie sind Lebensgrundlage eines wuchernden Kassendschungels, Habitat zahlloser höchstbezahlter Funktionäre mit komfortablem Auskommen als Papiertiger. Als Problemlösung empfiehlt man eine Reduzierung der Formularzahl. Das reduziert jedoch überhaupt nicht die Arbeit, sie alle zu befüllen.
Wie immer beschönigen die Durchschnittswerte, dass die Hausärzte eine Hauptlast tragen und mit diesem Papierverbrauch eine Hauptstütze der Holz verarbeitenden Industrie sind. Ärzte müssen nach (mindestens) sechs Jahren Studium der spannenden, teilweise sogar wissenschaftlichen Medizin wählen: Die medizinischen Kenntnisse gut bezahlt und prestigeträchtig in überschaubaren Facharztbereichen anwenden, oder als Hausarzt dieser Bezahlung und dieses Prestiges entraten und sich von präpotenten Assistenzärzten oder noch ahnungsloseren „Kassen-Qualitätsmanagern“ drängen lassen, jeden Hypertoniker „kardiologisch anzubinden“. Das schafft Zeit für hochqualifiziertes Papier-“Management“. Kahneman bekam den Nobelpreis für die Erkenntnis, dass das diametral dem verhaltensökonomischen Grundgesetz der „Verlustaversion“ widerspricht. Es funktioniert nur mit vorgehaltener Pistole, oder bei den seltenen Ärztinnen und Ärzten ohne andere Wahl.
Freiwillig könnte es funktionieren bei prestigeträchtiger Bezahlung dieses „Patienten-Managements“. Die kann ruhig daher rühren, dass man das Ausfüllen jedes, aber auch wirklich jedes Formulars mit mindestens dem gleichen Betrag außerhalb der MGV entgilt, das jeder Notar für die banale Beglaubigung einer Unterschrift bekommt.