Bis heute befassen sich viele Praxen mit Fehlern erst dann, wenn sie schon passiert sind und zu Ärger oder Schäden geführt haben. Dann wird in der Regel nach einem Schuldigen gesucht, der verantwortlich gemacht werden kann. Dass so kein offenes und lösungsorientiertes Diskussionsklima entstehen kann, ist offensichtlich.
Fehler, die das Wohlergehen des Patienten in der Hausarztpraxis bedrohen, entstehen jedoch seltener durch mangelhafte Kenntnisse oder Fertigkeiten der Ärzte oder MFAs, sondern meist durch Fehler im Arbeitsablauf und durch Defizite in der Kommunikation der Teammitglieder untereinander. Darauf haben Studien schon vor Jahren hingewiesen. Jetzt hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss reagiert und in seiner aktuellen Version der Qualitätsmanagement-Richtlinie 2014 das Risiko- und Fehlermanagement als ein Instrument des einrichtungsinternen Qualitätsmanagements in der Arztpraxis explizit festgelegt (siehe Abb. 1 auf der nächsten Seite).
Fehlerkette durchbrechen
Fehler entstehen in der Regel als Folge einzelner, nicht adäquat durchgeführter Handlungsschritte – sie sind das Ergebnis einer Fehlerkette. Ein einfaches Beispiel, das vermutlich schon in jeder Praxis einmal aufgetreten ist, kann das verdeutlichen:
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Bei der Rezeptschreibung an der Anmeldung verwechselt die MFA ein Medikament (Sie schreibt einen höher dosierten Blutdrucksenker auf, den der Patient früher einmal hatte).
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Der Arzt unterschreibt „zwischendurch“, ohne das Rezept genauer zu prüfen.
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Der Apotheker gibt das Medikament ab, obwohl er feststellt, dass dieses schon lange nicht mehr verordnet wurde.
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Der Patient fragt nicht weiter nach („Der Doktor hat bisher immer das Richtige aufgeschrieben“) und nimmt ein falsches Medikament ein, das ihm möglicherweise schadet.
Auf allen vier beschriebenen Ebenen hätte die Fehlerkette problemlos durchbrochen werden können, wenn der jeweilige Akteur seine Verantwortung wahrgenommen hätte – unterstützt durch festgelegte „ Sicherheitsabläufe “, die beispielsweise so aussehen könnten:
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Die MFA überprüft die Verordnung noch einmal anhand der Medikamenten-Dokumentation in der Praxis-EDV bzw. fragt beim Patienten und beim Arzt nach.
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Der Arzt unterschreibt nur, wenn er die Patientendaten an seinem Arbeitsplatz in der Praxis-EDV einsehen kann, und nicht im Beisein eines anderen Patienten.
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Der Apotheker fragt telefonisch in der Praxis nach, unter Hinweis auf das lange verordnungsfreie Intervall.
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Der Patient fragt ebenfalls in der Praxis nach – denn er ist instruiert, sich stets zu melden, wenn irgendetwas unklar ist.
Kommunikation verbessern
An einem anderen Beispiel möchte ich erläutern, wie wichtig eine gute Kommunikation und klar definierte Abläufe im Praxisteam für das Wohlergehen des Patienten sein können: An einem hektischen Morgen ruft gegen 8.30 Uhr eine Pflegerin aus dem nahe gelegenen Pflegeheim an: Frau S, eine 85-jährige langjährige Patientin mit bekanntem Diabetes, KHK und Z. n. Beinvenenthrombose, fühle sich schwach und könne nicht aufstehen. Die Auszubildende am Telefon bittet die Pflegerin, mittags während der Telefonsprechstunde direkt mit dem Arzt über den gewünschten Hausbesuch zu sprechen. Beim Hausbesuch in der Mittagspause findet sich bei Frau S. ein Schlaganfall mit Halbseitenlähmung.
In diesem Fall haben offensichtlich klare Ablauf anweisungen gefehlt (oder sie wurden nicht beachtet), was dazu führte, dass wichtige Informationen nicht zeitnah überprüft und weiter geleitet wurden und ein Patient Schaden nahm. Einen solchen Fall sollte man unbedingt auch positiv nutzen, um in der Teambesprechung Richtlinien festzulegen, wie ein Notfall am Telefon erkannt werden kann und wie mit ihm umzugehen ist.
Neue Fehlerkultur etablieren
Dass Fehler passieren, ist normal – nicht normal ist es, sie nicht zu nutzen: Fehlerbegünstigende Strukturen und Abläufe in der Praxis sollten im Team analysiert und durch bessere ersetzt werden. Das kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alles in der Teambesprechung gemeinsam erarbeitet und konsentiert wurde. Ein Fehler ist für jede, auch für die gut funktionierende Praxis, eine Chance noch besser zu werden.
Patienten einbeziehen
Viele Fehler lassen sich vermeiden, wenn der Patient ausreichend informiert ist und am diagnostisch-therapeutischen Prozess aktiv beteiligt wird im Sinn einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Das fängt ganz banal an beim vierteljährlichen Medikamen tenreview an, wo es gilt, die unterschiedlichen Verordnungspläne zu einem einzigen und zwischen Patient und Arzt wirklich konsentierten Gesamtplan zu kondensieren. Beseitigen Sie Kommunikationshemmnisse (z.B. Störungen während der Sprechstunde), signalisieren Sie Offenheit in allen Fragen („Beim Arzt sollte man über alles sprechen können“), betonen Sie die Bedeutung des Patienten als Hauptperson in all seinen persönlichen Gesundheits- und Krankheitsaspekten („Letztlich entscheiden immer Sie als Betroffener. Aber lassen Sie mich wissen, wie Sie sich entscheiden, damit ich Ihnen auch weiter gezielt helfen kann“).
Angst vor Klage?
Wie soll man sich verhalten, wenn ein Patient tatsächlich Schaden genommen hat durch eine Intervention oder Nicht-Intervention der Praxis? Ich empfehle folgendes Vorgehen:
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Legen Sie den Fehler explizit offen, spätestens wenn der Patient oder Angehörige danach fragen.
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Geben Sie eine einfache Beschreibung des Fehlers und seiner möglichen Ursachen.
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Entschuldigen Sie sich bei dem Patienten („Dass das so gelaufen ist, tut mir leid“).
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Sorgen Sie für eine adäquate Weiterbehandlung des Patienten, damit der Schaden möglichst begrenzt bleibt.
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Bleiben Sie im Kontakt/Gespräch mit dem Patienten und seinen Angehörigen.
Studien aus den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Mehrzahl der Beschwerden und Klagen vermeidbar sind, „hätte der Doktor nur einmal gesagt, es tue ihm leid“. Eine derartige Entschuldigung ist auch kein – im Sinne der ärztlichen Haftpflichtversicherung unzulässiges – Schuldeingeständnis. Im Gegenteil hat auch die Haftpflichtversicherung ein Interesse an einer Schadensbegrenzung.
Tab. 1: Typische Fehler mit möglichen schwerwiegenden Folgen
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Nicht oder zu spät erkannter Herzinfarkt oder Lungenembolie
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Nicht diagnostizierte Beinvenenthrombose
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Nicht gefahrener Hausbesuch
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Blutungskomplikationen im Zusammenhang mit Antikoagulanzien und anderen blutungs fördernden Medikamenten
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Verzögerte Diagnosestellung durch Nicht Kommunikation von Laborergebnissen oder sonstigen Befunden
Abb. 1: G-BA-Qualitätsmanagement-Richtlinie
Paragraf 4: Instrumente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements
Als Instrumente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements sind insbesondere zu nutzen: […] g) Risiko- und Fehlermanagement: Festlegungen zum Umgang mit Risiken und sicherheitsrelevanten Ereignissen (d. h. diese zu erkennen, zu bewerten, zu bewältigen, zu überwachen) und Implementierung von Verbesserungsprozessen. Dafür können z. B. Erkenntnisse aus Patientenbefragungen, Teambesprechungen, Beschwerden, sicherheitsrelevanten Ereignissen (z. B. Beinahe-Schäden und Fehler) sowie die Teilnahme an einem Fehlermeldesystem genutzt werden.
Literatur beim Verfasser
Interessenkonflikte: keine