Poesie- und Bibliotherapie zählen zum Bereich der künstlerischen Therapie, wie Musik- oder Maltherapie. In der Bibliotherapie wird Sprache passiv-rezeptiv genutzt durch Lesen oder Vorlesen, in der Poesietherapie dagegen aktiv-produktiv durch Schreiben oder Biografiearbeit.
Literatur gegen Depression
In Deutschland sind Biblio- und Poesietherapie noch relativ unbekannt. In den angelsächsischen Ländern dagegen werden sie flächendeckend und ganz gezielt eingesetzt, etwa in der Psychiatrie bei Depressiven oder Suchtkranken, in der Kinder-und Jugendmedizin, in der Gerontologie, aber auch zur Gesundheitsförderung in Altenheimen und Gefängnissen. Therapeutische Arbeit mit Literatur wird aber zunehmend auch in Deutschland bei psychisch und körperlich Kranken oder auch bei Personen mit Verhaltensauffälligkeiten angeboten. Noch gibt es nicht viele Studien zur heilenden Wirkung der Poesie- und Bibliotherapie. Doch Ergebnisse aus den USA sind positiv.
In der Bibliotherapie wählen die Therapeuten, teilweise zusammen mit den Patienten, Literatur zum Lesen aus.
Das können Gedichte, Dramen, Romane, Krimis, Reiseberichte, Biografien oder sogar Ratgeber sein. Es hat sich herausgestellt, dass depressive Patienten nichts mit fröhlichen Texten anfangen können. Sie ziehen Düsteres vor. Das Lesen soll dann über das reine Informieren hinaus die Auseinandersetzung mit Problemen sowie kognitive und emotionale Verarbeitungsprozesse unterstützen, sie sollen helfen, Lösungen zu finden und Mut zu einer Veränderung machen. Die Texte können auch vorgelesen werden, das wirkt oft besonders intensiv, vor allem wenn in der Gruppe hinterher darüber diskutiert wird.
Sonderform Biografiearbeit
Auch in der aktiven Poesietherapie werden alle denkbaren Arten von Texten eingesetzt: vom Gedicht über Prosa bis hin zu Briefen und Streitschriften. Die Patienten verfassen ihre Texte unter Anleitung des Therapeuten und sprechen hinterher darüber. Den Inhalten sind keine Grenzen gesetzt. Eine Sonderform ist die Biografiearbeit, in der die Patienten sich gezielt mit ihrem eigenen Erleben auseinandersetzen.
Das Schreiben hilft etwa, die Gedanken zu ordnen, Emotionen zu klären oder Trost zu finden. Es ist ein Katalysator, um „Unsägliches sagbar zu machen“, wie die Pionierin der Poesieund Bibliotherapie in Deutschland, Ilse Orth, betont. Einmal formuliert kann das bislang Ungesagte die Macht über den Menschen und seine Gedanken verlieren, man kann weitergehen und eine Lösung finden.
Soziokulturelle Alphabetisierung
Ilse Orth sieht eine weitere Aufgabe der Poesie- und Bibliotherapeuten in einer „Art emotionaler und soziokultureller Alphabetisierung“, um „denen eine Chance zu geben, die von den Segnungen der Sprache in ihren sozialen Netzwerken wenig erfahren haben“. In Zeiten von Flüchtlingsintegration einerseits und großmäulig-populistischem Getöse andererseits wird das zunehmend wichtig.
Infos
Infos gibt es bei der „Deutschen Gesellschaft für Poesie- und Bibliotherapie unter www.dgpb.org. Der Verband hat auch Curricula für die Ausbildung erarbeitet. Denn in Deutschland gibt es dazu keine gesetzliche Regelung.
Professor James W. Pennebaker, Experte für therapeutisches Schreiben an der Universität von Texas in Austin, gibt Anleitungen zu „ Writing & Health“ auf seiner Homepage: https://liberalarts. utexas.edu/psychology/faculty/pennebak#writinghealth