Hausärzte fördern Bewegung als gesundheitsfördernden Faktor noch nicht in dem Maße, wie es wünschenswert wäre. Dabei ist körperliche Aktivität ein äußerst wirkungsvolles Therapiemittel bei einer Vielzahl von Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes, Herzinfarkt oder Osteoporose [1, 2]. Jedoch bewegt sich nur ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland, gemäß den Richtlinien der WHO, ausreichend: Das heißt 2,5 Stunden pro Woche bei moderater Intensität [3]. Deshalb führt das Institut für Allgemeinmedizin der Universität München in Kooperation mit dem Bereich Integrative Gesundheitsförderung der Hochschule Coburg das Projekt „Gesundheitsförderung in der Allgemeinarztpraxis“ durch. Damit wollen sie die Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis auf verschiedenen Ebenen, unter anderem der körperlichen Aktivität, erforschen. Gut gemeinte Ratschläge wie „Bewegen Sie sich mehr…” können die körperliche Aktivität der Patienten nicht substanziell fördern.
Es braucht mehr: Körperliche Aktivität als dezidierte Form der Therapie. Dafür ist die Allgemeinarztpraxis als Setting für Gesundheitsförderung gut geeignet, weil viele Patienten einen Hausarzt aufsuchen und oft eine langjährige Verbindung zwischen Patient und Hausarzt besteht. Daher werden im Folgenden vier Maßnahmen vorgestellt, die Hausärzte nutzen können, um ihre Patienten bei der Bewegungssteigerung zu unterstützen.
Pedometer und Smartphone-Apps
Pedometer sind ein einfaches und motivierendes Instrument, um die Aktivität zu steigern. Die Studie von Stovitz et al. [4] mit 94 Teilnehmern zwischen 30 und 60 Jahren verglich eine Beratung (Kontrollgruppe) mit Beratung und dem Einsatz eines Pedometers Interventionsgruppe). In beiden Gruppen stieg die durchschnittliche Schrittzahl pro Tag signifikant: In der Interventionsgruppe von 6.779 auf 8.855 Schritte, was einer durchschnittlichen individuellen Verbesserung von 41 Prozent entsprach. Anders als die Kontrollgruppe gingen Teilnehmer der Interventionsgruppe auch häufiger kurze Strecken zu Fuß. Das wird auf die zusätzliche Motivation durch das Pedometer zurückgeführt. Smartphones und entsprechende Apps, welche die Schrittzahl konstant aufzeichnen oder per App-Aufruf zu bestimmten Zeitpunkten manuell bestimmen, können potenziell ebenso die körperliche Aktivität erhöhen [5]. Denn das Smartphone tragen viele häufig bei sich, wodurch sie auf ein weiteres Gerät verzichten können. Die Möglichkeiten mit Smartphones sind vielfältig und noch lange nicht ausgeschöpft. Es können aber noch keine Aussagen zu langfristigen Effekten gemacht werden, wie Smartphones die körperliche Aktivität steigern können, da die Studienlage noch zu dünn ist.
Schriftliche Informationen
Ein weiteres oft genutztes Instrument, um die körperliche Aktivität zu steigern, ist das Aushändigen von Informationsmaterialien. Persönlich zugeschnittene, schriftliche Infomaterialien erhöhten in Studien im Vergleich zu rein allgemein gehaltenen Informationen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person im Alltag aktiver wird, um durchschnittlich zehn Prozent [6, 7]. Dieser Effekt wird nicht erzielt, wenn die Informationen nur mündlich mitgeteilt werden, da die Betroffenen diese im Laufe der Zeit vergessen oder ihre Erinnerung daran verzerrt wird. Daraus ergibt sich: Werden Informationsmaterialien ausgehändigt, scheint es für die Steigerung der körperlichen Aktivität effektiver zu sein, diese möglichst individuell und ansprechend zu gestalten.
Rezept für Bewegung
Bewegung verschreiben? Das geht! Das Rezept für Bewegung ist eine Initiative des Deutschen Olympischen Sportbundes, der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin (DGSP). Einen Vordruck können Hausärzte beim jeweiligen Landessportbund oder Sportärztebund erhalten und damit dem Patienten eine schriftliche Empfehlung für körperliche Aktivität mitgeben, die der Patient dann bei Kursen in einem dafür akkreditierten Sportverein einlösen. Der Hamburger Sportbund hat das Rezept für Bewegung für die Stadt Hamburg evaluiert und kommt zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Mediziner das Rezept für eine mittlere bis große Unterstützung halten – und die Patienten ebenfalls sehr positiv auf das Rezept reagieren [8]. Bevor das Rezept ausgestellt wird, sollten grundsätzlich a priori potentielle Risikofaktoren wie Bluthochdruck, kardiologische Erkrankungen, Übergewicht identifiziert und gegebenenfalls, je nach Indikation und Alter, eine sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung gemäß den DGSP-Leitlinien durchgeführt werden [9].
Kurzberatung bei Patienten
Individuelle Beratung erfordert Zeit – Zeit, die im hausärztlichen Alltag meist eh schon knapp ist. Doch schon eine drei- bis fünfminütige Beratung kann Patienten erfolgreich zu mehr Bewegung motivieren, wenn gleich die langfristigen Effekte noch weiter erforscht werden müssen. Armit et al. [10] teilten 136 inaktive Patienten zwischen 50 und 70 Jahren in drei Interventionsgruppen ein. Eine Gruppe erhielt eine Kurzberatung von drei bis fünf Minuten, die zweite zusätzlich Tipps zur Verhaltensänderung durch Sportwissenschaftler und die dritte Gruppe, zusätzlich zu den anderen beiden, noch ein Pedometer. Die Gesamtzeit der körperlichen Aktivität erhöhte sich im Schnitt für alle Gruppen um 84 Minuten pro Woche nach zwölf Wochen und 128 Minuten nach 24 Wochen, allerdings ohne signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Die erste Gruppe, die nur eine Kurzberatung erhielt, steigerte nach 24 Wochen ihre Aktivität von 120 auf 220 Minuten pro Woche. Auch bei inaktiven Frauen (21 bis 46 Jahre) konnte eine Kurzberatung das Aktivitätsniveau nach zwölf Wochen signifikant um durchschnittlich 130 Minuten pro Woche steigern. Ein Drittel von ihnen erreichte dabei das empfohlene wöchentliche Bewegungsausmaß (gem. Kanadischer Richtlinien) [11].
Die Beratung sollte auf den Patienten zugeschnitten sein. Wie das gehen kann, zeigen die Richtlinien des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Es ist wichtig, dass das körperliche Leistungsniveau, Umstände, Präferenzen und mögliche Barrieren sowie der Gesundheitszustand des Patienten eruiert werden. Ebenso ist es notwendig, dass Ärzte und Patienten gemeinsame Ziele und die dafür nötige Motivation erarbeiten. Dabei ist das Wissen um motivationale Gesprächsführung essentiell. Hierbei geht es in der ersten Phase darum, den Patienten mittels Selbstreflexion eine Bereitschaft zur Veränderung aufzubauen. In der zweiten Phase steht die Stärkung der Selbstverpflichtung im Vordergrund. Hier kommen Gesprächstechniken wie Empathie und deeskalierende Strategien, wenn Widerstände auftreten, zum Einsatz [12].
(Marcus van Dyck (1), Annemarie Weber (2), Prof. Jörg Schelling (1), Prof. Niko Kohls (2), Dr. Martin Offenbächer (1))
*1. Institut für Allgemeinmedizin, Klinikum der Universität München
- Bereich Integrative Gesundheitsförderung, Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg*
Literatur
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