Rückblende: Es ist der 31. März 2017 – und die Blicke der deutschen Gesundheitspolitik richten sich auf ein lang erwartetes Papier: Der Masterplan Medizinstudium 2020 wird publik. Er zeigt auf, wie die derzeit gültige Approbationsordnung aus dem Jahr 2002 weiterentwickelt werden soll, um die Versorgung zukunftsfit zu machen.
Seither hat sich – außer einigen wenigen Papiertigern – jedoch nicht viel getan. Zuletzt ist die Arbeit einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe wohl in die Mühlen der Bundestagswahl geraten, zu etwaigen Zwischenergebnissen hat das Gesundheitsministerium nichts zu vermelden.
Dabei ist dringend Tempo geboten: Die Universitäten rechnen mit vier Jahren, die für die Umsetzung einer Studienreform nötig seien. Das ursprüngliche Zieldatum, der 1. Oktober 2025, wäre damit schon heute nicht mehr zu halten.
“Es ist unverantwortlich, dass diese Chance in den letzten Jahren verschlafen wurde”, kritisiert Ulrich Weigeldt scharf. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes warnt vor “katastrophalen Folgen für die hausärztliche Nachwuchssicherung”, sollte das Zeitspiel nicht bald ein Ende haben.
Diese Gefahr sieht auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd): “Die Politik und die Universitäten lassen sich die Chance entgehen, Ärztinnen und Ärzte auszubilden, die in der Versorgungslandschaft von morgen gut arbeiten können”, schreiben Sprecherin Emily Troche und ihr Team in einem aktuellen Gastbeitrag (Siehe Kasten am Ende dieses Artikels).
Länder sperren sich
Zwar besteht über die inhaltliche Neuausrichtung des Studiums weitgehender Konsens. Doch sperren sich die Länder – zuletzt in Form eines Bundesratsbeschlusses vom Mai 2021 – mit Verweis auf eine fehlende Kostenübernahme sowie der Forderung nach mehr Autonomie [1], denn Hochschulfragen sind traditionell Ländersache.
Mit Blick auf die Kosten kursieren drei verschiedene Schätzungen: In einer Berechnung zeigt die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM), dass die geplanten Schritte “zu moderaten Mehrkosten von 5.940 Euro pro Studierendem für die gesamte Studiendauer führen würde” [2].
In eine ähnliche Richtung weist die Interinstitutionelle Arbeitsgruppe Bildungs- und Prüfungsökonomie: Sie taxiert den Anstieg auf drei bis vier Prozent [3], bei 200.000 bis 400.000 Euro je Studienplatz also 6.000 bis maximal 16.000 Euro.
Der Medizinische Fakultätentag (MFT) hingegen nimmt mit Mehrkosten von 15 bis 18 Prozent – 32.000 bis 40.000 Euro – eine deutlich höhere Zahl an, auf die sich die Finanzminister der Länder beharrlich berufen. Für Hausärzteverband und DEGAM ist das “nicht nachvollziehbar”.
“Hier wurde eine sehr hohe Zahl in die Diskussion geworfen, die nicht nachvollziehbar ist und die die Blockade des Masterplans mit verantwortet”, kritisiert Hausärzte-Chef Weigeldt. Andere Schätzungen gingen von deutlich niedrigeren Werten aus. “Dass man die angeblich hohen Kosten vorschiebt, um die Reform nicht umsetzen zu müssen, ist inakzeptabel.”
Stattdessen “verlieren sich die Gesundheits- und Finanzminister der Länder in kleinkarierten Streitereien um die Kosten, befeuert von völlig überzogenen, unrealistischen Berechnungen des Fakultätentags”, kritisierte sein Vize, Dr. Markus Beier, im Mai beim Bayerischen Hausärztetag in Erlangen.
Lauterbach ist gefragt
Der MFT setzt dagegen, dass die Approbationsordnung, “bei der kein Stein auf dem anderen bleibt”, an den Fakultäten nur auf Basis einer soliden Finanzierung umsetzbar sei.
Er verweist auf die Notwendigkeit, dass Bund und Länder wieder an den Gesprächstisch zurückkehren. Im Ziel seien sich alle Akteure einig, unterstreicht MFT-Generalsekretär Dr. Frank Wissing gegenüber “Der Hausarzt”.
Leider scheine es für Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) aktuell keine Priorität zu haben, den Dialog wieder aufzunehmen, kritisiert er. Die Folge: Schon heute stagnierten Entwicklungen an Universitäten, etwa mit Blick auf die digitale Lehre, weil die Hochschulen auf die geplanten Schritte warteten, so Wissing.
Lehrpraxen stehen bereit
Ein weiteres – unbegründet – ins Spiel gebrachte Argument ist jenes der Lehrpraxen. Deren Zahl wird sich erhöhen müssen: Das Praktische Jahr (PJ) wird von drei Tertialen auf vier Quartale umgestellt, eines von zwei Wahlquartalen muss in der hausärztlichen Versorgung oder einem anderen “klinisch-praktischen Fachgebiet vollständig im ambulanten vertragsärztlichen Bereich” geleistet werden. Hierfür ist ausdrücklich eine Lehrpraxis vorgesehen.
2021 waren laut DEGAM zwischen 50 und 420 Lehrpraxen pro universitärem Standort vorhanden, im Vorjahr waren es noch 50 bis 384.
Man gehe davon aus, dass die Zahl ausreichend ist und sich weitere Praxen gut rekrutieren lassen, entkräftigt die DEGAM Skepsis. Einerseits würden Kapazitäten durch das entfallende Pflichtfach frei. “Gleichsam ist bisher nur ein kleiner Teil der Praxen in Deutschland beteiligt und das Potenzial damit groß.”
Fazit
Der Masterplan Medizinstudium 2020 liegt seit über fünf Jahren auf dem Tisch, die Umsetzung ist jedoch ins Stocken geraten.
Ein Knackpunkt ist die offene Finanzierung: Die Länder sperren sich, den Masterplan ohne Unterstützung bei der Übernahme der Kosten durch den Bund umzusetzen. Die Mehrkosten werden zwischen 6.000 und 40.000 Euro pro Studienplatz beziffert.
Der Deutsche Hausärzteverband, die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) sowie die DEGAM drängen seit Jahren auf eine zügige Umsetzung des Masterplans; auch der Deutsche Ärztetag hat diese zuletzt angemahnt.
Quellen:
[1] https://www.bundesrat.de, zuletzt besucht am 12.7.22
[2] https://www.degam.de, zuletzt besucht am 12.7.22
[3] https://www.dgaap.de, zuletzt besucht am 12.7.22