"Rauchende Köpfe"Die Qual der WAL

Chronische und schwer heilende Wunden sind für Hausärztinnen und Hausärzte oft ein unnötiger Spagat – ist das medizinisch Sinnvolle doch oft konträr zu "Versprechungen der Produkte". Intransparenz und die Beteiligung vieler Akteure erschweren die Behandlung. Vier Ansatzpunkte und drei Praxishilfen für eine sinnvolle und wirtschaftliche Verordnung.

Bei der Versorgung chronischer Wunden sehen sich Praxen oft mit mehreren Herausforderungen konfrontiert.

Schlecht heilende Wunden kommen in nahezu jeder hausärztlichen Praxis vor und werden mitunter als Spagat zwischen Wünschen von Patienten und beteiligten Fachkräften, medizinisch Sinnvollem und Wirtschaftlichkeitsgebot empfunden. Wie kann einerseits die Therapie und andererseits eine wirtschaftliche Verordnung gelingen?

Bei der Versorgung chronischer oder schlecht heilender Wunden sehen sich Praxen meist mit mehreren Herausforderungen konfrontiert: So ist die Behandlung oft zeitaufwendig und kostenintensiv. Regressanträge der Krankenkassen mit schnell fünf- bis teils sechsstelligen Summen pro Praxis kommen vor. Diese können da ein erhebliches finanzielles Risiko für die Verordnenden bedeuten.

Undurchsichtiger Markt

Mehrere Umstände erschweren die Versorgung und tragen damit zu Unsicherheit und einem höheren Regressrisiko bei:

  1. Der Markt an Verbandmitteln und Wundbehandlungsprodukten ist für Ärztinnen und Ärzte nicht mehr überschaubar. Die Hersteller bewerben selbstverständlich ihre Produkte als innovativ und “schneller wundheilend”. Vergleichende Studien der Wundauflagen werden zwar seit langem gefordert, sind bisher aber kaum existent. Merke: Laut der im September 2023 erschienen S3-Leitlinie zur “Lokaltherapie chronischer / schwer heilender Wunde” wird die Wirkung der Wundauflagen deutlich überschätzt.
  2. Ein weiteres Problem entsteht beim Entlassmanagement: Denn Kliniken kaufen Wundauflagen direkt beim Hersteller zu von ihnen verhandelten Preisen – und nicht zu den Apotheken-Einkaufspreisen. Diese preiswerteren Wundauflagen werden den Versicherten dann häufig bei der Entlassung rezeptiert oder mitgegeben. Mit der Folge, dass die Versicherten oft diese Wundauflage ambulant weiter verordnet bekommen möchten.
  3. Ähnlich herausfordernd kann die Beteiligung von “Wundmanagern” und Co. im Praxisalltag sein. Diese lernen in ihrer Ausbildung die Wundversorgung kennen – je nach Ausbildungsanbieter findet diese mehr oder weniger produktspezifisch statt. Die Ausbildung befähigt aber nur zur Beratung. Merke: Die Therapieentscheidung und -verantwortung liegt in ärztlicher Hand. Man ist an die “Empfehlung” der Wundmanager also nicht gebunden – sollte aber auf deren Groll gewappnet sein, wenn man nicht die gewünschte Wundauflage rezeptiert. Denn diese können ihre Beratung nicht abrechnen: Ihr Verdienst ergibt sich aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis des Produkts. Wichtig: Klären Sie Ihre Patientinnen und Patienten darüber auf, dass die Therapie Ihnen obliegt.
  4. Punkt drei ist besonders vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots relevant, denn Paragraf 12 SGB V gilt natürlich auch für Produkte der Wundversorgung. Leider sind deren Preise oft für Ärztinnen und Ärzte intransparent: Sind die Preise doch nicht in jeder Praxissoftware (PVS) hinterlegt oder mitunter einfach mit 0,00 Euro angegeben. Hinzu kommen intransparente kassenspezifische Rabattverträge, sodass Produkte bei der einen Kasse wirtschaftlich sein können und bei der anderen unwirtschaftlich. Das kann für Ärztinnen und Ärzte besonders dann zu einer unwirtschaftlichen Verordnung verleiten, wenn nicht produktneutrale “Wundmanager” beispielsweise aus einem Sanitätshaus, einem Homecare-Unternehmen oder Pflegedienst ins Spiel kommen.

Wie kann man diesen erschwerenden Konstellationen im Praxisalltag also Herr werden und die Patientinnen und Patienten bestmöglich versorgen?

Weg 1: Grunderkrankung behandeln

Das Geheimnis der Wundheilung ist eine vollständige Kausaltherapie der Grunderkrankung. Nur so können Wunden heilen. Das hat die aktualisierte S3-Leitlinie nochmals bestätigt. Vor der Therapie kommt also eine ausführliche Diagnostik, um die Auslöser der Wunde festzustellen und dann die adäquate Behandlung zu wählen.

Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit muss ggf. erst versorgt werden, ebenso ein Diabetes mit Mikroangiopathie/Neuropathie gut eingestellt werden und die venöse Insuffizienz mit Ulcus cruris braucht am besten rund um die Uhr eine Kompression (auch nachts im Bett!) und muss ggf. operativ saniert werden. Sonst ändert sich am Symptom “schlecht heilende Wunde” wenig.

Die Rolle der einzelnen Wundauflage wird dabei wie erwähnt überschätzt. Was soll also auf die Wunde? Hierzu gibt Leitlinienautor Dr. Stephan Fuchs Tipps im “Hausarzt” (www.hausarzt.link/wNGPM) oder bei Seminaren fürs Institut für hausärztliche Fortbildung (www.ihf-fobi.de, etwa beim Bundesfortbildungskongress Allgemeinmedizin 31.5.-1.6.24 oder der practica 23.-26.10.24). Er hat federführend den “Wundauflagenleitfaden”, kurz WAL, entwickelt, der auf der Leitlinie basiert.

Es empfiehlt sich, die Wundheilung idealerweise mit Fotos im PVS zu dokumentieren.

Weg 2: Fachkräfte gut wählen

An der Versorgung chronischer Wunden sind oft Pflegedienst oder Wundfachkräfte beteiligt. Aktuell wird zudem angedacht, dass Pflegekräfte mit entsprechender Kompetenz Wundauflagen selbst verordnen können. Statt die Wundversorgung “einfach zu überlassen”, sollte man die Zusammenarbeit gezielt angehen.

Bei ambulanten Pflegediensten ist dies leicht: Sie können nur nutzen, was verordnet wurde. Zusätzlich dokumentieren Sie die Wundauflage auf Ihrer Verordnung zur häuslichen Krankenpflege.

In Heimen wäre es sinnvoll, die Grundsätze der Wundversorgung gemeinsam zu besprechen, doch leider wechselt hier sehr oft das Personal.

Tipp: Ob im Heim oder in der Häuslichkeit – diese Aufgabe kann statt des Pflegepersonals Ihre Versorgungsassistenz in der Hausarztpraxis (VERAH®) oder nicht-ärztliche Praxisassistenz (NäPA) übernehmen. Das spart enormen Diskussionsbedarf mit anderen Akteuren und es werden weniger “unsinnige” Wundauflagen angefordert!

Zusätzlich verbessern sich Patientenkommunikation sowie Therapietreue – kürze Gesprächswege in der Praxis erleichtern den laut Leitlinie geforderten “dynamischen” Verbandwechsel (Das Intervall richtet sich dabei nach Wundgrund und Exsudatmenge. Dies gibt der Verordnungsbogen für häusliche Krankenpflege so nicht her. Achten Sie außerdem auf die Höchstverordnungsdauer von vier Wochen).

Hinzu kommt, dass ein Hausbesuch durch Ihr Team wirtschaftlicher sein kann als durch den Pflegedienst: Je nach KV-Region kostet ein Verbandwechsel zwischen 18 und 23 Euro je Anfahrt.

Wenn Ihr Praxisteam die Versorgung übernimmt, werden zudem seltener externe Wundfachkräfte eingebunden. Denn sie werden oft vom Pflegedienst oder Familienmitgliedern beauftragt. Hierbei ist häufig das Problem, dass sie die Wundauflagen selbst liefern und anschließend das Rezept bei der Praxis rückwirkend erbitten.

Merke: Das ist nicht statthaft. Der “Verdienst” für die Fachkräfte liegt nicht selten in der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Wundauflage. Je teurer und mehr geliefert werden kann, desto effektiver ist das für den Vermarkter.

Weg 3: Wirtschaftlich verschreiben

Bleibt also noch: Wie verordnen Sie wirtschaftlich? Das PVS ist hier oft keine Hilfe und Schaumverband 10x10cm ist nicht “preisvergleichend” darstellbar, wie es etwa bei Ramipril 10mg sehr einfach möglich ist.

Tipp: Nutzen Sie also externe Hilfe! Je nach KV-Region gibt es im (meist internen Mitgliederbereich) Preislisten und Hinweise zur wirtschaftlichen Wundversorgung. Auch größere Krankenkassen bieten oft Übersichten, welche Verbandsmaterialien wirtschaftlich verordnungsfähig sind (Beispiel Preisübersicht der AOK auf www.hausarzt.link/KRG71).

Merke: Mit “eingebautem” Haftrand ist meist deutlich teurer bei weniger Wundauflagefläche als mit einem Fixiermull oder ausnahmsweise einer atmungsaktiven Klebefolie (etwa am Steißbein wo sich Stuhlkontakt nicht immer vermeiden lässt) an der Wunde fixiert. Auch sind speziell vorgeformte “Spezialpflaster” zum Beispiel für Problemregionen Steiß, Ferse oder Zehen oft deutlich teurer als in Form geschnittene “Schaumstoffplatten”.

Cave: Lesen Sie in der Fachinformation nach, ob ein Zuschnitt möglich ist.

Sehr hochpreisige silber- oder aktivkohlehaltige Wundauflagen – die oft Wundmanager gerne empfehlen – regressieren Krankenkassen regelmäßig, da sich der beworbene Zusatznutzen oft nicht mit Evidenz hinterlegt darstellen lässt.

Tipp: Hier ist es bei Geruchsentwicklung und Besiedelung der Wunde deutlich sinnvoller eine konsequente Lokaltherapie mit regelmäßigem Wunddebridement und Spülungen mit “banaler” isotoner Kochsalz-(NaCl) oder Vollelektrolytlösung (VEL) vorzunehmen. Anders als die stark beworbenen speziellen Wundspülungen mit fraglicher Evidenz ist sowohl NaCl als auch VEL zur Wundspülung zugelassen und als Medizinprodukt verordnungsfähig.

Cave: Das international übliche Ausduschen mit Leitungswasser kann, aufgrund hygienischer Bedenken, in Deutschland zumindest in der Praxis oder spätestens sobald ein Pflegedienst involviert ist nicht empfohlen werden.

Weg 4: “wirtschaftlich Verbinden”

Bleibt noch Verbindenden eine gute Anleitung zur Hand zu geben, wie und wie oft sie den Verband wechseln sollen. Die “Verordnung häuslicher Krankenpflege” über Muster 12 ist hier leider nur sehr eingeschränkt praxistauglich.

Die Autoren haben daher eine ausfüllbare Schritt-für-Schritt-Anleitung erarbeitet, die zum Verband und dessen Wechsel detaillierte Anweisungen ermöglicht. Die Anleitung können Sie am Anfang dieses Artikels herunterladen.

Tipp: Notieren Sie auf Muster 12 “siehe Verbandsanlage auf separatem Blatt” im Freitextfeld und legen eine Kopie der Anleitung der Verordnung bei.

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