DeutschesArztPortalOff-Label-Verordnung: Diese Besonderheiten sollten Sie kennen

Eine Verordnung kann auch dann medizinisch sinnvoll sein, wenn die Zulassungsgrenzen des verordneten Arzneimittels überschritten werden. Daher sollten Ärztinnen und Ärzte über die rechtlichen Vorgaben des Off-Label-Use informiert sein. So werden in einzelnen Fällen die Kosten sogar von den Kassen getragen und Regressen wird vorgebeugt.

In begründeten Fällen können Arzneimittel off-label verschrieben werden.

Der Einsatz von Arzneimitteln außerhalb der von den Zulassungsbehörden genehmigten Indikationen wird als Off-Label-Use bezeichnet und obliegt der ärztlichen Therapiehoheit. In begründeten Fällen, beispielsweise bei der Behandlung von seltenen oder schwerwiegenden Erkrankungen, können Arzneimittel off-label verschrieben werden.

Anlage VI der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) listet Arzneimittel, die auch im Off-Label-Use verordnungsfähig sind – zeitnah sollen dort auch Medikamente für die Behandlung von Long-Covid aufgeführt werden.

Verordnungen im Off-Label-Use sind nicht selten

Um Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln zu gewährleisten, müssen diese in Deutschland und Europa ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen. Dabei werden die Antragsunterlagen des Arzneimittelherstellers hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sowie Umweltverträglichkeit bewertet [1].

Nach erfolgter Zulassung sind die wichtigsten Informationen zum Arzneimittel und seinen Anwendungsgebieten für Fachkreise in der Fachinformation zusammengefasst.

Nicht selten ergibt sich jedoch in der Praxis die Situation, dass für die Patientin oder den Patienten keine geeignete Therapie zugelassen ist, es aus medizinischer Sicht aber sinnvoll erscheint, auch ihnen eine entsprechende medikamentöse (Off-Label-)Behandlung zu ermöglichen.

Dies kann etwa bei seltenen oder schwerwiegenden Erkrankungen der Fall sein. Auch das Alter kann ein Grund für einen Off-Label-Use sein – beispielsweise dann, wenn Kinder mit einem Medikament behandelt werden, das nur für Erwachsene zugelassen ist. Gleiches gilt für Schwangere oder Stillende; häufig sind fehlende Studiendaten der Grund für ihren Ausschluss.

Dann liegt es im ärztlichen Ermessen, auch diese Patientinnen und Patienten mit Medikamenten zu behandeln, die nicht für diese Patientengruppe zugelassen sind. Dass Verordnungen im Off-Label-Use nicht selten vorkommen, zeigt eine Umfrage des DeutschenArztPortals (n = 307): Auf die Frage, wie häufig Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel im Off-Label-Use verordnen, gaben 15 bzw. 17 Prozent an, dies täglich bzw. mehrmals wöchentlich zu tun (siehe Abb. unten). Lediglich 18 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte tun dies nie [2].

Besonderheiten bei Verordnungen im Off-Label-Use

Welche Besonderheiten sind bei Verordnungen im Off-Label-Use zu beachten und welche Arzneimittel können gesetzliche Kassen (GKV) erstatten? Bei der Frage nach der Verordnungsfähigkeit lohnt sich ein Blick in die Anlage VI der AM-RL – denn in bestimmten Ausnahmen ist auch ein Off-Label-Use zulasten der GKV möglich.

Dazu bewertet eine vom Bundesministerium für Gesundheit ernannte Expertengruppe den aktuellen Wissensstand zum Off-Label-Use einzelner Wirkstoffe. Die erarbeiteten Empfehlungen werden dann vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nach einem entsprechenden Beschluss in die Anlage VI der AM-RL aufgenommen.

Die Anlage VI ist in zwei Teile gegliedert: In Teil A werden Arzneimittel aufgeführt, die im Off-Label-Use verordnungsfähig und somit erstattungsfähig sind. In Teil B werden hingegen Arzneimittel gelistet, die im Off-Label-Use nicht verordnungsfähig sind [3].

In Teil A der Anlage VI der AM-RL sind pharmazeutische Unternehmen aufgelistet, die dem Off-Label-Einsatz ihres Arzneimittels zugestimmt haben und dementsprechend die Haftung gemäß Paragraf 84 Arzneimittelgesetz übernehmen. Merke: Ohne Haftung seitens des Herstellers haften nämlich Ärztin oder Arzt für mögliche Schäden. Mit einer entsprechenden Einverständniserklärung können Ärztin oder Arzt von Patientenseite von der Haftung entbunden werden [3-5].

Zudem sollten Ärztinnen und Ärzte bei Verordnungen von Wirkstoffen aus Teil A der Anlage VI der AM-RL medizinisch-therapeutische Gründe geltend machen und das Aut-idem-Kreuz setzen – dies sollte idealerweise in der Patientenakte dokumentiert werden.

Wichtig: Durch die Verordnung eines Arzneimittels, für das der Hersteller auch im Off-Label-Use die Haftung übernimmt, und das gleichzeitige Setzen des Aut-idem-Kreuzes wird verhindert, dass das Arzneimittel gegen ein wirkstoffgleiches Präparat in der Apotheke ausgetauscht wird, für das keine Herstellerhaftung im Off- Label-Use vorliegt [6].

Patientenaufklärung und Antrag bei der Krankenkasse

Grundsätzlich muss die Patientin oder der Patient in einem persönlichen Gespräch über die geplante Off-Label-Therapie aufgeklärt werden. Dort sollten Informationen über den – ohne Intervention – erwarteten Krankheitsverlauf und alle möglichen Therapieoptionen gegeben werden sowie über die Wahrscheinlichkeiten für einen Erfolg, ein Versagen oder mögliche Schäden der Off-Label-Therapie. Auch die fehlende Evidenz sollte thematisiert werden [4].

Merke: Bei Off-Label-Verordnungen von Wirkstoffen, die nicht in Teil A der Anlage VI AM-RL gelistet sind, empfiehlt es sich, eine mögliche Übernahme der GKV im Vorhinein abzuklären. Dazu kann ein Antrag auf Erteilung einer Kostenübernahme bei der GKV eingereicht werden.

Denn auch, wenn ein Medikament nicht in Anlage VI der AM-RL gelistet ist, können die Therapiekosten für einen Off-Label-Use in Ausnahmefällen von der GKV übernommen werden. Grundsatzurteile des Bundessozialgerichts und Bundesverfassungsgerichts stellen dafür allerdings hohe Hürden dar (s. Kasten unten) [7,8].

Weitere Informationen zum zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln bietet die Praxishilfe “Off-Label-Use” des DeutschenArztPortals: www.hausarzt.link/fwUmx

Expertengruppe erarbeitet Liste für Off-Label-Use bei Post-Covid

Auch Patientinnen und Patienten mit Long oder Post-Covid sollen nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) zeitnah von Arzneimittelverordnungen im Off-Label-Use profitieren können. Dazu erarbeitet eine Expertengruppe derzeit (Stand: 13. Februar 2024) eine Liste von Medikamenten, die off-label für diese Patientengruppe verordnet und von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollen [9].

In einer ersten Sitzung am 19. Dezember 2023 wurde u. a. über Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen diskutiert, die versorgungsrelevant für Long-Covid-Betroffene sein könnten. Diese werden in den nächsten Monaten von der Expertengruppe auf Basis einer Evidenzrecherche bewertet. Das Ziel ist es, einen “Kompass” für Ärztinnen und Ärzte zu erarbeiten [9].

Aktuell existieren viele ungeklärte Fragen zu Long Covid, so wird etwa über verschiedene Auslöser, Untergruppen von Betroffenen sowie über potenzielle Biomarker und Therapien diskutiert.

Um die Patientenversorgung zu verbessern, hat der G-BA im Dezember 2023 eine Long-Covid-Richtlinie beschlossen. Darin werden Regelungen zu berufsgruppenübergreifender, koordinierter und strukturierter Versorgung für Versicherte festgehalten, die auch Menschen zugutekommen sollen, bei denen zwar kein Verdacht auf Long Covid, aber eine ähnliche postvirale Ursache und Symptomatik vorliegt [10].

Viele Menschen mit Long Covid benötigen neben Medikamenten jedoch spezielle Unterstützungsangebote, um ihren Alltag mit der Krankheit bewältigen zu können, betont der Hausärztinnen- und Hausärzteverband.

Fazit

  • Verordnungen im Off-Label-Use kommen im ärztlichen Alltag öfter vor [2].
  • Die Therapieentscheidung für einen Off-Label-Use obliegt der Ärztin oder dem Arzt – allerdings müssen verschiedene Besonderheiten beachtet werden, etwa die Frage nach der Kostenübernahme und haftungsrechtliche Aspekte.
  • Eine sorgfältige Patientenaufklärung ist obligat und eine lückenlose Dokumentation kann im Falle einer Einzelfallprüfung helfen.

Literatur:

1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Zentralisiertes Verfahren

2. Umfrage DeutschesArztPortal vom 13.02. bis 18.02.2024 „Wie oft verordnen Sie Arzneimittel im Off-Label-Use?“

3. Gemeinsamer Bundesausschuss, Off-Label-Use – Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten

4. VIN VerordnungsInfo KV Nordrhein „Off-Label-Use-Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der Zulassung“ vom 7. Juli 2022

5. Arzneimittel-Richtlinie, Anlage VI: Off-Label-Use (Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten)

6. Verordnungsforum 63 KV Baden-Württemberg, „Update: Aut idem – der verantwortungsvolle Umgang mit dem Kreuz“, November 2022

7. Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00 R

8. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98

9. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Expertengruppe Long COVID Off-Label-Use

10. Gemeinsamer Bundesausschuss, „Versorgungsangebot bei Long-COVID und Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen“

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