Wie gehen Ärzte mit ihrer Gesundheit um? Dr. Sven Schulz, Mitautor der neuen Studie „Ärztegesundheit bei Hausärzten“ (s. Kasten), bricht es auf eine einfache Formel herunter: „Hausärzte reagieren oft zu spät, zu eigenmächtig und auf ungünstigen Wegen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht.“ 95 Prozent der befragten Hausärzte in Sachsen und Thüringen therapieren sich im Krankheitsfall selbst. 92 Prozent ergreifen Maßnahmen der Selbstdiagnostik und mehr als die Hälfte (56 Prozent) gaben an, die informelle Konsultation in Anspruch zu nehmen – also lieber kurz telefonisch mit einem Kollegen zu sprechen, statt zum Arzt zu gehen.
Für die Autoren der Studie sind das alarmierende Zahlen: „Ärzte, die sich selbst behandeln, sind nicht objektiv gegenüber sich selbst“, warnt Prof. Jochen Gensichen vom Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Jena. Es fehle die professionelle Distanz eines Behandlers, der eine systematische Dokumentation und Zusammenschau macht und Einzelbefunde kontinuierlich überwacht. Krankheitssymptome drohen so übersehen zu werden.
Ingrid Dänschel, Vorsitzende des Sächsischen Hausärzteverbandes, bedauert, dass das Thema Ärztegesundheit bislang weder in der Öffentlichkeit noch in der Hausärzteschaft ernsthaft diskutiert wird. Zur Frühjahrstagung ihres Verbandes hat sie daher Gensichen eingeladen, um dafür zu sensibilisieren: „Wir müssen sorgsamer mit uns selbst umgehen“, sagt Dänschel, „einige Kollegen belastet es sehr stark, dass es keine genaueren Regelungen für eine systematische Supervision gibt, geschweige denn eine Stelle, an die Ärzte sich wenden können, um sich im eigenen Krankheitsfall vertraulich behandeln zu lassen. Hier müssen wir dringend Angebote schaffen.“
Das Thema Ärztegesundheit kratzt am eigenen Rollenbild: Zum einen können sich Ärzte generell nur schwer mit der Patientenrolle identifizieren, zum anderen spielen auch Scham, existenzielle Ängste und der Glaube, am Arbeitsplatz unverzichtbar zu sein, eine Rolle. Doch Ärzte sind nicht „unverwundbar“ und nicht nur die „Anderen“ werden krank. Unter Hausärzten sind somatische Krankheiten ebenso verbreitet, wie bei der restlichen Bevölkerung. Dennoch haben lediglich 19 Prozent der befragten Hausärzte selbst einen Hausarzt – von denen mit einer chronischen Erkrankung sind es gerade mal 24 Prozent.
Die Autoren der Studie haben aber noch ein zweites wichtiges Handlungsfeld erkannt: Dabei steht nicht der erkrankte Hausarzt im Mittelpunkt, sondern der, der ihn behandelt. Der Arzt-Behandler trifft auf einen ärztlich kompetenten, aber befangenen Patienten. Nicht selten herrscht daher auch auf Seiten der Behandelnden Verunsicherung: Einerseits brauchen Ärzte besonders zeitintensivere Erklärungen als andere, andererseits weiß der behandelnde Arzt nicht, welches Vorwissen vorausgesetzt werden kann. Bis hier Vertrauen aufgebaut ist, dauert es länger, als bei nicht-ärztlichen Patienten.
„Die deutsche Ärzteschaft muss sich um dieses Thema mehr kümmern“, fordert Gensichen. In der Theorie fehlten tiefergehende, evidenzbasierte Untersuchungen. Für die Praxis verweist er auf Irland und Großbritannien, wo es spezielle Ärztezentren mit geschultem Fachpersonal für die Behandlung von Ärzten gibt. Auch dem Datenschutz müsse mehr Beachtung geschenkt werden: anonyme Patientenakten, die vermeiden, dass das gesamte medizinische Personal Kenntnis über den Gesundheitszustand eines Kollegen hat, wären aus Gensichens Sicht essenziell für das Vertrauensverhältnis und somit für die Bereitschaft, sich selbst in ärztliche Behandlung zu begeben.
Zudem appelliert er an Hausärzte: „Informelle Konsultationen unbedingt vermeiden! Diese Haltung muss zum selbstverständlichen Teil des Berufsethos‘ werden“ – für beide Seiten: Der Arzt-Patient dürfe nicht um die informelle Konsultation bitten, der Arzt-Behandler müsse die informelle Auskunft verweigern oder in eine formelle Konsultation überführen.
Ärztegesundheit bei Hausärzten
Das Institut für Allgemeinmedizin der Uni Jena hat das Krankheitsverhalten von Hausärzten untersucht, unterstützt von der Stiftung Allgemeinmedizin. Es wurden Hausärzte in Thüringen und Sachsen im Mai und April 2014 schriftlich befragt. Von 1.000 Angeschriebenen haben knapp 30 Prozent den Fragebogen beantwortet. Im Schnitt waren die Teilnehmer ca. 53 Jahre alt, hatten 2,1 Kinder und waren 27,1 Jahre ärztlich tätig. Zwei Drittel waren weiblich. Knapp 58 Prozent gaben an, unter einer chronischen Erkrankung zu leiden (am häufigsten darunter Herzkreislauf-, Muskelskelett-, Stoffwechselsystem). Autoren der Studie: Sven Schulz, Franziska Einsle, Nico Schneider, Michel Wensing, Jochen Gensichen.