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Hausarzt MedizinWirksame Strategien bei Depression und Burn-out

Menschen mit dem Krankheitsbild der Depression in der Praxis zu behandeln ist eine echte Herausforderung. Aber auch Burn-out-Zustände lassen sich nicht nach bestimmten Regeln in den Griff bekommen, besonders bei mangelnden zeitlichen Ressourcen. Der Grund ist: Jeder Mensch muss individuell gesehen werden und jeder braucht seine eigene Heilungszeit.

Bei Depressionen handelt es sich um chronische Alarmzustände im Bereich des limbischen Systems, die sich auch mit Antidepressiva nicht immer zuverlässig abstellen lassen. Vielmehr kann man bei depressiven Störungen nur die Rahmenbedingungen eines Menschen so heilsam verändern, dass eine Regeneration der Neurotrans-mitter des Gehirns möglich ist. Das allerdings erfordert alle Aufmerk-samkeit. Leider hat insbesondere die ambulante Psychiatrie außer der medikamentösen Therapie wenig pragmatische Konzeptangebote für Betroffene mit Depression zu bieten. Oftmals werden nur lapidare Ratschläge gegeben, wie "Machen Sie viel Sport und nehmen Sie sich mal eine Auszeit." Diese Aussage hört man täglich von Betroffenen, die sich berechtigterweise allein gelassen fühlen.

Ich möchte deshalb ein pragmatisches Modell vorstellen, das Patienten in die Lage versetzt, sich in ihrem depressiven Zustand zu verstehen und eine einfache und grundsätzliche Handlungsanleitung für Körper, Geist und Seele bietet. Die "Verstehbarkeit" im Sinne Antonowskys* ist nicht nur für Kranke wichtig, sondern auch für den Arzt, der dadurch viel überzeugendere Empfehlungen geben kann. Denn das, was wir unseren Patienten bezüglich Gesundheit vorschlagen, das sollte auch für uns selbst gelten. Gesundheit ist nicht umsonst "ansteckend": Sie motiviert uns selbst und andere zur Selbstfürsorge.

Für Menschen mit Depression ist eine Trost spendende, aber auch fachlich kompetente Unterstützung extrem wichtig, denn kaum ein Krankheitsbild ist für die Betroffenen so schwer verstehbar, vielschichtig und beängstigend. Dies umso mehr, als bei diesem Krankheitsbild alle persönlichen seelischen Defizite, traumatische Vorerfahrungen und Lebenskonflikte zutage treten und die ganze Verletzlichkeit eines Menschen spürbar wird, die vorher verdrängt wurde.

Engmaschiger Patientenkontakt

Der Hausarzt als erste Anlaufstelle für Betroffene ist deshalb von besonderer Bedeutung, indem er ihnen eine Art "Geländer" bietet. Seine Aufgabe ist es, sehr schnell zu erfassen, wie ernsthaft der Zustand seines Klienten ist. Engmaschige Patientenkontakte sind dazu hilfreich. Falls es sich um einen ernsthaften Zustand von Depression handelt mit Unruhe oder Lethargie, Schlaflosigkeit, Appetitmangel und/oder Angst- und Panikzuständen, ist meist eine umfassende Hilfe notwendig. Insbesondere extremer Schlafmangel kann zu gefährlichen seelischen Zuständen führen und sollte schnell gemildert werden.

Folgende Orientierungsfragen sind deshalb wichtig:

  1. Können Sie schlafen?

  2. Essen Sie regelmäßig und mit Appetit? Trinken Sie genug Wasser?

  3. Worunter leiden Sie am meisten (Angst, Panik, Erschöpfung…?)

  4. Wie ist es mit Ihrem Alkoholkonsum?

  5. Können Sie gut allein sein und sich selbst versorgen?

  6. Wie ist Ihre Belastbarkeit – beruflich und privat?

  7. Bei Verdacht auf Suizidgefahr: Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie sich melden, wenn Sie Hilfe brauchen?

Ein Patient mit schwerer Schlaflosigkeit profitiert von einem niedrig dosierten Antidepressivum- manchmal nur für ein paar Tage, um den Teufelskreis zu unterbrechen. Da reichen oft schon 7,5 mg Mirtazapin oder ein paar Tropfen Stangyl. Sie eignen sich besser als Schlafmittel, da sie tiefgreifender im limbischen System eingreifen und das Vegetativum deutlich beruhigen. Vor allem besteht keine Suchtgefahr wie bei Tranquilizern, die zwar schnell beruhigen, aber keinerlei nachhaltigen Effekt haben. Im Gegenteil: Nach Abklingen des Wirkspiegels ist das Befinden schlimmer als vorher. Die Suchtgefahr wird immer noch völlig unterschätzt. Wer den quälenden Entzug von Tranquilizern einmal begleitet hat, wird nur im höchsten Notfall darauf zurückgreifen.

Außerdem ist wichtig, dem Patienten in ein paar Worten zu erklären, was neurobiologisch bei der Depression abläuft und ihm insbesondere klarzumachen, worauf es bei der Überwindung des depressiven Zustands ankommt. Ich habe das Modell "Die vier Schaltstellen, an denen man drehen kann" genannt. Patienten sind äußerst dankbar, wenn sie verstehen, dass es sich um einen echten Krankheitszustand handelt, der ernst zu nehmen ist. Ich höre immer wieder von Betroffenen: "Warum hat mir das noch keiner so erklärt? Jetzt verstehe ich zum ersten Mal, was mit mir los ist." Das wirkt sehr befreiend – und befriedigend für den Behandler. Außerdem kann man Betroffenen so Schuldgefühle nehmen und Hoffnung auf Heilung vermitteln. Denn Verzweiflungsakte wie Suizidversuche sind die Folge von fehlendem Wissen und fehlender Hoffnung. Die quälenden Symptome wie Verzweiflung, Selbstabwertung, Gedankenkreisen, Schuldgefühle, Lethargie bei gleichzeitiger Erregtheit werden unerträglich.

Heilung ist möglich

In dem vereinfachten Schema habe ich "vier Schaltstellen" definiert, an denen man "drehen" kann, um aus der Depression wieder in stabile Verhältnisse zu kommen. Diese können natürlich nicht getrennt voneinander gesehen werden, aber das Modell ist hilfreich zur Erklärung. (Tab.1).

Es lohnt sich, Patienten klarzumachen, dass die Depression zwar eine ernsthafte Erkrankung ist, jedoch im Gegensatz zu Herzinfarkt oder Schlaganfall völlig ausheilen kann, da das menschliche Gehirn ein erstaunliches Regenerationspotential besitzt. Menschen, die ihre Depression überwunden haben, beschreiben ihre Krise meist als einen sehr schmerzhaften aber sinnvollen Lernprozess und einen Gewinn für die Persönlichkeit. Es ist auch heute eine dankbare Aufgabe im hippokratischen Sinne, Menschen bei diesem Prozess zu unterstützen.

So kann man es dem Patienten erklären:

Durch chronischen äußeren oder inneren Stress, der individuell ganz verschieden sein kann, wird das Alarmsystem im limbischen System, unserem emotionalen Gehirn, in einen dauerhaften Übererregungszustand versetzt. Dies geschieht reflexartig und ohne, dass die Großhirnrinde, bzw. unser Bewusstsein, etwas davon mitbekommt. Auch mit einem "starken Willen" kommt man nicht dagegen an. Deshalb hilft auch "Zusammenreißen" nicht, im Gegenteil: Dadurch eskaliert die Stressspirale. Wird das Alarmsystem nicht mehr abgestellt, geraten im limbischen System vier Neurotransmitter so sehr aus dem Ruder, dass sich schließlich Versagensängste und depressive Stimmungen ausbreiten.

Der Mangel an folgenden Neurotransmittern ist verantwortlich für das Abgleiten in die Depression: Ein Mangel an Dopamin, dem "Motivationsneurotransmitter", macht antriebslos, ein Mangel an Oxytocin, dem "Freundschaftsneurotransmitter", führt zu innerem Rückzug und Verlassenheitsgefühlen, ein Mangel an Opioiden, den seelischen und körperlichen "Schmerzkillern" verringert die Frustrationstoleranz. Man hält nichts mehr aus. Ein Mangel an Serotonin, dem "Gute Laune-Neurotransmitter", macht traurig und schlaflos. Serotonin wird bei Dunkelheit in Melatonin, das Schlafhormon umgewandelt. Wenn es fehlt, bleibt man nachts wach. Auch Körpersymptome wie hoher Blutdruck, Pulsanstiege, Muskelschmerzen, Blutzuckererhöhungen und diverse intestinale Beschwerden lassen sich durch die Alarmreaktionen, insbesondere die Ausschüttungen von Cortisol und Adrenalin bzw. Noradrenalin erklären. Sie bringen das Vegetativum aus den Fugen. Das Ziel ist, den Zustand der Neurotransmitter im limbischen System mit guter Selbstfürsorge zu regenerieren. Das ist jederzeit möglich!

Praktische Übung

Anbei eine kleine, aber sehr beruhigende Entspannungstechnik, aus dem Sounder Sleep System™, die auch zum Einschlafen nützlich ist:

Das Atemsurfen: Entweder im Sitzen, Stehen oder Liegen berührt die Person die Herzgegend und den Oberbauch (Solarplexus über dem Magen) jeweils mit der rechten und linken flachen Hand und spürt die Atembewegung des Auf und Nieder in diesem Bereich, ohne etwas zu verändern. Dann bei jedem Ausatmen ganz minimal den Daumen jeweils gegen die Brustwand und den Oberbauch drücken. Diese Mikro-Bewegung aktiviert hemmende Impulse im Gehirn. Das wirkt beruhigend.

Tab. 1: Die vier entscheidenden Schaltstellen

Schaltstelle Nr. 1 Äußere und innere Stressoren erkennen und nach Möglichkeit reduzieren (z.B. durch vorrübergehende Krankschreibung, Hilfe von außen, Selbstfürsorge bei Selbstüberforderung, Rückzug von bestimmten Personen oder Gegebenheiten, soweit möglich.) Es geht hier nicht um perfekte Lösungen, sondern nur um eine merkbare Verringerung der derzeitigen Stressbelastung. Der Hausarzt, der seine Patienten kennt, kann hier eine wichtige Orientierung geben, die manchmal schon ausreicht. Patienten sind dafür oft sehr dankbar.
Schaltstelle Nr. 2 Das limbische System, unser emotionales Alarmsystem, beruhigen. Alles, was jetzt beruhigend wirkt, ist richtig: Häufige kleine Spaziergänge in der Natur, alle Techniken zur Entspannung, Wasseranwendungen wie warme Fußbäder am Abend vor dem Schlafen, nicht zu warme Melissebäder, Yogaübungen (insbesondere mit Betonung der Entspannungsphase sowie eines langsamen Atems). In der ersten Phase der Erkrankung sollte man keinen anstrengenden Sport empfehlen. Meist löst dieser zu viel Adrenalinausschüttung aus, sodass es nach einer kurzen Phase der Euphorie zum Absturz des Befindens kommt. (Empfehlungen wie: „Powern Sie sich richtig aus!“ sind völlig fehl am Platz.) Gerade Männer entwickeln hier falschen Ehrgeiz und gefährden damit die Regeneration des limbischen Systems. Eine sportliche Betätigung kann jederzeit mit Pulskontrolle und vorsichtiger Beobachtung aufgenommen werden, wenn sie ei- nen wohltuenden und nachhaltigen Effekt auf das Befinden hat. In der Anfangsphase sind ständige kleine Einheiten von Belastung und Ruhe sinnvoll. Schon einfaches Schwingen mit den Armen, u.a. mit den „Smovey“- Ringen wirkt ausgleichend.
Schaltstelle Nr. 3 Die Neurotransmitterproduktion anregen, indem man Dinge tut, die Wohlgefühl auslösen und keine Überforderung sind: Kleine Erfolgserlebnisse durch Ordnen und Sortieren, Dinge tun, die angenehm sind, jeden Druck vermeiden. Wichtig ist ausschließlich der angenehme Entspannungseffekt. Positive Bestätigung für alles, was gelingt! Häufiges Gähnen, auch wenn es künstlich erzeugt wird, ist hier nachweislich wirksam.
Schaltstelle Nr. 4 Die Kommunikation zwischen Großhirn und limbischem System durch freundliche Selbstgespräche fördern. Auf diese Weise werden die eigenen Empfindungen „versprachlicht“ und überhaupt erst einmal wahrgenommen und ernstgenommen, denn: Menschen, die depressiv werden, haben meist einen tiefgehenden Mangel an Selbstwahrnehmung und oft auch ein strenges Über-Ich, das gnadenlos antreibt. Dies hat zur Folge, dass das Alarmsystem im limbischen System ständig getriggert wird. Insbesondere bei traumatischen Vorerfahrungen ist dies der Fall. Vielen Menschen ist es völlig fremd, für das eigene seelische Gleichgewicht zu sorgen. Dabei kann ein Psychotherapeut hilfreich und häufig notwendig sein. Es geht darum, sich selbst erklären zu können, warum und welche Gefühle gerade da sind. Es ist der Prozess, aus der reinen Opferhaltung herauszukommen hin zu einem Gefühl von Selbstwirksamkeit, Verstehbarkeit und Selbstannahme.

Fazit

  • Der Hausarzt ist als Vertrauensperson eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Anlaufstelle für Betroffene. Hausärzte stellen entscheidende Weichen, um eine potenzielle Suizidgefahr zu dimmen und Patienten dazu zu ermutigen, etwas für sich zu tun und sich Unterstützung zu holen.

  • Der Hausarzt kann schnelle pragmatische Hilfe bieten in Form von Krankschreibung, psychisch wirksamen Medikamenten, oder auch einfach stärkende Substanzen (z.B. B-Vitamine) für eine vegetative Stabilisierung verschreiben.

  • Der Hausarzt kann bei seelischen Krisen auf absolute Alkoholkarenz dringen, ohne die es keine seelische Stabilisierung gibt. Es ist frappierend, wie häufig hinter einer "Depression" der chronische Alkoholmissbrauch steckt. Vielfach haben Betroffene schon seit langer Zeit versucht, ihre seelischen Probleme "wegzutrinken".

  • Mit dem Hausarzt kann der Patient klären, ob eine Einweisung in eine Akutpsychiatrie oder eine psychosomatische Kur angezeigt ist oder ob die ambulante Behandlung mit oder ohne Krankschreibung ausreicht. Viele Betroffene sind dankbar für erklärende Worte und wenn es nur die Empfehlung für hilfreiche Lektüre, für unterstützende Netzwerke am Wohnort oder digitale Anlaufstellen(z.B. Deutsche Depressionsliga) ist.

Der Medizinsoziologe Aaron-Antonovsky (1923-1994) hat das Salutogenese-Modell entwickelt.

Literatur bei der Verfasserin.

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.

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