Ärzte müssen sich auf eine neue Prüfung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) einstellen. So muss künftig auch mit Honorarkürzungen rechnen, wer die seit 1. September vorgeschriebenen 25 Sprechstunden pro Woche unterschreitet – was zu neuen Prüfmechanismen führt. Diese könnten vor allem Hausärzte betreffen, die viele Patienten in die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) oder Disease-Management-Programme (DMP) eingeschrieben haben. Das geht aus einer bei Redaktionsschluss noch unveröffentlichten Regelung der KBV hervor, die “Der Hausarzt” vorliegt. Abzuwarten bleibt, wie die KVen dies regional umsetzen werden.
Bisher kontrollieren die KVen die Plausibilität nach Zeitvorgaben (Paragraf 106d SGB V) sowie nach Paragraf 11 der Bundesvereinbarung zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen, ob Ärzte zu viele Patienten gemeinsam mit anderen Praxen behandeln. Mit finanziellen Sanktionen muss eine Praxis rechnen, die nach den Zeitvorgaben der einzelnen Leistungen im EBM (Kapitel VI, Anhang 3) an mindestens drei Tagen mehr als 12 Stunden oder im Quartal mehr als 780 Stunden gearbeitet haben will bzw. sich mit einer anderen Praxis mehr als 20 Prozent (fachgleich) bzw. 30 Prozent (fachübergreifend) der Patienten geteilt hat.
Hinzu kommt nun eine Prüfung des Versorgungsauftrags nach Paragraf 95 Abs. 3 SGB V. Sprich: Es wird auch geprüft, ob Ärzte zu wenig arbeiten, indem sie die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführte Mindestsprechstundenzahl von 25 Stunden pro Woche unterschreiten.
So sollen die KVen prüfen
Die künftigen Prüfungen beziehen sich auf alle Vertragsärzte und in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) angestellte Ärzte. Kontrolliert werden die abgerechneten Fälle und die in den Gebührenordnungspositionen angegebenen Zeitaufwände für diese; darüber hinaus können auch weitere Prüfmechanismen verwendet werden.
Um einzuschätzen, ob ein Versorgungsauftrag nicht erfüllt wurde, müsste die KV jeweils eine konkrete Einzelfallprüfung veranlassen. Da dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ein Drei-Punkte-Raster entwickelt, wonach eine Auswahl stattfinden soll. Als Referenzgröße für dieses Screening werden die in Paragraf 19a der Zulassungsverordnung Ärzte (Ärzte-ZV) benannten 25 Stunden Sprechstundenzeit pro Woche herangezogen, zu der alle in Vollzeit an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten verpflichtet sind.
Die Prüfung wurde in zwei grundsätzliche Schritte eingeteilt: Im ersten Schritt wird die Summe der Arbeitszeit je Vertragsarzt auf Basis der Abrechnungsdaten ermittelt. Im zweiten Schritt wird der Referenzwert weiter operationalisiert und die tatsächlich ermittelte Zeit mit diesem Referenzwert verglichen. In einem bei Auffälligkeiten dann notwendigen dritten Schritt wird schließlich festgelegt, wie eine Einzelfallprüfung erfolgen soll.
Die 3 Schritte der neuen “Sprechstunden-Plausiprüfung”
Schritt 1:
•Die Arbeitszeiten je Vertragsarzt/ -psychotherapeut werden je Quartal auf Basis der Abrechnungsdaten vor sachlichrechnerischer Richtigstellung ermittelt.
•Auf Basis des Anhangs 3 in Kapitel VI des EBM wird je Gebührenordnungsposition (GOP) aus den Prüf- und Kalkulationszeiten der jeweils höhere Wert ausgewählt. Die Auswahl des höheren Wertes erfolgt, da einige Leistungen weder eine Prüf- noch eine Kalkulationszeit aufweisen (z. B. Nrn. 01100-01102 oder Nr. 01415 EBM) und somit nicht berücksichtigt werden.
Fallbeispiel: Das Belastungs-EKG nach Nr. 03321 EBM hat eine Kalkulationszeit von elf Minuten und eine Plausibilitätszeit von zehn Minuten. Bei der Prüfung der Sprechstundenzeit werden die elf Minuten zugrunde gelegt.
•Die Summe der Zeiten je Vertragsarzt/ -psychotherapeut wird festgestellt, indem die zuvor ermittelten Zeiten mit den abgerechneten Leistungshäufigkeiten je GOP multipliziert werden. Dann wird die Summe über alle Leistungen je lebenslanger Arztnummer (LANR) gebildet.
•Ergänzend wird für jede LANR die Zahl der Arztfälle ermittelt und unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten ein Referenzwert in Minuten pro Fall für jede Fachgruppe festgelegt, der mit der Zahl der Arztfälle multipliziert wird.
•Ergänzend werden für jeden Arzt die gegenüber der Terminservicestelle (TSS) gemeldeten durchschnittlichen Sprechzeiten pro Woche berücksichtigt.
Ausnahme: Vertragsärzte, deren Zulassung weniger als acht Quartale zurückliegt (Neugründungen), werden zunächst keiner Prüfung unterworfen.
Schritt 2:
•Jede KV ermittelt die Zahl der Werktage des jeweiligen Quartals. In Anlehnung an die Regelungen der Ärzte-ZV wird für jeden Werktag für eine volle Zulassung eine Zeit von fünf Stunden (25 Stunden für eine Woche) unterstellt. Daraus ergibt sich für jeden Tätigkeitsumfang eine Stundenzahl pro Quartal.
•Urlaube und/oder Fortbildungszeiten werden pauschal mit einer Reduktion der Stundenzahl um zehn Tage pro Quartal berücksichtigt. Für krankheitsbedingte Abwesenheiten werden pauschal vier Tage pro Quartal angesetzt. KV-spezifische Besonderheiten sollen dabei berücksichtigt werden.
•Nach dem zuvor skizzierten Vorgehen ergibt sich eine Referenzgröße in Stun- den, die je Tätigkeits- und Zulassungsumfang unterschiedlich hoch ausfällt.
•Liegen die so empirisch ermittelten Zeiten eines Vertragsarztes/-psychotherapeuten über der ermittelten Referenzzeit, werden keine Auffälligkeiten unterstellt. Liegen sie unter dem Referenzwert, soll eine differenzierte Einzelfallprüfung stattfinden.
Schritt 3:
•Wird ein Arzt auf dieser Grundlage für eine Einzelfallprüfung ausgewählt, sollen weitere, zum Teil extra zu ermittelnde Sachverhalte berücksichtigt werden. Dazu zählen insbesondere:
○überdurchschnittliche Praxisausfallzeiten zum Beispiel infolge einer längeren Krankheit oder Vertretung aufgrund von anderen Umständen (z. B. Mutterschutz),
○die Teilnahme an Selektivverträgen, die nicht über die KV abgerechnet werden (z. B. HZV),
○die Teilnahme an der Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV nach Paragraf 116b SGB V),
○eine Tätigkeit als D- oder Kur-Arzt,
○überdurchschnittlich hohe Anteile an Leistungen, für die keine Prüf- oder Kalkulationszeiten vorliegen (z. B. Palliativversorgung nach Nr. 03370 EBM oder Heimversorgung nach den Nrn. 37100ff EBM),
○überdurchschnittlich viele abgesagte oder nicht wahrgenommene Sprechstundentermine.
•Grundsätzlich soll die Prüfung untersuchen, ob Auffälligkeiten erklärt werden können und ggf. durch den Arzt beeinflussbar sind.
•Soweit datentechnisch möglich, sollen diese Tatbestände schon im Screening berücksichtigt werden, um ungerechtfertigte Aufforderungen zur Stellungnahme an die Vertragsärzte/-psychotherapeuten zu vermeiden.
Praxis-TIPPS
Wie können sich Hausärzte auf die neue „Prüforgie“ vorbereiten?
Um sich nicht in diesem neuen Prüfmechanismus zu verfangen, können Hausärzte aus den Vorgaben erkennbare Vorbereitungen treffen:
- Erforderlich ist eine Buchführung, die erfasst, wenn man länger als 10 Tage im Quartal in Urlaub und/oder auf Fortbildungen oder mehr als 4 Tage krank war.
- Hausärzte sollten ab sofort die Zahl der HZV-Patienten genau dokumentieren und – möglichst im Vorfeld – die zuständige KV um Auskunft bitten, in welchem zeitlichen Rahmen solche Fälle bei der Prüfung berücksichtigt werden.
- Die EBM-Leistungen, die keine Zeitvorgaben haben, sollte man praxisindividuell erfassen und (möglichst gesondert) in der eigenen Abrechnungsdokumentation kennzeichnen. Eine besondere Rolle spielen hier neben den Notfallleistungen die Leistungen der Heimversorgung aus dem Abschnitt IV 37.2 (Kooperations- und Koordinationsleistungen gemäß Anlage 27 zum BMV-Ä) des EBM, die einerseits aus dem TSVG heraus gefördert werden sollen und deshalb durchweg keine Zeitvorgaben haben. Wird ein größeres Altenheim in diesem Rahmen betreut, kann es leicht zu einer ungerechtfertigten Prüfung des Versorgungsauftrags kommen. Auch hier empfiehlt sich eine vorherige Meldung bei der zuständigen KV, etwa zusammen mit dem bei diesen Leistungen vorgesehenen Genehmigungsverfahren. Solche Leistungen werden nur pauschal durch die Berücksichtigung der höheren Zeitvorgabebei anderen Leistungen erfasst. Die wiederum sind meist im technischen Bereich angesiedelt: Wer also wenig technische Leistungen erbringt und abrechnet, wird keinen adäquaten Ausgleich für den Leistungsanteil ohne Zeitvorgaben erreichen können.
Insbesondere bei zuwendungsintensiv tätigen Arztgruppen ist hier also eine „Schieflage“ zu erwarten, die leicht zu ungerechtfertigten Prüfungen führen kann.