In dem aktuellen Fehlerbericht (s. unten) wird die Diagnose eines malignen Schilddrüsentumors möglicherweise mehrere Jahre verzögert gestellt – zu diesem Zeitpunkt ist eine kurative Behandlung nicht mehr möglich.
Hier treffen gleich mehrere Faktoren aufeinander, die zu dem Vorfall geführt haben können: Im CT- Befund wird ein unklarer Schilddrüsenbefund zwar beschrieben, aber nicht mehr in der Zusammenfassung genannt.
In die Diagnostik sind mehrere Einrichtungen eingebunden, was es erschwert, den Überblick zu behalten. Dadurch sind die Zuständigkeiten nicht ganz klar: Wer bespricht die Befunde mit der Patientin, wer führt die Befunde zusammen, wer entscheidet über die Vorgehensweise?
Hinzu kommt der generelle Zeitdruck in der Hausarztpraxis. Letztlich können wir auch nur mutmaßen, ob der Tumor durch anderes Handeln früher hätte diagnostiziert werden können oder nicht.
Nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch im Arbeitsleben begegnet uns eine wahre Informationsflut. Tagtäglich gilt es, viele Informationen zu filtern und zu verarbeiten – aktuell besonders verstärkt durch die Corona-Pandemie.
Dabei handelt es sich nicht nur um neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder gesetzliche Vorgaben, sondern eben auch um Laborwerte, stattgehabte Untersuchungen und vieles mehr.
Fehlerbericht #958
Was ist passiert?
Bei einer 50-jährige Patientin mit Fieber unklarer Genese hatten die hausärztlichen Untersuchungen zu keiner Diagnose geführt. Ich überwies sie unter anderem an einen Onkologen, um eine Tumorerkrankung auszuschließen.
Dieser veranlasste ein Ganzkörper-CT, der Befund ging nachrichtlich an mich. Die zusammenfassende Beurteilung ging vor allem auf eine unklare Leberläsion und ein Lipom im Bauchraum ein. Im Text zum Befund des Halses stand eine kurze Bemerkung zu einer knotigen Struma links mit hypodenser Läsion sowie vergrößerten submandibulären Lymphknoten beidseits.
Das fiel mir zunächst nicht weiter auf und war im weiteren Verlauf nicht mehr präsent. Die Ursache des Fiebers wurde nie gefunden, die Fieberschübe ließen irgendwann von selbst nach. Drei Jahre später wurde ein seltener, maligner Schilddrüsentumor diagnostiziert, der nicht mehr kurativ behandelt werden kann.
Was war das Ergebnis?
Ich habe die Chance verpasst, eine vielleicht noch kurativ zu behandelnde Erkrankung rechtzeitig zu diagnostizieren. Wäre mir der Schilddrüsenbefund präsent gewesen, hätte ich zumindest eine Sonografie zur Kontrolle durchgeführt. Die relativ junge Patientin ist nun in einer palliativen Situation.
Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?
Ich habe es versäumt, dem Befund nachzugehen. Eine einfache Sonografie der Schilddrüse hätte vielleicht gereicht, um den Tumor rechtzeitig zu diagnostizieren. Täglich laufen viele zum Teil sehr ausführliche Befundberichte über meinen Tisch.
Ich bemühe mich, wichtige Hinweise und sich ergebende weitere Kontrollen bzw. Diagnostik als Erinnerung separat und hervorgehoben in die EDV zu schreiben – trotzdem ist mir dieser Hinweis entgangen.
Welche Maßnahmen wurden aufgrund dieses Ereignisses getroffen oder planen Sie zu ergreifen?
Ich nehme mir vor, Berichte noch genauer zu lesen und weiß doch, dass dazu oft weder die Zeit, Ruhe oder Konzentration vorhanden ist, wenn in der Mittagspause und/oder abends nach einem langen Arbeitstag die volle Befundmappe auf meinem Schreibtisch liegt.
Was tun?
Wie können Sie sicherstellen, dass die wirklich wichtigen Informationen erkannt und bearbeitet werden?
- Vereinbaren Sie zusammen mit der Überweisung zu einer Diagnostik direkt einen Termin zur Wiedervorstellung.
- Vereinbaren Sie nach Überweisung zu anderen Facharztpraxen ebenfalls einen Termin zur Besprechung.
- Schaffen Sie ein konkretes Zeitfenster zur Durchsicht von Befunden.
Je nach Praxisorganisation und Praxisverwaltungssystem können Sie oder Ihre Mitarbeitenden auch (automatisierte) Erinnerungen erstellen, die daran erinnern, bestimmte Befunde zu recherchieren oder Termine zu vereinbaren.
Manchmal ist es auch hilfreich, in der Sprechstunde Notizen mit offenen Punkten anzulegen und sie dann nach Ende der Sprechstunde nochmals durchzugehen.
Derzeit erreichen die meisten Befunde die Hausarztpraxis per Fax oder postalisch, einen Teil bringen unsere Patientinnen und Patienten mit. Zukünftig ist zu erwarten, dass Befunde zunehmend digital eintreffen, zum Beispiel über das KIM-Modul in der Telematikinfrastruktur.
Das erschwert das klassische Markieren mit einem Textmarker oder Ähnliches und erfordert neue Strategien für das Erfassen der wichtigsten Befunde. Hilfreich können hierbei etwa digitale Notizen sein oder ein PDF-Programm, das eine Art digitale Textmarker-Funktion anbietet.
In jedem Fall bleibt das Erkennen von wichtigen Befunden in der Informationsflut aktuell und wichtig, aber auch eine Herausforderung.
Dieser Beitrag ist an Empfehlungen der Arbeitsgruppe “CIRSambulant” der Ärztekammer Berlin angelehnt. Sie möchten regelmäßig aufgearbeitete Fälle dieser AG als Newsletter erhalten? Dann mailen Sie an: CIRSambulant@aekb.de