Hält die KI Einzug in die Kardiologie?
Die Kardiologie ist geradezu prädestiniert für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI). Die Unmengen von Daten, die vor allem durch EKGs produziert werden, können KI-gestützte Systeme problemlos analysieren.
Laut Prof. Dr. Thomas Arentz, Universitäts-Herzzentrum Freiburg, Bad Krozingen, mit einer Genauigkeit und Vorhersagekraft, die weit über menschliche Fähigkeiten hinaus geht. KI-Systeme der bekannten Mayo Clinic in den USA waren etwa beim Interpretieren von EKGs so enorm treffsicher, “wie es kein Mediziner schafft”. Zudem konnten sie aus den EKG-Daten auch Informationen über Alter, Geschlecht und Kaliumwerte ableiten.
Das Ganze hat jedoch einen Haken: Die Ergebnisse stammen aus “unsupervised learning”, nicht überwachtem Lernen. “Selbst Spezialisten können dann nicht nachvollziehen, wie die Resultate zustande kommen”, so Prof. Arentz. Anders bei einer KI, die durch “supervised learning”, also überwachtem Lernen trainiert wurde: Als Prof. Arentz und sein Team einer KI kontrolliert beibrachten, die sogenannte P-Welle im EKG zu analysieren, ließ sich deren Diagnose verifizieren.
Der Nachteil dabei ist allerdings, dass die KI damit auch nicht besser ist als ihre menschlichen Kollegen. Dennoch sollte der Einsatz von KI künftig auf überwachtem Lernen basieren. “Denn gerade im Hochrisikobereich Medizin ist es zwingend erforderlich, dass Entscheidungen anhand nachvollzieh- und erklärbarer Ergebnisse getroffen werden”.
Obwohl es “an der Pforte klingelt”, hat das große Potenzial, dass die KI birgt, noch hohe Hürden unter anderem in Gestalt von EU-Vorgaben zu überwinden. Was Prof. Arentz begrüßt: “Ungeachtet der Möglichkeiten bleibt es unerlässlich, dass KI-Anwendungen sowohl effektiv als auch ethisch vertretbar sind”.
Mehr Laienreanimation steht im Fokus
Bei einem medizinischen Notfall zählt bekanntlich jede Sekunde. Besonders nach einem Herzstillstand entscheiden die ersten zehn Minuten über das Schicksal der Betroffenen. Hauptorgan ist dabei nicht das Herz, sondern das Gehirn: “Es erleidet bereits nach wenigen Minuten ohne ausreichende Sauerstoffversorgung irreparable Schäden”, so der Hamburger Kardiologe Prof. Dr. Alexander Ghanem.
Deshalb hat die schnelle erste Hilfe vor Ort durch Laienreanimation eine so immens hohe Bedeutung. Je schneller damit begonnen wird, desto besser stehen die Überlebenschancen. Denn das kritische Zeitfenster, von der Erstversorgung, über den Transport ins Krankenhaus und den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine, liegt bei nur einer Stunde – die bekannte “Golden Hour of ROSC”.
Die Quote der Laienreanimation liegt in Deutschland allerdings nur bei knapp fünfzig Prozent. Nur etwa die Hälfte der Bundesbürger leistet mithin sofort Hilfe, bis Rettungskräfte eintreffen. Ein hoher Nachholbedarf. “Die Bevölkerung muss sehr viel besser befähigt sein. Ersthelferkurse gibt es überall – jeder kann Leben retten”, appelliert Prof. Ghanem.
Die Hausärzte können ebenfalls einen Beitrag leisten: Indem sie ihre Patienten über die Wichtigkeit und Durchführung der Laienanimation aufklären. Auch die Bundesärztekammer stuft die Steigerung der Laienreanimationsquote als wichtigste Maßnahme zur Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung ein.
Geschlechtsspezifische Unterschiede besser überwinden
Frauen und Männer sind anders krank und werden anders wieder gesund – das gilt ganz Besonders für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lange unzureichend berücksichtigt, erlangt die Gendermedizin als Fachdisziplin nun zunehmend an Bedeutung.
In einem Positionspapier [1] wurde nun kürzlich der aktuelle Forschungsstand zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Kardiologie präsentiert, um die individualisierte Versorgung zu optimieren. In Studien sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert und in Diagnostik wie Therapie, gerade der medikamentösen, muss das Bewusstsein für die Unterschiede noch stärker geschärft werden.
Intensivmedizin Hand in Hand mit der Kardiologie
Zwischen der allgemeinen Intensivmedizin und der kardiologischen Intensivmedizin gibt es starke Überschneidungen – allen voran, was die Erkrankungen und die Charakteristika der Patienten angeht. Zudem machen im Erkrankungsspektrum auf einer Intensivstation fast die Hälfte der Fälle kardiovaskuläre Krankheiten aus. Entsprechend ist nach Ansicht von Prof. Dr. Marcus Hennersdorf, SLK-Kliniken Heilbronn GmbH, die Frage, ob die Intensivmedizin in die Kardiologie gehört, bereits beantwortet: “Unbedingt”.
In den USA beginnen sich kardiologische Intensivstationen bereits fest zu etablieren. Denn laut Prof. Hennersdorf ist angesichts der Schwere der Erkrankungen eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich, “um im Team ein hohes Maß an Expertise zu gewährleisten”.
Diese sei besonders zur Reduktion der nach wie vor alarmierend hohen Mortalitätsrate bei plötzlichem Herzstillstand essenziell. Um die Überlebensrate zu erhöhen, so der Heilbronner Kardiologe weiter, bedarf es der Optimierung der Rettungsketten und zugleich intensiver Weiterbildung des Personals: “Geschulte Teams sind ein wichtiger Schlüsselfaktor”.
Quellen: Vorträge im Rahmen der Herztage 2024 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie e.V. (DGK) vom 26. bis 28.9.2024 in Hamburg.
Literatur:
- Bäßler A. et al. Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen. Kardiologie 2024; 18: 293 – 321.