© 4x6 - stock.adobe.com Hinter den "Rauchenden Köpfen" stecken vier Praxiserfahrene, die sich unermüdlich dafür einsetzen, die Bürokratie im Praxisalltag zu minimieren: Dr. Sabine Frohnes, Dr. Christoph Claus, Timo Schumacher und Moritz Eckert. Aus ihrer Feder stammen etwa die bekannten EBM- und GOÄ-Spicker. Tipps zu Abrechnung und Regressschutz publizieren sie in jeder Ausgabe von "Der Hausarzt".
Lange warten Ärztinnen und Ärzte auf eine Neufassung der GOÄ, die aktuelle besteht seit 1996, in großen Teilen unverändert seit 1982. Immer wieder waren Überarbeitungen angekündigt und wieder verworfen worden. Seit September liegt ein Entwurf vor, den Bundesärztekammer (BÄK) und Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) erarbeitet haben. Ende Oktober verwies das Bundesgesundheitsministerium darauf, dass zunächst die innerärztlichen Streitigkeiten geklärt werden müssten, bevor es sich damit befasse. Die Gerüchteküche kocht hoch, von vermeintlicher Budgetierung bis zu existenzbedrohenden Verlusten ist die Rede. Doch was ist dran an der Kritik? Im Folgenden wird ein Blick auf klassische Fälle geworfen, um zu veranschaulichen, was die GOÄ neu für die durchschnittliche hausärztliche Praxis bedeuten kann.
Sind Privatversicherte lukrativer?
Ein Problem in der Diskussion scheint der Widerspruch zwischen der Erwartung eines besseren Verdienstes und der realistischen Umsetzung (wer zahlt das?) zu sein. In den 1980er und 1990er Jahren war die Versorgung von Privatversicherten in der Regel sehr lukrativ. Mancher mag hoffen, dass die Neufassung der GOÄ diese Verhältnisse wieder herstellt.
Aus hausärztlicher Sicht sind Privatversicherte bisher – oft im Gegensatz zu manchen fachärztlichen Praxen – gar nicht wesentlich lukrativer zu versorgen als GKV-Versicherte. Manche, die etwa über längere Zeit nur Verordnungen brauchen, werden sogar deutlich schlechter bezahlt als gesetzlich Versicherte, zumal wenn letztere an Hausarztverträgen teilnehmen.
Risiko zur Überversorgung
Allerdings ist es in der GOÄ möglich, den Ertrag durch Einzelleistungen zu steigern, gerade durch “technische” Leistungen wie EKG, Sonographie, Labor, Spirometrie etc. Dies birgt unserer Meinung nach für Privatversicherte eine Gefahr der Überdiagnostik und Übertherapie. Aufgrund des Leistungsspektrums könnte dieses Risiko im fachärztlichen oder stationären Bereich höher sein als im hausärztlichen. Dennoch kann auch eine vermeintlich unschädliche Pulsoxymetrie (GOÄ Nr. 602, ca. 16 Euro) zu iatrogener Fixierung bei banalen Erkrankungen führen, wenn diese unkritisch eingesetzt wird. Auch im hausärztlichen Bereich könnte die Indikation für technische Untersuchungen unter Umständen eher großzügig gestellt werden und so im ungünstigen Fall kontrollbedürftige Befunde erhoben werden, die die Menschen ohne medizinischen Nutzen verunsichern.
Andererseits kann eine aufwändige Versorgung von manchen Menschen aktuell in der GOÄ besser abgebildet werden als im EBM, wenn beispielsweise sehr viele Kontakte nötig sind. Denn eine Budgetierung wie im EBM gibt es nicht. Erbrachte und berechnete Leistungen müssen die Versicherten bezahlen und werden ihnen je nach Vertrag von der Versicherung erstattet.
Das bleibt gleich
Was bleibt im vorliegenden Entwurf wie in der bisherigen GOÄ? Weiterhin werden in der Regel Einzelleistungen einzeln abgerechnet. Anders als befürchtet können weiter unabhängig von der Fachgruppe Leistungen aus allen Kapiteln der GOÄ berechnet werden, sofern sie fachgerecht erbracht werden. Ebenso bleibt die Möglichkeit der Analogziffern erhalten (Paragraf 6 Abs. 2).
Eingeschränkt wird die Steigerung von Leistungen – sie ist aber weiterhin möglich, sofern dies vorher schriftlich vereinbart wird (Paragraf 2 Abs. 1). Davon ausgenommen sind Notfallversorgung und Schwangerschaftsabbrüche.
Das ändert sich
Was ändert sich? Schauen wir klassische Hausarztfälle an! Bei einem Entwurf von 975 Seiten haben wir sicher Details übersehen oder noch nicht “das Letzte herausgekitzelt”, das wird auch bei einer neuen GOÄ Jahre dauern. Es soll Ihnen aber einen Einblick geben, was für eine durchschnittliche Hausarztpraxis realistisch ist.
Pauschalen und kontaktunabhängige Ziffern
Für Hausärztinnen und Hausärzte interessant und eine wirkliche Verbesserung sind die neuen Pauschalen (Tab. 1 und Kasten unten “zwei hausärztliche Klassiker”). So würde für eine hausärztliche Betreuung die Ziffer 24 eingeführt, welche mit 90 Euro bewertet ist und zweimal im Halbjahr (also z.B. einmal pro Quartal) angesetzt werden kann. Ggf. kann zusätzlich die Ziffer 25 als Zuschlag angesetzt werden (35 Euro), sofern mehr als eine chronische Erkrankung vorliegt und die Betreuung aufwändig ist. Genauere Details, wann diese Voraussetzungen anerkannt werden und ob etwa manche Gebietsfachärzte auf die Idee kommen, sie seien die Hausärzte ihrer Patienten, ist aktuell nicht abzuschätzen. Merke : Mit diesen Grundleistungen wären Privatversicherte für Hausarztpraxen jedoch bereits besser bezahlt als im EBM. Hinzu kämen jeweils die Einzelleistungen.
Bei Neupatienten kann das Studium der Vorbefunde teils sehr aufwändig sein. Hier wurde mit der Ziffer 20 (41,15 Euro) für Befundsichtungen ohne Arzt-Patienten-Kontakt, sofern diese mindestens 10 Minuten dauern, eine neue Abrechnungsmöglichkeit geschaffen. Sie ist einmal im Jahr abrechenbar, also auch bei bekannten Patientinnen und Patienten, sofern diese aufwändig zu sichtende neue Befunde vorlegen.
Ebenso neu etabliert würden Ziffern für die Befüllung der elektronischen Patientenakte (E-PA), Notfalldatenmanagement (NFD)etc. Diese sind besser bewertet als im EBM und in der GOÄ derzeit nicht vorgesehen.
Der bundeseinheitliche Medikationsplan, der derzeit als Analogleistung A70 (5,36 Euro) ab mindestens 2 einzunehmenden Medikamenten berechnet werden kann, ist im neuen Vorschlag nach Ziffer 23 vorgesehen. Hier ab 3 Medikamenten, bewertet mit 14,23 Euro (inklusive Interaktionscheck – diesen erledigen die meisten PVS automatisch). Die 01630 EBM bei GKV-Versicherten ist mit 4,63 Euro bewertet, jedoch aufgrund vieler Abrechnungsausschlüsse selten anzusetzen.
Zwei “hausärztliche Klassiker”
Fall 1 : Herr Durchlauf (30 Jahre, keine chronischen Erkrankungen) kommt wegen eines gastrointestinalen Infektes. Er wird beraten, abdominell untersucht (Palpation, Auskultation und Perkussion) und bekommt eine Krankschreibung, Kontakt unter 10 Minuten. Finden im gleichen Quartal keine weiteren Kontakte statt, wäre nach aktueller GOÄ ein Umsatz von 37,54 Euro, nach neuer GOÄ von 136,02 Euro und im EBM von ca. 30 Euro erzielt worden (Tab. 2). Weitere Kontakte würden nur in der GOÄ zusätzlich bezahlt (außer spezielle Leistungen).
Fall 2: Frau Schnief hat einen Atemwegsinfekt (Folgekontakt). Es besteht erhöhter Beratungsbedarf, da sie überzeugt ist, ein Antibiotikum zu brauchen. Neben der Auskultation, Perkussion des Brustkorbs (sowie der Blutdruckmessung, um den Inhalt der Ziffer 7alt/17neu zu erfüllen) findet ein Gespräch von mehr als 10 Minuten statt. Ggf. könnte sich zusätzlich eine Pulsoxymetrie anbieten. Bei der Abrechnung schneiden beide GOÄ-Fassungen besser ab als der EBM (Tab. 3). Mit Pulsoxymetrie wäre die aktuelle GOÄ sogar vermeintlich attraktiver: Denn mit der Nr. 602 kämen dafür 15,98 Euro hinzu. Weil die 602 aber nicht neben der Nr. 3 erlaubt ist, müsste die Nr. 3 durch die Nr. 1 (Faktor 3,5 wegen längerem Gespräch) ersetzt werden. Insgesamt ergäben sich dann 59,08 Euro. Allerdings ist nach GOÄ neu die “Quartalspauschale” zu bedenken. Zudem ist fraglich, inwieweit eine Pulsoxymetrie bei normalen Infekten sinnvoll ist. Und abrechnungstechnisch wird diese Optimierung sicher meist vergessen.
Gespräche werden gestärkt
In der bisherigen GOÄ können kurze Gespräche nach Ziffer 1, längere Gespräche ab 10 Minuten nach Ziffer 3 berechnet werden. Die 3 unterliegt aber etlichen Ausschlüssen, es können also parallel viele Leistungen nicht berechnet werden. Bei lebensverändernden Erkrankungen kann zweimal im Halbjahr die Ziffer 34 berechnet werden, sofern das Gespräch mehr als 20 Minuten gedauert hat.
Die GOÄ neu sieht ein kurzes Gespräch nach Ziffer 1 (14,11 Euro) vor, bei Gesprächen ab 10 Minuten Ziffer 2 (21,21 Euro). Diese kann je vollendete 10 Minuten bis zu fünfmal am Kalendertag angesetzt werden, hier liegen keine Ziffernausschlüsse vor wie bei der aktuellen Ziffer 3 (Tab. 4). Interessant ist, dass es bei Gesprächen mit Palliativpatienten einmal im Behandlungsfall einen neuen Zuschlag (Ziffer 3, 80,21 Euro) geben soll. Insgesamt differenziert die GOÄ neu Beratungen stärker und bildet auch telefonische und E-Mail-Auskünfte besser ab.
Im EBM wird für hausärztliche Gespräche die 03230 mit 15,28 Euro je vollendete 10 Minuten fällig, jedoch begrenzt auf die Hälfte der Behandlungsfälle im Quartal.
Psychosomatische Grundversorgung
In der aktuellen GOÄ können therapeutische psychosomatische Gespräche erst ab 20 Minuten mit speziellen Ziffern abgerechnet werden, diagnostisch Ziffer 801 ohne Zeitvorgabe. Unterhalb von 20 Minuten stehen für das therapeutische Gespräch nur die normalen Gesprächsziffern 1 oder 3 zur Verfügung.
In der GOÄ neu gäbe es ab der ersten Minute eines psychosomatischen Gesprächs spezielle Ziffern (105 für angefangene 10 Minuten, 106 je vollendete 10 Minuten bis zu viermal je Sitzung; Tab. 5). Sie sind explizit für die psychosomatische Grundversorgung ohne Unterscheidung von Anamnese und Intervention benannt, so dass hier nicht mehr auf vermeintlich psychiatrische Ziffern zurückgegriffen werden müsste. Außerdem käme bei akuter psychischer Dekompensation zum Gespräch der Zuschlag 107 (31,02 Euro) hinzu. Dass die Dauer des Gesprächs in Minuten angegeben und medizinisch begründet werden soll, könnte sich als interessant bei der Rechnungstellung erweisen.
Hausbesuche
Obwohl auch Gebietsfachärzte Hausbesuche erbringen müssen, nehmen sie in der hausärztlichen Versorgung einen größeren Raum ein. Die Steigerung von 8 Euro in der GOÄ neu im Vergleichzur GOÄ von 1996 erscheint zunächst lächerlich (Tab. 6). Jedoch muss man hier ebenso berücksichtigen, dass die “Quartalspauschale” von 90 Euro hinzukäme. Auch wären die Abrechnungsmöglichkeiten des geriatrischen Assessments und der Palliativversorgung deutlich differenzierter formuliert und würden ausgebaut.
Die Fremdanamnese ließe sich in der aktuellen GOÄ nach Ziffer 4 (29,44 Euro), in der neuen GOÄ nach Ziffer 12 (30,88 Euro) berechnen. Neben anderen Gesprächsziffern kann die neue GOÄ 12 nicht angesetzt werden, bei Kindern bis 8 Jahre und z.B. dementen Menschen könnte man stattdessen den Zuschlag nach Ziffer 35ff ansetzen (10 bis 30 Euro, abhängig von der erbrachten Leistung), auch telefonisch.
Gesundheitsuntersuchung
Wie die Beratung würde mit dem neuen GOÄ-Entwurf auch die Früherkennung – in Form der Gesundheitsuntersuchung – aufgewertet. Mit 94,53 Euro schneidet die Ziffer 113 deutlich besser ab als der EBM (S. 23 Tab. 7). Ein Manko gibt es jedoch: Zwar findet sich in der GOÄ neu eine eigene Ziffer für das Hautkrebsscreening (Nr. 114, 37,94 Euro). Diese dürfte jedoch nicht parallel zur 113 (GU) abgerechnet werden. Die Dermatoskopie ist hingegen zusätzlich erlaubt (Nr. 4117, 18.39 Euro, oder 4118, 24,99 Euro).
Labor weniger attraktiv
Besser vergütet würden ebenso die Wundversorgung sowie die ärztliche Leichenschau, bei der die Zeitvorgaben gestrichen würden. Etwas schlechter werden Laborleistungen honoriert, was sich u.a. durch den Fortschritt der Technik mit effizienterer oder maschineller Bestimmung im Labor erklären lässt. Auch im EBM wird die Vergütung für Labore ab 2025 gesenkt.
Ob Praxen bei Privatversicherten das sogenannte “LG-Labor” bisher selbst in Rechnung stellen oder dies dem Labor überlassen, ist unterschiedlich. Selbstabrechner könnten mit der GOÄ neu hier weniger verdienen. Bereits bisher gibt es für einige Werte des LG-Labors, erkennbar am Zusatz H in der GOÄ-Ziffer, einen Höchstwert von 32,17 Euro. Dieser Wert soll in der GOÄ neu auf 14,61 Euro sinken (potentieller Verlust zu vorher: 17,56 Euro). Da es sich beim “LG-Labor” nur um vergleichsweise günstige Bestimmungen handelt, sollte dieser Höchstwert für medizinisch sinnvolle Abklärungen in der Regel aber reichen. Die neuen Regelungen könnten Menschen daher vor sinnlosen Labororgien schützen. Dies könnte hausärztliche Praxen sogar entlasten: Denn recht häufig beraten wir doch Menschen, denen andernorts ohne Krankheitsverdacht Blut abgenommen wurde und die aufgrund marginal erhöhter Werte nun verunsichert sind.
Schnelltests in der Praxis werden in etwa wie bisher vergütet. Für die kapilläre Blutabnahme würde eine neue Ziffer geschaffen (701, 5,01 Euro, die venöse Blutabnahme 700, 5,29 Euro).
Jede Impfung lohnt sich
Bei Impfungen, einer täglichen Tätigkeit in der hausärztlichen Praxis, kann man bisher lediglich eine Impfung am Tag regulär mit Ziffer 375 (10,72 Euro) abrechnen. Für weitere Impfungen gibt es nur die 377 (6,69 Euro), welche jedoch die Nr. 1 (10,72 Euro) für die ärztliche Beratung im gleichen Kontakt ausschließt – viele Praxen werden daher die zweite Impfung nicht berechnen.
Im neuen Entwurf ist jede einzelne Impfung mit der Ziffer 1000 (14,28 Euro) besser als bisher bewertet (und i.d.R. besser als im EBM). Zudem kann jede weitere Impfung am gleichen Tag mit der gleichen Ziffer angesetzt werden. Der Ausschluss gleichzeitiger Gesprächsleistungen wurde ebenfalls gestrichen.
Sono leichter abzurechnen
Ultraschalluntersuchungen bisher adäquat abzurechnen, fällt bislang manchen Hausärztinnen und -ärzten schwer: Denn für einzelne Organe müssen die Ziffern jeweils mehrfach angegeben werden. Bei mehr als vier Organen (also einer klassischen Abdomensonographie) muss die Ziffer 410 regulär und die 420 dreimal mit Steigerung aufgrund der Vielzahl der Organe notiert werden (dann Summe von 75,75 Euro). Die Ziffer 410 kann wiederum nur mit anderer Begründung (wie erschwerter anatomischer Bedingungen) gesteigert werden.
Nach GOÄ neu würde der Ultraschall des Abdomens inkl. benachbarter Organe mit der Ziffer 1222 (80 Euro) pauschal abgerechnet. Weitere abdominelle Organe können mit der 1223 (27 Euro) einmal je Sitzung berechnet werden. Hier würde also selbst bei optimierter Steigerung der alten GOÄ die neue GOÄ eine höhere Vergütung bedeuten (bei Optimierung 107 Euro). Die Schilddrüsensonographie (1207 39,55 Euro) dürfte parallel berechnet werden. •
Fazit
Leider kann durch den neuen GOÄ-Entwurf nicht die Kostensteigerung (Inflation) seit 1996 komplett aufgefangen werden, jedoch sind die vorgeschlagenen Bedingungen hausärztlich durchaus interessant. Da die Alternative bedauerlicherweise nicht aus einer fürstlichen Bezahlung jeder Leistung besteht, sondern darin, noch auf ungewisse Zeit mit der jetzigen GOÄ zu arbeiten, ist es wünschenswert, dass der Entwurf umgesetzt wird. Zudem könnte sich die GOÄ-Abrechnung potentiell vereinfachen, was vielen Kolleginnen und Kollegen entgegenkommen dürfte.
Reformvorschlag
Neue GOÄ: Nah und doch so fern
Abrechnung
BÄK und PKV-Verband: Auf Preise in GOÄneu geeinigt
Krankenversicherung
PKV-Verband: GOÄ-Reform zügig umsetzen
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