Noch gibt es wenig Erfahrungen mit der Auslegung des neuen Antikorruptionsgesetzes – und gerade deswegen ist die Verunsicherung bei Hausärzten und anderen Medizinern sehr groß. Doch Hausärzte können durchaus etwas tun, um nicht unverschuldet in die Mühlen des neuen Gesetzes zu geraten, so Experten beim 46. Symposium für Juristen und Ärzte der Kaiserin Friedrich-Stiftung zur Antikorruptionsgesetzgebung im Gesundheitswesen und ihren Auswirkungen.
Ärzten drohte bei korruptem Verhalten von Seiten der Justiz früher nur eine Strafe, wenn sie Beamte oder Angestellte waren – mit berufsrechtlichen Sanktionen mussten aber auch alle anderen Mediziner rechnen. Nachdem der Bundesgerichtshof 2012 einen niedergelassenen Arzt, der sich von einem Pharmaunternehmen hatte bestechen lassen, vom Vorwurf der Korruption freigesprochen hatte, weil er kein Amtsträger war, sah der Gesetzgeber Handlungsbedarf.
Im Juni 2016 trat nun das Antikorruptions-Gesetz in Kraft, das auch für niedergelassene Ärzte sowie Angehörige von Heilberufen wie Physiotherapeuten oder Pflegekräfte Korruption unter Strafe stellt. Paragraf 299a des Strafgesetzbuchs sieht die Bestrafung der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen vor, Paragraf 299b die Ahndung der Bestechung. Die angedrohten Sanktionen sind erheblich: Es drohen bis zu drei Jahre Haft, in besonders schweren Fällen sogar fünf Jahre. Ob Hausarzt, Pädiater oder Radiologe – keine Arztgruppe ist über einen Verdacht erhaben, erklärte Dr. Gisela Albrecht, Geschäftsführerin der Kaiserin Friedrich-Stiftung. Eine Ausnahme bilden allenfalls Psychotherapeuten.
Viele Verträge werden gekündigt
Bei niedergelassenen Ärzten hat das Gesetz zu einem massiven Beratungsbedarf geführt, berichtete der Jurist Prof. Martin Stellpflug von der Kanzlei Dierks + Bohle Rechtsanwälte. Obwohl sich eigentlich nichts geändert hat. Denn auch bisher waren die Verhaltensweisen, die als Straftatbestände neu ins Gesetzbuch aufgenommen wurden, für Ärzte aus berufsrechtlicher Sicht unzulässig. „Aber das war ein stumpfes Schwert“, sagte der Rechtsanwalt. Nach Stellpflugs Erfahrungen hat das neue Gesetz zu einer Bewusstseinsveränderung geführt. „Viele fragen sich: Was geht, was geht nicht mehr“, sagte er. Vor allem Kooperationsverträge zwischen Kliniken und Niedergelassenen oder unter niedergelassenen Medizinern sorgen für Verunsicherung. Viele Krankenhäuser legen Verträge deshalb juristischen Beratern vor. „Renommierte Kanzleien ertrinken in Arbeit“, sagte er. Auch niedergelassene Ärzte, die Kooperationen unterhalten, lassen ihre Vereinbarungen prüfen.
Das Problem sind nicht die eindeutigen Verfehlungen, etwa wenn sich ein Arzt einen Kleinwagen von einem Pharmaunternehmen vor die Praxis stellen lässt. Für Unruhe sorgen Vertragskonstruktionen, von denen die Beteiligten beim Abschluss ausgingen, dass sie rechtskonform sind. Doch welche das tatsächlich sind, ist nicht sicher, zum Beispiel wann etwas als Zuweisung gegen Zuwendung gesehen werden kann. Ein Grundmisstrauen entstehe in dem Moment, in dem ein Arzt einen Patienten überweise, etwa weil er kein eigenes Sonografiegerät hat, sagte Stellpflug. Weil Vertragspartner kein Risiko eingehen wollen, werden zurzeit massenhaft Kooperationsverträge gekündigt, berichtete er. Kein Wunder. Rechtsanwälte gehen bei ihren Beratungen auf Nummer sicher. „Wenn wir die Hand nicht dafür ins Feuer legen können, raten wir dazu, das Vertragsverhältnis in beiderseitigem Einverständnis zu kündigen“, sagte er.
Nur selten Ermittlungen
Ermittlungen gegen niedergelassene Ärzte gibt es bislang nur vereinzelt, sagte Oberstaatsanwalt Christian Müller von der Zentralen Stelle organisierte Kriminalität und Korruption der Generalstaatsanwaltschaft Celle. Nach seinen Erfahrungen dauert es einige Jahre nach Inkrafttreten eines Gesetzes, bis sich Trends in der Verfolgung und Verurteilung von neuen Straftatbeständen erkennen lassen. Entsprechend gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. „Aber es gibt ein Füllhorn potenzieller Tretminen“, sagte der Staatsanwalt.
Dazu gehören Fortbildungen. Kliniken haben Konsequenzen gezogen. „Wir sind besonders auf der Hut bei der Bewilligung von Fortbildungsveranstaltungen“, sagte Prof. Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin. Sobald Geld von Dritten fließe, gehe der Bewilligungsantrag an eine spezielle Stelle. „Tendenziell werden solche Anträge eher nicht gebilligt“, sagte er. Ähnlich verfahre man bei Informationsreisen zu neuen Medizinprodukten. Wenn die Klinik eine Reise für erforderlich halte, übernehme sie die Kosten. „Mit so einem Vorgehen kann man sich schon die ein oder andere Sorge vom Hals halten.“
Die Ermittler werden nicht von sich aus tätig, sagte Oberstaatsanwalt Müller. Sie machen also keine Stichprobenermittlungen, sondern werden erst nach einer Anzeige aktiv. „Solche Anzeigen können von Patienten, ehemaligen Angestellten oder Mitarbeitern von Krankenkassen kommen“, sagte Müller. Davor kann sich auch der rechtskonformste Mediziner kaum schützen. Und: Berichte über vermeintliche oder tatsächliche Korruption lösen regelmäßig Anzeigen bei den Behörden aus. „Wir haben ein Saisongeschäft“, sagte der Oberstaatsanwalt.
Den Anschein vermeiden
Eigentlich dürfte unter Ärzten kein Handlungsbedarf bestehen, sagte Müller. Schließlich wurde mit dem neuen Gesetz kein Verhalten unter Strafe gestellt, das berufs- oder sozialrechtlich erlaubt ist. „Aber Ärzte sollten prüfen, ob sie alles unternommen haben, um auch nur den Anschein korruptiven Verhaltens zu vermeiden“, empfahl er. Das heißt: „Sie sollten versuchen, den Blick von Außen einzunehmen und sich fragen: Sieht das merkwürdig aus, kann man das in den falschen Hals bekommen?“ Ärzte sollten Kooperationsverträge von den Ärztekammern auf Rechtmäßigkeit prüfen lassen. Grundsätzlich rät Müller zu einem stringenten Risikomanagement, damit gar nicht erst ein Verdacht aufkommen oder sich – im Falle einer Anzeige – erhärten kann. Dazu sollten Ärzte die klassischen Prinzipien der Korruptionsvermeidung befolgen:
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Transparenz,
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Trennung,
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Dokumentation und
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Äquivalenz.
„Diese Prinzipien sind im Prüfraster einer Staatsanwaltschaft“, sagte Müller. Das heißt: Ärzte sollten alle einer Zuwendung zugrunde liegenden Umstände offen-legen und möglichst schriftlich dokumentieren, zwischen verschiedenen Bereichen sauber trennen, außerdem müssen die Bezüge angemessen sein. Neugierig werden die Staatsanwälte, wenn niedergelassene Ärzte, etwa mit Zwischengesellschaften, Zuflüsse verdecken. Bei transparenten Strukturen liefen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften anders ab als bei Verschleie-rungsversuchen. „Dann stellen die Ermittler nicht erst nach der Durchsuchung fest, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.“
Doch ganz so einfach ist es im wirklichen Leben nicht, weiß Rechtsanwalt Stellpflug. Eindeutige Fälle von Korruption sind seiner Meinung nach mit so einem Raster rasch erfasst. Bei Grenzfällen sei es aber schwierig. Das beginne mit der Frage: Was ist angemessen? Und selbst, wenn das klar zu beantworten ist, bleiben andere Untiefen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Hannover etwa reiche es nicht aus, dass eine Leistung angemessen vergütet wird. Die Ermittler sehen schon die Tatsache, dass ein niedergelassener Arzt in einer Klinik operieren kann und so eine zusätzliche Einnahmequelle hat, als unzulässig an. „In so einem Fall ist nicht mehr so klar, was richtig ist“, sagte der Jurist.
So können sich Hausärzte vor falschen Verdächtigungen schützen
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Zweifel ausräumen: Kooperationsverträge, etwa mit Kollegen oder Kliniken, juristisch prüfen lassen -entweder von einem Fachanwalt oder der Ärztekammer
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Außenwahrnehmung einnehmen: Könnte eine Zusammenarbeit von außen betrachtet anrüchig wirken? Wenn ja, Änderungen vornehmen, etwa Zwischengesellschaften auflösen und klare, transparente Strukturen schaffen
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Risikomanagement betreiben: Transparenz herstellen, alle finanziellen Bereiche sauber trennen, Geldflüsse dokumentieren und nur angemessene Vergütungen akzeptieren