Schon seit dem 1. April 2017 gibt es neue Abrechnungspositionen für die Tätigkeit im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst (Notdienst). Zu den Pauschalen nach den Nrn. 01210 und 01212 EBM wurden Zuschläge für die Behandlung von Patienten mit bestimmten Erkrankungen und/oder eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit vereinbart. Vermutlich um im Notdienst-Alltag mittlerweile aufgekommene Unklarheiten zu beseitigen, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nun einen Katalog von ICD-kodierten Diagnosen herausgebracht, der verdeutlichen soll, welche Erkrankungen zum Ansatz dieser neuen Zuschläge berechtigen.
Kommentar
Die nun fertiggestellte Liste umfasst 186 Diagnosen, bei denen die Nrn. 01223 oder 01224 EBM (Zuschlag zur Nr. 01210 oder 01212 für Patienten mit bestimmten Diagnosen) berechnet werden können. 84 Diagnosen kommen für den Ansatz der Nr. 01226 EBM (Zuschlag zur Nr. 01212 für Patienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, mit geriatrischem Versorgungsbedarf und bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern in der Nacht zwischen 19 und 7 Uhr und ganztägig an Wochenenden, Feiertagen und am 24. und 31.12.) hinzu.
Enttäuschend sind dabei insbesondere die Inhalte der letztgenannten Liste, da der in der Legende der Nr. 01226 EBM aufgeführte Personenkreis nur dann Anlass zur Berechnung der Zuschlagsnummer sein soll, wenn zusätzlich psychiatrische Erkrankungen vorhanden sind. Der Mehraufwand bei Säuglingen und Kleinkindern oder bei mangelhaften Deutschkenntnissen des Patienten ohne solche Diagnosen soll hingegen nicht vergütet werden.
Der größte Teil der Diagnoseliste (116 ICD-10 Codes) bezieht sich übrigens auf die Untergliederung der im Legendentext zugrunde gelegten Frakturen – und damit Leistungen, die üblicherweise im Krankenhaus erbracht werden. Erfreulich für den Arzt im Bereitschaftsdienst ist dabei, dass der Zuschlag hier nicht nur bei der Behandlung solcher Frakturen berechnet werden kann, sondern bereits die Diagnosestellung zur Abrechnung berechtigt.
Etwas dünner fällt leider die Liste für die mehr internistisch-neurologisch orientierten Krankheitsbilder aus. Hier fallen nur wenige Diagnosen auf, die im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst häufi ger zu erwarten sind wie „Gehirnerschütterung“, „ Grippe mit Pneumonie ohne Virusnachweis“ oder „Thrombophlebitis“, hier allerdings mit der Klarstellung, dass nur der Befall der Vena femoralis oder sonstiger tiefer Gefäße der unteren Extremitäten zuschlagsberechtigt ist. Auch beim Behandlungsanlass „Hypertonie“ oder „Hypertensive Herzerkrankung“ muss eine hypertensive Krise vorliegen, bei sonstigen Herzerkrankungen eine Angina pectoris, sonst darf man den Zuschlag nicht berechnen. Wie im Bereitschaftsdienst eine ICD-Differenzierung nach essentieller und sekundärer Hypertonie möglich sein soll, ist sicherlich fraglich. Das gilt auch für die Divertikulitis, die mit 16 unterschiedlichen ICD-10 Codes vertreten ist.
Auch bei den Diagnose-Vorschlägen, die als Begründung für eine erschwerte Kommunikation herangezogen werden können, gibt es mehr Frage- als Ausrufezeichen. Hier werden „Halluzinosen“, „Orga nische Persönlichkeitsstörungen“, „Schizophrenie“, „Rezidivierende depressive Störungen“, aber auch „Anorexie“ oder „Bulimie“ aufgeführt. Selbst im Bereitschaftsdienst eher zu erwartende Diagnosen wie „Demenz“ oder auch „Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung“ berechtigen nicht allein zur Abrechnung des Zuschlags nach Nr. 01226 EBM. Bei der Diagnose „Demenz“ zum Beispiel muss auch ein Delir vorhanden sein.
Inwieweit diese Liste „rechtsverbindlich“ oder gar Grundlage für das Prüfwesen ist, bleibt glücklicherweise offen. Der KBV sind wohl selbst Bedenken bei der Schaffung dieser Liste gekommen, denn im Rundschreiben an die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen vom 11. Juli 2017 betont sie, dass die Liste nicht verbindlich ist und nach Bedarf regional erweitert/angepasst werden kann. Das wiederum bedeutet, dass das Bereitschaftsdienst-Honorar in den jeweiligen KVen diesbezüglich bei identischen Leistungen sehr unterschiedlich ausfallen kann.