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Serie "Der Fall"Schilddrüse und Schwangerschaft: Was gilt es zu beachten?

Während der Schwangerschaft sorgt das Thema Schilddrüsenfunktion oft für Verunsicherung. Eine DEGAM-Leitlinie fasst zusammen, was Hausärztinnen und Hausärzte wissen sollten.

Das Thema Schilddrüsenfunktion während der Schwangerschaft ist oft mit großen Unsicherheiten verbunden.

Das sagt die Hausärztin

von Dr. Jeannine Schübel, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dresden

Das Thema Schilddrüsenfunktion während der Schwangerschaft ist oft mit großen Unsicherheiten verbunden. Mit Anstieg des Schwangerschaftshormons β-hCG sinkt der TSH-Wert im ersten Trimenon, da β-hCG am TSH-Rezeptor bindet und eine schwache Wirkung imitiert.

Dies tritt typischerweise gegen Ende des ersten Trimenons auf und ist in der Regel klinisch nicht relevant. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf steigt der TSH-Wert wieder leicht an. Diese Vorgänge gelten bei schilddrüsengesunden Schwangeren als vollkommen normal und gehen mit keinem Risiko für Mutter und/oder Kind einher.

Für Schwangere mit und ohne bekannte Hypothyreose gilt daher 4,0 mU/l als oberer TSH-Referenzwert – wie auch bei allen anderen Patientinnen und Patienten ≤ 70 Jahre. Frau M. hat also einen vollkommen “gesunden” TSH-Wert, der auch die Bestimmung der TPO-Antikörper nicht erforderlich macht.

Bisher existiert keine aussagekräftige Evidenz, die einen kausalen Zusammenhang zwischen erhöhtem TSH-Wert und Schwangerschaftskomplikationen nachweist. Aus diesem Grund wird auch ein TSH-Screening bei Schwangeren nicht empfohlen.

Die Entscheidung für oder gegen eine Hormonsubstitution orientiert sich wie gewohnt am TSH-Wert, unabhängig vom TPO-Antikörper-Status der Patientinnen. Eine manifeste Hypothyreose stellt auch bei Schwangeren eine klare Therapieindikation dar. Bei latenter Hypothyreose und einem TSH ≤ 10 mU/l ist der Nutzen einer Hormonsubstitution aber nicht eindeutig belegt.

Es gilt dabei mittlerweile als gesichert, dass eine L-Thyroxin-Substitution in dieser Situation weder die neurokognitiven noch die motorischen Fähigkeiten der Neugeborenen verbessert; Nachweise zur Reduktion des Abort- oder Frühgeburtlichkeitsrisikos durch eine Substitution existieren nicht.

Zum Beratungsgespräch in dieser Situation gehört zudem das Thema Jod: In der Schwangerschaft ist der tägliche Bedarf an Jod erhöht. Nach aktueller Datenlage ist eine Jodsupplementierung bei Schwangeren jedoch nicht notwendig, sofern sie täglich Milch-/Molkereiprodukte konsumieren und jodiertes Speisesalz nutzen.

Dr. Jeannine Schübel erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Das sagt die Gynäkologin

von PD Dr. med. Maren Goeckenjan, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden

In der Schwangerschaft beeinflussen hCG und Sexualsteroide, der veränderte Energiebedarf, die erhöhten Belastungen für Herz und Kreislauf sowie das wachsende Kind die Schilddrüsenfunktion. Im ersten Trimenon stimuliert hCG ähnlich wie TSH die Schilddrüsenfunktion und führt oft zu einem fT4-Anstieg, der typischerweise durch einen leichten Abfall von TSH begleitet wird.

Wenn die Frau keine vorbestehende Schilddrüsenerkrankung hat und sich gesund und ausgewogen ernährt, bleibt die Schilddrüsenfunktion in der Schwangerschaft trotz zahlreicher Veränderungen aber in der Regel normal und im Labor zeigen sich Werte im Bereich der allgemeinen Normwerte für TSH und fT4. Hingegen wirken sich Unter- und Übergewicht, Adipositas oder ausgeprägtes Schwangerschaftserbrechen auf die Schilddrüsenfunktion aus.

Mütterliche Schilddrüsenhormone sind wie Jod und die schilddrüsenspezifischen Antikörper plazentagängig. Das fetale Wachstum, die Bildung der fetalen Organe und die Entwicklung der Organfunktionen (vor allem der Nerven und des Gehirns) sind von der Schilddrüsenfunktion der Mutter abhängig. Erst ab 20 Schwangerschaftswochen kann der fetale Organismus selbst Schilddrüsenhormone produzieren.

Die Diskussion über Schilddrüsenfunktionsstörungen und Schwangerschaft begann in den Neunzigerjahren, als eine Studie nachwies, dass ab einem TSH von > 9 mU/l in der Schwangerschaft die neuropsychologische Entwicklung des Kindes negativ beeinflusst wird [1].

Zunächst riet man dann zu einer sehr frühzeitigen Substitution mit L-Thyroxin zum Schutz des Kindes, ab einem TSH-Wert von über 2,5 mU/l oder angepassten Normwerten entsprechend der Schwangerschaftswoche. Das führte zu einer ausgeprägten Übertherapie vor und in der Schwangerschaft, für die es jedoch keine Bestätigungen in Studien gab. Auch heute noch fehlen Studien, die eine solche L-Thyroxin-Substitution in der Schwangerschaft begründen; sie wird aber dennoch von vielen Gynäkologen und Experten empfohlen.

In der Bewertung von Schilddrüsenhormonen empfiehlt die noch gültige Leitlinie der amerikanischen Schilddrüsengesellschaft “trimesterspezifische Normwerte” [2]. Falls diese nicht vorliegen, kann mit der Faustregel “Normwert für nicht schwangere Frauen minus 0,5 mU/l” der Grenzwert für die Hypothyreose in der Schwangerschaft berechnet werden. Typischerweise ergibt sich ein Wert zwischen 3 bis 4 mU/l. Die generelle Anwendung von Normwerten wird jedoch sehr kritisch diskutiert [3].

Seit Jahren gibt es generelle Empfehlungen zur Supplementation von Mikronährstoffen in der Schwangerschaft. Dazu gehören die Empfehlungen zur täglichen Substitution von Jodid (mindestens 100-150 µg) und Vitamin D (400 IE) sowie von Folsäure (400-800 µg) zur Senkung des Risikos von fetalen Fehlbildungen.

Unbehandelte Schilddrüsenfunktionsstörungen und Jodmangel beeinflussen den Verlauf der Schwangerschaft negativ: Fehlgeburten, Präeklampsie, fetale Wachstumsstörungen und Frühgeburt können die Folge sein [4]. Der Jodmangel – früher die häufigste Ursache für dramatische Veränderungen in der Schwangerschaft und Hypothyreose des Kindes – ist zum Glück selten geworden.

Frau M. benötigt aktuell keine L-Thyroxin-Substitution; allerdings ist eine Kontrolle in ein bis zwei Monaten sinnvoll. Obwohl fast jede fünfte Schwangere Schilddrüsen-Antikörper hat (vor allem TPO-Antikörper) und TSH und periphere Schilddrüsenhormone in den meisten Fällen unauffällig sind, sind diese Antikörper ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Hypothyreose im Verlauf der Schwangerschaft. Eine gute Schilddrüsenfunktion bei erhöhten TPO-Antikörpern ist mit keinem erhöhten Schwangerschaftsrisiko assoziiert.

Dr. Maren Goeckenjan erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur:

  1. Haddow JE et al. Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of the child. N Engl J Med. 1999 Aug 19;341(8):549-55. doi: 10.1056/NEJM199908193410801
  2. Alexander EK et al. 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Thyroid. 2017 Mar;27(3):315-389. doi: 10.1089/thy.2016.0457
  3. Turkal R et al. Accurate interpretation of thyroid dysfunction during pregnancy: should we continue to use published guidelines instead of population-based gestation-specific reference intervals for the thyroid-stimulating hormone (TSH)? BMC Pregnancy Childbirth. 2022 Mar 31;22(1):271. doi: 10.1186/s12884-022-04608-z
  4. Abel MH et al. Iodine Intake is Associated with Thyroid Function in Mild to Moderately Iodine Deficient Pregnant Women. Thyroid. 2018 Oct;28(10):1359-1371. doi: 10.1089/thy.2018.0305

Das sagt die evidenzbasierte Medizin

Laut S2k-Leitlinie “Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis” [1] sollte ein routinemäßiges TSH-Screening bei Schwangeren ohne bekannte Schilddrüsenerkrankung nicht erfolgen: Es fehle bisher aussagekräftige Evidenz, die einen kausalen Zusammenhang zwischen erhöhtem TSH-Wert und Schwangerschaftskomplikationen nachweist.

Weiterhin heißt es in der Leitlinie: “Für Schwangere mit und ohne bekannte Hypothyreose sollte 4,0 mU/l als oberer TSH-Referenzwert gelten, sofern keine regionalen oberen TSH-Referenzwerte für Schwangere verfügbar sind”. Bei einem TSH im Normbereich sollten auch bei Schwangeren die TPO-Antikörper nicht bestimmt werden; bei Schwangeren mit erhöhtem TSH-Wert könne die Bestimmung der TPO-Antikörper einmalig erfolgen, wenn diese zuvor noch nie bestimmt wurden.

Bei einer manifesten Hypothyreose gibt es eine klare Therapieempfehlung zur Hormonsubstitution. Eine Empfehlung zur Hormontherapie bei latenter Hypothyreose in der Schwangerschaft könne aufgrund der vorliegenden Datenlage aktuell nicht formuliert werden, so die Leitlinienautoren.

Der Nutzen einer Hormonsubstitution bei Schwangeren mit latenter Hypothyreose und einem TSH ≤ 10 mU/l sei nicht eindeutig belegt. Auch ließen sich aus der Studienlage keine Empfehlungen für eine Therapieentscheidung in Abhängigkeit vom TPO-Antikörper-Status bei Schwangeren mit latenter Hypothyreose ableiten.

Circa 70 bis 80 Prozent der mit Levothyroxin vorbehandelten Schwangeren benötigen laut Leitlinie vorübergehend eine höhere Dosis (circa 20-30 Prozent), um euthyreot zu bleiben. Anzustreben sei eine durchgehend euthyreote Einstellung mit TSH-Wert zwischen 0,4 und 4,0 mU/l.

Nach der Schwangerschaft sinke der Bedarf bei den meisten Frauen wieder auf die präkonzeptionelle Dosis. Die Leitlinie empfiehlt daher, bei Patientinnen mit vorbestehender Hypothyreose postpartal auf die präkonzeptionelle Dosis zu reduzieren.

Bei Schwangeren mit Hypothyreose, die eine Hormonsubstitution erhalten, sollte das TSH mindestens einmal pro Trimenon kontrolliert werden, je nach Verlauf und Höhe des TSH-Werts ggf. auch häufiger. Sechs Wochen nach der Geburt sollte eine erneute TSH-Kontrolle erfolgen, um die Notwendigkeit einer Therapiefortsetzung bzw. einer möglichen Dosisreduktion oder Therapiebeendigung zu erfassen.

In der Schwangerschaft ist der tägliche Bedarf an Jod gesteigert. Die Evidenzlage hinsichtlich einer Jodsupplementierung vor, während und nach der Schwangerschaft ist der Leitlinie zufolge aber unzureichend. Bei Schwangeren sei bei der Anamnese das Ernährungsverhalten zu thematisieren und eine Jodsupplementierung davon abhängig zu machen, so die Leitlinie. Wegen der schwachen Evidenz gibt es keine Empfehlung zur Selensupplementierung in der Schwangerschaft.

Quelle:

1. DEGAM-S2k-Leitlinie “Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis”. AWMF-Register-Nr. 053-046, www.degam.de/leitlinie-s2k-053-046

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