Berlin. Um die Zahl der persönlichen Kontakte in Arztpraxen zur Eindämmung der Corona-Epidemie weiter zu minimieren und Ärzte zu entlasten, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Reihe zeitlich befristeter Sonderregelungen getroffen. So ist in den Quartalen I bis III 2020 beispielsweise keine ärztliche Dokumentation von Untersuchungen bei Patienten in Disease-Management-Programmen (DMP) erforderlich. Außerdem wird der Spielraum bei rein telefonischer Anamnese deutlich vergrößert. Das hat der G-BA am Freitag (27. März) mitgeteilt.
Zudem können Kliniken bei einer Entlassung sofort große Packungsgrößen von Arzneimitteln für die Weiterbehandlung zu Hause verordnen, „damit keine unnötigen Besuche der aus dem Krankenhaus entlassenen, oft geschwächten und damit besonders gefährdeten Patienten in den Praxen erforderlich sind“, heißt es.
Besserer Schutz von Risikopatienten
„In der jetzigen Ausnahmesituation, deren weitere Entwicklung im Augenblick nicht verlässlich eingeschätzt werden kann, müssen wir alle verfügbaren personellen Ressourcen für die Patientenversorgung freimachen und deshalb Bürokratie und Dokumentationsvorgaben zur Qualitätssicherung auf ein unabdingbares Minimum reduzieren”, erklärte Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, im Anschluss an die schriftlich abgestimmten Beschlüsse. Darüber hinaus gehe es vor allem um den Schutz von Risikopatienten vor einer Infektion.
Viele der nun getroffenen Regelungen unterstützen die Forderung des Deutschen Hausärzteverbands, die Zahl sowohl der Arzt-Patienten-Kontakte als auch der Patienten-Patienten-Kontakte beispielsweise im Wartezimmer konsequent zu reduzieren.
Die insgesamt 23 als “Sonderregelungen aufgrund der Covid-19-Epidemie” gefassten Beschlüsse zu bestehenden Richtlinien treten nach Nichtbeanstandung des Bundesgesundheitsministeriums teilweise auch rückwirkend in Kraft. Eine Übersicht über für Hausärzte relevante Beschlüsse:
Lockerungen bei Disease-Management-Programmen (DMP)
“Sofern zur Vermeidung einer Ansteckung mit Covid-19 geboten”, müssen Patienten 2020 nicht verpflichtend an Schulungen teilnehmen. Die ärztliche Dokumentation von Untersuchungen der in ein DMP eingeschriebenen Patienten ist für das erste bis dritte Quartal 2020 nicht erforderlich.
„Für Patienten mit chronischen Erkrankungen hat die Vermeidung einer Ansteckung mit Covid-19 höchste Priorität“, heißt es in den tragenden Gründen zum Beschluss. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an Schulungen und regelmäßigen persönlichen Untersuchungen sei daher aktuell “nicht zu verantworten”. Gleichwohl können und sollen Dokumentation und Schulungen unter individueller Nutzen-Risiko-Abwägung von Arzt und Patient weiter erfolgen.
Tipp: Neben gesundheitlichen sollten Ärzte auch unter finanziellen Gesichtspunkten abwägen, ob sie Schulungen oder andere Leistungen derzeit via Video erbringen können. Denn wer keine DMP-Leistungen dokumentiert, wird diese wahrscheinlich auch nicht von den Krankenkassen bezahlt bekommen, vermutet die KBV. Sie betont aber auch, dass es hier durchaus noch regionale Anpassungen der G-BA-Vorgaben geben könnte, da DMP-Verträge zwischen KVen und Kassen regional verhandelt werden.
Rezept auch nach reinem Telefonkontakt
Das Ausstellen einer neuen Verordnung von Arzneimitteln durch Arztpraxen ist auch nach telefonischer Anamnese möglich. In diesen Fällen kann die 01435 EBM berechnet werden, wenn es zu keinem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt im Quartal vorher oder nachher gekommen ist. Portokosten für den Versand der Verordnungen können nach der 40120 bis 40126 EBM in Rechnung gestellt werden – analog zur telefonischen AU.
Achtung: In einigen KVen gibt es diesbezüglich weitergehende Entlastungsregelungen. Die KV Hessen beispielsweise lässt derzeit die Mehrfachabrechnung der 01435 EBM oder alternativ die Berechnung der 03230 EBM bei telefonischen Kontakten zu, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.
Tipp: Erkundigen Sie sich bei Ihrer KV, ob es hier weitergehende Ausnahmen gibt.
AU: Bis zu 14 Tage per Telefon
Auch die Arbeitsunfähigkeit darf für bis zu 14 Tage nach rein telefonischer Anamnese bescheinigt werden – sofern es sich um eine Erkrankung der oberen Atemwege handelt, die keine schwere Symptomatik vorweist. Dies gilt auch für Versicherte, bei denen bereits ein Verdacht auf Infektion mit dem Coronavirus besteht, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bereits vor dem nun nachfolgenden G-BA-Beschluss mitgeteilt hatte.
Zudem können Ärzte im Krankenhaus bei der Entlassung von Patienten nicht nur für eine Dauer von bis zu 7 Kalendertagen, sondern nunmehr bis zu 14 die AU bescheinigen.
Verlängerte Fristen bei Verordnung ambulanter Leistungen
Die Richtlinien des G-BA enthalten auch Fristen zur Gültigkeit von Verordnungen oder Angaben dazu, bis wann eine Verordnung zur Genehmigung bei der Krankenkasse vorgelegt werden muss. In folgenden Bereichen haben sich die Fristen verlängert oder wurden sogar ganz ausgesetzt:
- Die Vorgaben, in welchem Zeitraum Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln ihre Gültigkeit verlieren, werden vorübergehend ausgesetzt.
- Im Bereich der häuslichen Krankenpflege können Folgeverordnungen für bis zu 14 Tage rückwirkend verschrieben werden, wenn aufgrund der Ausbreitung von Covid-19 eine vorherige Verordnung zur Sicherung einer Anschlussversorgung nicht möglich war. Auch wird die Begründung der Notwendigkeit bei einer längerfristigen Folgeverordnung ausgesetzt. Darüber hinaus kann die Erstverordnung für einen längeren Zeitraum als 14 Tage verordnet werden.
- Zusätzlich wird die Frist zur Vorlage von Verordnungen bei der Krankenkasse von drei auf zehn Tage verlängert. Dies gilt auch für Verordnungen zur Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sowie der Soziotherapie.
Folgeverordnung von ambulanten Leistungen per Telefon
Ärzte können Folgeverordnungen auch nach telefonischer Anamnese für häusliche Krankenpflege, für zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, Krankentransporte und Krankenfahrten sowie Heilmittel ausstellen. Voraussetzung ist, dass bereits zuvor aufgrund derselben Erkrankung eine unmittelbare persönliche ärztliche Untersuchung erfolgt ist.
Die Verordnung kann dann postalisch an den Versicherten übermittelt werden. Das fällige Porto ist nach der 40120 bis 40126 EBM berechnungsfähig.
Krankentransport: Bei Quarantäne keine Genehmigung nötig
Krankentransportfahrten zu nicht aufschiebbaren zwingend notwendigen ambulanten Behandlungen von nachweislich an Covid-19-Erkrankten oder von Versicherten, die aufgrund einer behördlichen Anordnung unter Quarantäne stehen, bedürfen vorübergehend nicht der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse.
Zudem werden die Fristen für die Verordnung von Fahrten zu einer vor- oder nachstationären Behandlung erweitert: Fahrten zu vorstationären Behandlungen können für drei Behandlungstage innerhalb von 28 Tagen vor Beginn der stationären Behandlung und Fahrten zu nachstationären Behandlungen können für sieben Behandlungstage innerhalb von 28 Tagen verschrieben werden.
Krankenhäuser dürfen mehr verordnen
Krankenhausärzte können statt 7 jetzt bis zu 14 Tage nach Entlassung aus dem Krankenhaus häusliche Krankenpflege, SAPV, Soziotherapie, Heil- und Hilfsmittel verordnen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn das zusätzliche Aufsuchen einer Arztpraxis vermieden werden soll.
Sonstige Beschlüsse
Einladungen zur Teilnahme am Mammografie-Screening werden vorerst bis zum 30. April nicht versandt. Nach Beendigung der Aussetzung werden die anspruchsberechtigten Frauen umgehend nachträglich eingeladen. “Dabei gehen keine Untersuchung verloren, sondern werden nachgeholt, und vorliegende Befunde werden selbstverständlich abgeklärt”, betont der G-BA.
Die zeitliche Vorgabe für die Aufnahme von beatmungspflichtigen Intensivpatienten auf die Intensivstation – innerhalb von 60 Minuten nach Krankenhausaufnahme – wird ausgesetzt, “da sie bei einer sehr starken gleichzeitigen Inanspruchnahme der Krankenhäuser in der erwarteten Hochphase der Covid-19-Erkrankungen gegebenenfalls nicht umsetzbar ist”. Eine hieraus entstehende zusätzliche finanzielle Belastung der Krankenhäuser werde dadurch vermieden.
Auch weitere Anforderungen an die Qualitätssicherung sowie die Mindestmengenregelungen werden vorübergehen gelockert.