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Praxis WissenRadikalisierte Täter: Mad oder bad?

Terroristische Anschläge – wie im November 2015 in Paris – schockieren die Öffentlichkeit und verbreiten Angst. Doch welche psychopathologischen Mechanismen liegen einer solchen Radikalisierung zu Grunde? Kurzum: Sind Extremisten krank oder böse?

Praxis Wissen 42 Der Hausarzt 01/2016 Was für ein Mensch kann so etwas tun? Diese Frage stellt sich immer wieder, wenn sich schreckliche Gewalttaten ereignen. Die Öffentlichkeit neigt in solchen Situationen zu einer einfachen Antwort: Das kann doch nur die Tat eines Wahnsinnigen, ja eines psychisch Kranken sein. „Doch in den meisten Fällen stimmt diese Antwort nicht“, erläutert Dr. Iris Hauth, Berlin.

Keine psychische Erkrankung

Solche schweren Gewalttaten seien nur selten auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen. Extremistische Täter wüssten meist sehr genau, was sie tun und welche Folgen ihr Handeln habe. Es gebe kein typisches Persönlichkeitsmuster, welches erlauben würde, die Täter frühzeitig zu identifizieren. Hinter radikalen Tätern stehen vielmehr komplexe individuelle, soziale, politische und religiöse Mechanismen.

„Neben der spezifischen Persönlichkeitsstruktur kommt dem sozialen Klima, in dem sich die Täter bewegen, eine entscheidende Rolle zu“, so Hauth. Typisch sei, dass sich radikale Täter oft ausgeschlossen und benachteiligt fühlen. Deshalb sei die Gesellschaft gefordert, Ausgrenzungen zu vermeiden und Integration zu fördern. Nicht jeder Anschlag könne psychiatrisch begründet werden und Radikalität sei keine psychische Erkrankung. Vielmehr verberge sich dahinter eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

„Die Prävention von extremistischen Taten und Terrorakten erfordert, dass wir die psychologischen Mechanismen, die hinter einer Radikalisierung und dem Extremismus stehen, besser verstehen lernen“, so Privatdozent Mazda Adli, Berlin. Unabhängig von Richtung und Kontext der Radikalisierung seien alle Attentäter durch einen gemeinsamen psychologischen Nenner charakterisiert. Die psychischen Einflussfaktoren seien aber bisher zu wenig erforscht. Die Forschung müsse sich intensiv der Frage widmen: Wie und warum werden Menschen „extrem“ und wie sind die psychologischen Zugangswege zu extremen oder terroristischen Gruppen und wie kann man solche Entwicklungen verhindern?

Das psychologische Klima, in dem sich die Betreffenden bewegen oder aufgewachsen sind, ist geprägt durch das Gefühl, Opfer von Erniedrigung, Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu sein. Kommt dazu ein Versprechen von Zugehörigkeit, Sinnstiftung und Selbstwirksamkeit, so entsteht das „toxische“ Klima, das einer politisch oder ideologisch motivierten Radikalisierung Vorschub leistet.

Sozialer Prozess

„Radikalisierung ist mehr ein sozialer als ein individueller Prozess“, so Adli. Die meist 20- bis 30-Jährigen kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie haben eine autoritätsaffine paranoide Persönlichkeitsstruktur, ein vermindertes Selbstwertgefühl, zeigen eine Verbitterung und eine Bereitschaft, sich einer kollektiven Identität und der Ideologie eines charismatischen Führers anzuschließen. Dazu kommt eine Neigung zur Polarisierung und zur Externalisierung, was die Anfälligkeit des Einzelnen für ein derartiges psychologisches Klima erleichtert. „Das Gefühl mangelnder Zugehörigkeit und das Unvermögen, selbst etwas gegen dieses Gefühl unternehmen zu können, sind die Wegbereiter einer extremistischen Identitätsbildung“, so Adli.

Die Prävention von Radikalisierung erfordere eine Verhinderung eines solchen toxischen psychologischen Klimas durch politische Instrumente, aber auch eine Einbindung junger Menschen aus Risikogruppen und die Verhinderung des Einstiegs in radikale Organisationen durch psychologische Interventionen.

Quelle: DGPPN – Kongress, 25.11.2015 in Berlin

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