Nach der Bundestagswahl können Weichen neu gestellt werden. Aus Ihren Erfahrungen in der Praxis, wo drückt der Schuh?
Dr. Hans Bürger: Die neuen Daten des Zi haben mich erschüttert.
Sie meinen die jüngste Veröffentlichung des Zentralinstituts der KVen, kurz Zi, wonach Allgemeinmediziner beim Einkommen im unteren Mittelfeld rangieren.
Genau. Die Daten zeigen wie wenig die Allgemeinmedizin wert ist – das meine ich nicht rein finanziell, ich meine die mangelnde Wertschätzung, die sich durch die Daten zeigt. Und das trotz aller Beteuerungen der Politik. Wir müssen Studienbewerber besser selektieren, aber nicht über eine Landarztquote – das verbaut nur Lebenswege und demotiviert. Wir müssen an allen Hochschulen präsent sein und die Allgemeinmedizin muss im Staatsexamen geprüft werden. Das wäre ein „Aufwecker“ am Studienende.
Warum fühlen Sie sich weniger wertgeschätzt als ein Spezialist?
Die Bevölkerung schätzt uns sehr, in der Politik verhält es sich aber unterschiedlich: Wo es an Hausärzten mangelt, bemüht man sich um uns, in Städten schert es keinen. Oft höre ich von Politikern: „Sie sind ja auch Internist.“ Da frage ich mich, wieso haben Internisten einen besseren Ruf als Hausärzte? Die Allgemeinmedizin ist doch eine hochkomplexe Weiterbildung über 60 Monate! In Vogt gibt es vier Hausärzte. Das wird sich ab 2020 aber schnell ändern – dann gehen wir in Rente und alle vier sind weg. Trotzdem handeln die meisten Bürgermeister erst, wenn die Lücke da ist. Dann investieren sie viel, um Ärzte in ihre Gemeinde zu holen. Im Nachbarort hat die Bürgermeisterin ein Ärztehaus gebaut, um es jungen Kollegen schmackhaft zu machen. Da muss man doch fragen: Warum reagiert man erst nach 20 Jahren, wenn es zu spät und viel teurer ist? Hätte man früher mehr in Infrastruktur gesteckt, hätten wir das Problem wahrscheinlich nicht.
Wäre es klug, Spezialisten zu Hausärzten „umzuentwickeln“?
Nur wenn sie die gleiche Weiterbildung Allgemeinmedizin durchlaufen! Viele denken, der Gynäkologe deckt das gleiche Spektrum ab wie wir, das kann er aber nicht, weil das seine Weiterbildung nicht hergibt. Ich bin Hausarzt und Internist – schon das sind zwei total verschiedene Arbeitsweisen. Meine Frau und ich gehen zum Teil ganz anders vor.
Wie könnten sich Gemeinden konkret um ihre Hausärzte kümmern?
Wir brauchen sicher keine Blumen (lacht). Als ich jung war, waren Ärzte Institutionen in der Gemeinde. Heute werden wir wie ein Gewerbe wahrgenommen, das mit der Gesundheit der Bürger Geld verdient. Es wäre schön, wenn einen Gemeinden als „Berater“ bei einigen Entscheidungen mehr einbeziehen.
Ich höre eine Sehnsucht heraus, mehr „institutionalisiert“ zu werden. Widerspricht das nicht der Forderung der Ärzte, ein freier Beruf zu bleiben?
Es ist sicher der falsche Weg, alle Ärzte bei Gemeinde-MVZ anzustellen. Sie nennen es Sehnsucht, ich meine aber, wir brauchen ein klares Bekenntnis der Politik zur ambulanten Versorgung. Sie kennen den Grundsatz „ambulant vor stationär“. Betrachtet man aber die Entwicklung der Kammern, KVen etc., hat man den Eindruck, dass sich die Versorgung hin zu Kliniken verlagert. Daher brauchen wir eine eigene hausärztliche Vertragspolitik, nur so werden unsere Leistungen – auch im Honorar – adäquat abgebildet. Ohne den Hausärzteverband wären wir schon am Ende.
Die Politik weiß aber eigentlich genau, dass ambulante Versorgung günstiger ist.
Ja, trotzdem baut sie keine Überkapazitäten ab. In Baden-Württemberg gibt es 144 Kliniken, die Hüft- und Knie-Op machen. Nur 26 erfüllen die Mindestmengen. Warum wird nichts geändert? Der Landrat ist doch froh, dass er seine Klinik hat, der hätte kein schönes Leben mehr, wenn er sie schließen würde.
Viele junge Ärzte wünschen sich, zunächst angestellt zu arbeiten. Bestärkt das Ihren Eindruck, dass sich die Versorgung hin zu stationären Strukturen verschiebt?
Man muss fragen: Warum? Die Allgemeinmedizin muss für junge Ärzte attraktiver werden. Nehmen Sie die erwähnte Zi-Statistik. Wer wählt schon einen Beruf, mit dem er weniger verdient als ein Spezialist?! Es liegt tatsächlich auch am Geld und nicht nur am Image der Hausärzte. Das zeigt sich in unserer Lehrpraxis: Seit 2016 die Förderung für die Weiterbildung gestiegen ist, bekommen wir mehr Anfragen.
Wer hat Sie während der Weiterbildung gefördert?
Keiner. Als ich studierte herrschte Ärzteschwemme. Während des Studiums hieß es: „Du wirst arbeitslos.“ Auf eine Klinikstelle gab es 100 Bewerbungen. Wir mussten uns um alles selbst kümmern, Weiterbildungsverbünde gab es nicht. Dann kam die nächste Hürde: Bewerbung um den Praxissitz. Auf dem Land selbst den Platz suchen, bauen, alles selbst finanzieren. Hier hat sich viel verbessert: Die jungen Ärzte können heute auswählen und das tun sie auch.
Sie haben Ihre Generation der Ärzteschwemme angesprochen…
Das wird noch spannend, wenn meine Generation in Rente geht. Darauf ist die Politik nicht vorbereitet. Ich rechne fest damit, dass wir „zwangsverpflichtet“ werden, länger zu arbeiten.
Was müsste sich ändern, damit Sie die aus Ihrer Sicht beste Medizin leisten können?
An den weichen Bedingungen muss man nichts ändern, weil der Beruf Spaß macht. Wir können mittags zu unseren Kindern nach Hause, unsere Arbeitszeit flexibel einteilen, bekommen positive Rückmeldung von Patienten und vor allem gibt es niemanden, der mir bei der Therapie reinredet. Aber wir brauchen eine Art „Unternehmerbonus“, um in die Praxen investieren zu können. Ein neues Sono, Computer- Updates – es fällt laufend etwas an, aber viele Normal-Praxen investieren nicht, weil es im kalkulierten Lohn nicht drin ist. Da heißt es, der Hausarzt braucht doch nur ein Stethoskop für 5,50 Euro, aber das stimmt nicht!
Könnten hier nicht Gemeinden unterstützen, indem sie Ärzte etwa von Gebühren entlasten oder schnelles Internet stellen?
Warum nicht? Dann bliebe uns mehr Geld für Investitionen. Bisher läuft es andersherum: Als wir eröffneten, hieß es, „Ihr müsst Parkplätze bauen und den Grund von der Gemeinde kaufen“. Das ärgert einen und muss sich ändern.
Die Gemeinde soll also nachfragen: Was brauchen Sie, damit Sie Ihre Arbeit gut erledigen können?
Genau! Beispiel Internet: Zuhause – ich wohne nicht über der Praxis – habe ich sehr gute Anbindung. In der Praxis kann ich keine großen Daten bewegen, ein Angiogramm oder die Abrechnung brauchen quasi Stunden bis sie ankommen. Die Krönung ist, wir Ärzte müssen uns selbst kümmern, dass wir Internet bekommen! Natürlich könnte ich nach München ziehen – womit wir wieder beim Thema Unterversorgung sind.
Wenn Sie Gesundheitsminister wären, was würden Sie als Erstes anpacken?
Aus meiner Sicht als Hausarzt würde ich die HZV flächendeckend ausbauen. Ich bin gegen einen Zwang zur Einschreibung, aber ich bin überzeugt vom Primärarztsystem. Zudem muss die Allgemeinmedizin im Staatsexamen Prüfungsfach werden. Darüber hinaus würde ich kreative Ansätze in den Regionen fördern, um die Niederlassung zu vereinfachen. Das Problem ist, es muss lokal umgesetzt werden, weil jede Gemeinde etwas anderes braucht, nur sind die Gemeinden mit der Finanzierung solcher Maßnahmen überfordert. Man müsste sie also vom Bund her unterstützen. Außerdem würde ich mir anschauen, ob Ärzte strukturell richtig eingesetzt sind.
Lesen Sie dazu auch: "Die Gesellschaft wird es teuer bezahlen" – Wahlgespräche in der Hausarztpraxis