Lockerungen in der Corona-EpidemieZurück zur Normalität?

Die "allererste Phase" der Corona-Krise sei geschafft, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Nun soll Deutschland weitere Schritte Richtung Normalität gehen – auch im medizinischen Bereich.

Leeres Sprechzimmer: Das soll ab sofort wieder seltener werden.

Berlin. Geschäfte sollen wieder öffnen, in Kliniken und Pflegeheimen soll jeder Patient oder Bewohner wiederkehrenden Besuch durch eine bestimmte Person bekommen dürfen – sofern “kein aktives Infektionsgeschehen” in der jeweiligen Einrichtung beobachtet wird. Deutschlandweit werden die Regeln in der Corona-Krise spürbar gelockert. Über das Tempo bestimmen die Bundesländer in vielen Bereichen selbst – etwa bei Schulen, Kitas und Unis, der Gastronomie, Kinos oder Opernhäusern. “Wir können uns ein Stück Mut leisten, aber wir müssen vorsichtig bleiben”, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch (6. Mai) nach einer Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer.

Aber: Sollten sich irgendwo zu viele Menschen zu schnell anstecken, wird ein “Notfallmechanismus” greifen: So sollen die Länder sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen sofort wieder konsequente Beschränkungen umgesetzt werden. Es kann dabei auch nur um eine Einrichtung gehen, etwa ein Krankenhaus.

Die Vorsicht im Umgang mit älteren Menschen und anderen Risikogruppen müsse bestehen bleiben, betonte Merkel.

Rückkehr zu Regelversorgung möglich und nötig

Der Pandemie-Verlauf ermöglicht auch die notwendige Rückkehr zur medizinischen Regelversorgung, wie Ärztevertreter – darunter Deutscher Hausärzteverband, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) – betonen.

„Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet aktuell noch knapp 24.000 mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierte Personen. Die Zahl der neu gemeldeten Fälle sinkt kontinuierlich, die daraus zu berechnende Reproduktionszahl R liegt bereits seit längerem deutlich unter 1. So lange die Reproduktionszahl unter dem Wert 1 bleibt, ist eine Überforderung der medizinischen Behandlungskapazitäten nicht zu befürchten”, fasste KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Vortag der offiziellen Verkündung der geplanten Lockerungen das aktuelle Geschehen aus medizinischer Sicht zusammen.

Wie der Deutsche Hausärzteverband an zahlreichen Stellen betonte auch Gassen, dass die “größere Bedrohung” andere Gesundheitsrisiken darstellen, wenn eine Rückkehr zur vertragsärztlichen Regelversorgung nicht zeitnah erreicht wird. “So dürfen Vorsorge und Krankheitsfrüherkennung sowie regelmäßige Verlaufskontrollen bei behandlungsbedürftigen chronischen Krankheiten nicht länger ausgesetzt werden.“ Dies gelte insbesondere für chronisch kranke Patienten, wie etwa 2,1 Millionen mit COPD, 2,5 Millionen mit Herzinsuffizienz, 7 Millionen mit Diabetes mellitus und 19 Millionen mit Hypertonie. Eine schrittweise Rückkehr zum Normalbetrieb in den Praxen sei ebenso zwingend erforderlich, wie im Alltagsleben der Bürger, so Gassen. Bereits wenige Tage zuvor hatte er bereits vor Journalisten skizziert, dass nach der Corona-Epidemie andernfalls eine erhöhte Sterblichkeit drohe, weil etwa Krebserkrankungen zu spät diagnostiziert würden.

„Den aktuell nur noch knapp 22.000 mit dem SARS-Co-2-Virus infizierten Personen, die zu etwa 85 Prozent ambulant ärztlich betreut werden müssen, stehen rund 1,8 Millionen Menschen gegenüber, die täglich hausärztlich versorgt werden”, erinnert Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi. Deshalb müsse die ambulante medizinische Betreuung der Covid-19-Patienten Teil der (haus)ärztlichen Regelversorgung werden. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) spricht sich das Zi in einem Positionspapier dafür aus, die medizinische Versorgung vor diesem Hintergrund konsequent in drei Stränge zu teilen:

  • Patienten mit allgemeinen Behandlungsanlässen ohne Verdacht auf eine Covid-19-Infektion
  • Patienten mit einem Verdacht auf eine Covid-19-Infektion oder in Quarantäne als Kontaktperson und
  • solche mit bestätigter Covid-19-Infektion.

Eine Kernforderung des gemeinsamen Papiers ist die systematische Testung der Patienten unter Risiko und der Gesundheitsberufe. Ein genereller Ruf nach “mehr Tests” sei aus Laiensicht zwar verständlich, jedoch reiner Aktionismus, sagte auch Gassen jüngst und plädierte ebenfalls dafür, Tests auf vulnerable Gruppen und medizinisches Personal zu konzentrieren. Je nach Testprogramm und Pandemieverlauf sind nach Berechnungen des Zi etwa 500.000 Tests pro Tag erforderlich, um die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Infizierten und deren Kontaktpersonen in der Bevölkerung sowie die Bewohner von Pflegeheimen regelhaft zu testen. Die KBV bezifferte die aktuellen Testkapazitäten zuletzt mit 820.000 Tests pro Woche (in 116 Laboren, KW 18).

Hausärzte fahren Praxisbetrieb wieder hoch

Berichte von Hausärzten aus ganz Deutschland zeigen, dass die jüngsten Forderungen vielerorts bereits gelebte Realität sind: So würde der Praxisbetrieb, der in den vergangenen Wochen an vielen Orten deutlich heruntergefahren worden war, langsam, aber sicher wieder “anziehen”. Auch planbare Untersuchungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Check-ups würden wieder aufgenommen; gleiches ist auch für den Kliniksektor ausdrücklich vorgesehen.

Wichtig ist dafür aber nach wie vor, das betonen Deutscher Hausärzteverband und KBV unisono, eine ausreichende Ausstattung der Praxen mit Schutzmaterialien. So plädiert der Deutsche Hausärzteverband, dass die befristete Sonderregelung, nach der Ärzte Patienten mit leichten Atemwegsbeschwerden auch nach rein telefonischer Anamnese krankschreiben dürfen, auch aufgrund der fehlenden Schutzausrüstung bis mindestens Ende Juni Bestand haben müsse.

Auch wenn sich die Lage zwischenzeitlich entspannt hat, kritisierte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister am Donnerstag (30. April) vor diesem Hintergrund deutlich die herrschende Maskenpflicht. Der Umgang mit selbstgenähten oder eigentlich für den medizinischen Bereich vorgesehenen Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS) sowie kursierende Empfehlungen etwa zum “Ausbacken” seien “mit höchster Fraglichkeit” zu betrachten. “Durch die vermeintliche Sicherheit entstehen neue Gefahren, wenn beispielsweise Abstandsregeln nicht eingehalten werden.” Eine Ausstattung der gesamten Bevölkerung mit Einmal-MNS sei nicht zu realisieren, da diese weiterhin in Kliniken und Praxen benötigt würden.

Zi: Reproduktionszahl R = 0,67

Das Zi hat anhand der vom RKI laufend berichteten Zahlen zur Ausbreitung der COVID-19-Pandemie die Reproduktionszahl R mit 0,67 bewertet. Die für das Pandemie-Management zentrale Kenngröße der Reproduktionszahl R beschreibt, wie viele Personen ein aktuell akut Infizierter in einem Zeitraum von rund zehn Tagen ansteckt. Seit dem 2. April berichte das RKI rückläufige Zahlen gemeldeter Neuinfektionen, erinnern KBV und Zi in einer gemeinsamen Mitteilung. „Schwankungen der Kennzahl R sind hierbei zu erwarten; nicht jede Zunahme der gemeldeten Fälle oder der Reproduktionszahl ist beim gegenwärtig erreichten Stand aber gleichermaßen kritisch zu beurteilen“, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried.

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