Eine Lebensstilmodifikation mit einer radikalen Gewichtsabnahme führt bei manifestem Typ-2-Diabetes zu klinischen Remissionen – das haben neben der britischen DIRECT-Studie [1] weitere klinische Studien aus Katar [2] und Kanada [3] gezeigt. Wer es schaffte, mehr als 15 kg Gewicht abzunehmen, hatte in der britischen Studie zwei Jahre nach der Intervention eine 70-prozentige Chance, in klinischer Remission zu sein [4].
Dabei war bei den Teilnehmern initial im Mittel seit vier Jahren ein Typ-2-Diabetes bekannt und 75 Prozent hatten mindestens ein orales Antidiabetikum. Grundlage der radikalen Gewichtsabnahme war in allen Studien ein zeitweise kompletter Mahlzeitenersatz mit Formula-Diäten.
Ein aktuelles Umbrella-Review von Metaanalysen und systematischen Reviews [5] kommt zu dem Schluss, dass “sehr energiearme Diäten und der Einsatz von flüssigem Mahlzeitenersatz die wirksamsten Ansätze zur Induktion von klinischen Remissionen zu sein scheinen, da sie im Allgemeinen weniger Energie liefern als selbst verabreichte nahrungsbasierte Diäten”.
Erfolge bei länger Erkrankten
Dieser Ansatz funktionierte aber auch bei längerer Typ-2-Diabetes-Dauer (über 11 Jahre) [6]: In der TeLiPro-Studie wurde in der ersten Woche ein kompletter Mahlzeitenersatz mittels Formula-Diät durchgeführt. Ab der zweiten Woche sollten die Personen mit Typ-2-Diabetes eine Kohlenhydrat-reduzierte Mittagsmahlzeit verzehren und weiterhin zum Frühstück und Abendessen die Mahlzeiten durch einen Formula-Diät-Shake ersetzen.
In dieser Zeit wurden die Patienten dazu angehalten, den Blutzucker vor und circa 1,5 Stunden nach der Mahlzeit zu messen, um eine unmittelbare Auswirkung der Mahlzeit zu sehen. Ab Woche 5 sollten sie nur noch das Abendessen durch eine Formula-Diät-Mahlzeit ersetzen.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die in der Routineversorgung verblieb, konnten die Teilnehmenden der Formula-Diät-Gruppe bereits nach zwölf Wochen ihren HbA1c signifikant reduzieren. Entsprechendes wurde auch für das Körpergewicht, den Body-Mass-Index und den Blutdruck festgestellt.
Gleichzeitig benötigten die Teilnehmenden der Interventionsgruppe weniger Insulin und verspürten weniger Hunger. Diese Erfolge blieben auch in der Phase der Nachbeobachtung erhalten.
Low Carb statt Low Fat
Über viele Jahre wurde Patienten mit Typ-2-Diabetes geraten, eine fettarme und kalorienreduzierte Ernährung einzuhalten. Studien der letzten Jahre haben jedoch nachgewiesen, dass bei Typ-2-Diabetes die Reduktion der Kohlenhydrate im Vordergrund stehen sollte.
Der pathophysiologische Hintergrund ist, dass der Typ-2-Diabetes durch eine Hyperinsulinämie charakterisiert ist, die auf eine Insulinresistenz zurückgeführt wird. Neuere Überlegungen sehen eine umgekehrte Kausalität: Der Körper schützt sich durch eine Insulinresistenz vor einer ernährungsbedingten Hyperinsulinämie [7].
Diese Insulinresistenz wirkt sich jedoch nur auf die blutglukosesenkende Wirkung von Insulin aus. Die zusätzliche Wirkung von Insulin, die Blockade der Lipolyse und die Förderung der Lipogenese, ist nicht durch die Insulinresistenz beeinflusst.
Durch eine fettreduzierte und kohlenhydratreiche Kost wird die Hyperinsulinämie verstärkt und den Betroffenen die Gewichtsabnahme deutlich erschwert. Nicht nur Haushaltszucker, sondern sämtliche Stärkeprodukte wie Kartoffeln, Reis, Nudeln oder Brot führen zu postprandialen Glukosespitzen mit entsprechenden Insulinanstiegen.
Herz-Kreislauf-Risiko sinkt
Auch in Hinblick auf kardiovasukläre Ereignisse scheint Low Carb einer Low-Fat-Ernährung überlegen zu sein. In die dreiarmige PREDIMED-Studie wurden Personen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko eingeschlossen [8].
Während die Kontrollgruppe in der Beratung eine fettarme Kost empfohlen bekam, sollten sich die Teilnehmer in der Interventionsgruppe mediterran ernähren, wobei eine Gruppe eine Olivenöl-Supplementierung, die andere 30 g Nüsse pro Tag erhielt.
Die Studie musste nach 4,8 Jahren abgebrochen werden, da der primäre Endpunkt (Myokardinfarkt, Apoplex oder Tod aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses) in der Kontrollgruppe im Vergleich zu den Gruppen mit mediterraner Ernährung signifikant häufiger auftrat, sodass es unethisch erschien, der Kontrollgruppe weiterhin zu einer fettarmen Ernährung zu raten.
Bei Personen ohne Diabetes konnte durch Olivenöl das Neuauftreten eines Typ-2-Diabetes signifikant reduziert werden [9]. Interessanterweise führte die fettreiche Ernährung auch zu einer günstigeren Gewichtsentwicklung [10].
In der PURE-Studie, einer internationalen Beobachtungsstudie [11], hatten Probanden mit einem hohen Fettanteil in der Ernährung ein niedrigeres Sterberisiko als jene mit niedriger Fettzufuhr; eine hohe Kohlenhydratzufuhr ging dagegen mit einem um 28 Prozent erhöhten Sterberisiko einher.
Die Ende 2021 publizierten Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zur Ernährung bei Personen mit Typ-2-Diabetes berücksichtigen diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse [12]. So empfehlen sie unter anderem eine moderate Reduktion der Kohlenhydrate für die Gewichtsreduktion bei Typ-2-Diabetes. Auch Formula-Diäten werden ausdrücklich als Therapieoption erwähnt.
Fazit und Tipps für die Praxis
Noch vor wenigen Jahren galt “Einmal Diabetes – immer Diabetes”. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass der Typ-2-Diabetes keine Einbahnstraße ist: Es gibt die Kehrtwende zurück in die klinische Remission. Der Schlüssel dafür ist eine radikale Gewichtsabnahme.
In der hausärztlichen Praxis sollten Sie Patienten mit Typ-2-Diabetes auf diese neuen therapeutischen Möglichkeiten hinweisen. Tabellen zur Berechnung von Broteinheiten bzw. Kohlenhydrat-Portionen können ein nützliches Hilfsmittel für Betroffene sein, da sie Nahrungsmittel damit hinsichtlich der endogenen Insulinproduktion beurteilen können.
Durch die Selbstmessung der Blutglukose vor und 1,5 Stunden nach der Mahlzeit lässt sich die Ernährungsumstellung überprüfen: Jeder Glukoseanstieg führt konsekutiv zum Anstieg von Insulin und zu den negativen Auswirkungen auf das Fettgewebe.
Literatur:
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Potenzielle Interessenkonflikte:
Forschungsunterstützung: Boehringer Ingelheim, Biotest, Almased Wellness GmbH, Tchibo, gbo Gerätebau, Fractyl, Bionorica.
Vortragstätigkeit: AstraZeneca, Almased Wellness GmbH, Novo Nordisk, Boehringer Ingel-heim, Lilly, Finanzministerium NRW.
Beratertätigkeit: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Almased Wellness GmbH, Central und AXA Versicherung, Bionorica, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutsches Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung, Fractyl, KV Nordrhein, AOK Rheinland-Hamburg, Deutsches Grünes Kreuz.
Buchautorschaft: Autor der Bücher „Das neue Diabetes-Programm“ erschienen im TRIAS Verlag, sowie „Wie Insulin uns alle dick oder schlank macht“ erschienen im Becker-Joest-Volk Verlag.