Am 30. März feierte diese Praxis ihr 100-jähriges Bestehen. Bei allen Entwicklungen, die sie im Laufe der Jahrzehnte miterlebt hat, hat sich eines bis heute nicht geändert: der Name am Türschild. Die Praxis ist seit drei Generationen in Familienhand, wurde von Dr. Hermann Kampsmeyers Sohn Dr. Werner Kampsmeyer übernommen und wird heute von dessen Sohn, Dr. Martin Kampsmeyer, geführt. „Mein Großvater war nach dem Krieg der einzige Arzt im Umkreis und war immer mit dem Motorrad unterwegs, um zu seinen Patienten zu kommen“, erzählt Martin Kampsmeyer (54). Die Praxis war in den Räumen eines ehemaligen Wirtshauses im Dorf untergebracht. Doch dorthin kamen nur die Wenigsten. „Hausbesuche waren zu der Zeit üblich. Auch Hausgeburten. Da war man als Arzt immer mittendrin.“ Die meisten Patienten hatten kein Telefon. Sie meldeten sich in der Dorfkneipe. „Dort hing eine Liste neben dem Telefon, auf der der Wirt die Hausbesuche für meinen Opa notiert hat“, weiß Martin Kampsmeyer.
„Alle haben mit angepackt“
In den 1920er Jahren zog die Familie und mit ihr die Praxis in eine vom Großvater gebaute Villa. Hier wohnte und arbeitete man bis vor zwei Jahren, als die Praxis ihre jetzigen Räume in einer ehemaligen Bankfiliale bezog, unter einem Dach. Denn die Hausarztpraxis war bei den Kampsmeyers immer Familiensache. „Alle Ehefrauen haben mit angepackt“, erinnert sich Martin Kampsmeyer. Seine Oma Adelheid ebenso wie seine Mutter Elfriede (90 Jahre), und seine Frau Christel (verstorben 2015). Landarzt sein, das bedeutete zur damaligen Zeit noch einen 24-Stunden-Job. „Mein Mann hatte rund um die Uhr Bereitschaft. Wir konnten das Telefon nie klingeln lassen – es hätte ja etwas Dringendes sein können“, erinnert sich Elfriede Kampsmeyer. „Zeitweise war er jede Nacht unterwegs. Die Praxis kam immer zuerst, dann das Familienleben.“ Gestört hat sie und ihre drei Kinder das aber nie. „Wir haben diese Praxis mit Leib und Seele betrieben. Manchmal haben wir schon gewitzelt und gesagt: Fehlt nur noch, dass die Patienten Weihnachten mit uns unterm Tannenbaum sitzen. Aber das war nie negativ. Es gehörte einfach dazu!“ Und es war nicht nur ein Geben. Die Patienten schätzen bis heute die Verbundenheit der Arztfamilie und bringen ihr ein großes Maß an Vertrauen entgegen. „Es ist schon außergewöhnlich, wenn ein Patient sagt: Ihr Opa hat mich auf die Welt geholt. Und Sie begleiten mich nun bis zum Tod“, sagt Martin Kampsmeyer. Im Lauf der Jahrzehnte hat die Praxis sich einen besonderen Status erworben. Dr. Werner Kampsmeyer drückte es stets so aus: „Die Leute sagen immer: ,Ich gehe nach Kampsmeyer.‘ Das ist hier im Ort nicht bloß ein Arzt. Das ist eine Art Institution.“
„Ich sehe den ganzen Menschen“
Kampsmeyer genießt die familiäre Atmosphäre zwischen Arzt und Patient. „Man kennt die Küchen und Wohnzimmer der Menschen, man weiß, wo die Tabletten liegen, man kennt die Lebensumstände“, sagt er. „Ich erfahre sehr Persönliches von den Leuten. Sie erzählen von sich aus etwas von sich, man muss ihnen nicht alles aus der Nase ziehen. Und das wiederum hilft dabei, die richtigen Diagnosen zu stellen. Ich sehe den ganzen Menschen und gucke nicht nur: Wie geht’s der Leber.“
Dabei sind die Arbeitsbedingungen heutzutage viel weniger aufreibend als zur Zeit seines Großvaters oder Vaters. „Wir haben ein gutes Notdienstsystem, ein kollegiales Vertretungssystem, wir sind gut bestückt mit Krankenhäusern und haben eine gute Verkehrsanbindung. Der Anspruch, verfügbar sein zu müssen, ist längst nicht mehr so wie früher“, betont Martin Kampsmeyer.
„Wir sind alt – aber nicht veraltet!“
Überhaupt setzt er auf eine Kombination aus Tradition und Modernität. „Wir sind alt – aber nicht veraltet! Medizinisch sind wir up-to-date. Gerade im Hausarztbereich muss man über jede Krankheit Bescheid wissen und auch über das Fachgebiet hinausschauen. Das finde ich so toll: dass die Allgemeinmedizin niemals langweilig wird!“
Auch im Praxismanagement ist Kampsmeyer auf neustem Stand: Die papierlose Praxis hat er bereits in den 90er Jahren eingeführt. „Hier gibt’s schon lange keine großen Schubladen mit Karteikarten mehr“, erzählt er. „Außerdem nehmen wir an den Hausarztverträgen teil. Unsere Erfahrung mit der hausarztzentrierten Versorgung zeigt, dass die gesamte Abrechnung viel einfacher geworden ist. Die paar Ziffern, die man braucht, hat man im Kopf. Alles läuft leichter, das Arbeiten ist entspannter.“
Seit dem Umzug in größere Räume läuft zudem die Praxisorganisation noch reibungsloser. So fühlt Martin Kampsmeyer sich gut aufgestellt für die Zukunft. „100 Jahre ohne Pleite – und der Familienname besteht weiter. Das macht mich schon stolz“, sagt er. Das Beste aber ist, dass die nächste Generation schon in den Startlöchern steht: Tochter Melissa (21) macht gerade eine Ausbildung in der Praxis. Sie möchte später Medizin studieren. Berufswunsch: Hausärztin.