In den kommenden Wochen werden wir eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen müssen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Zwar ist ihre gesundheitliche Versorgung kaum geklärt – ohne einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten sie derzeit nur eine Minimalversorgung; gleichzeitig haben sie aber erhebliche gesundheitliche Probleme, die oft entweder direkt einen Notfall darstellen oder uns veranlassen, einzugreifen, um einen solchen zu verhindern.
Die Situation gebietet es, uns darüber klar zu werden, wie gut wir auf diese Patienten vorbereitet sind, aber auch auf Migranten insgesamt, die bereits zwischen zehn und 20 Prozent unserer Patienten ausmachen. Der folgende Fall wurde über einen Patienten berichtet, der durchaus schon lange in Deutschland lebt, sich aber nicht recht verständlich machen konnte (siehe Kasten). Das wäre mit einem fließend Deutsch sprechenden Patienten vermutlich nicht so verlaufen. Dennoch gibt der Berichtende zwei Gründe an:
- Ein nicht fehlerfrei verlaufendes Management von Patienten mit einem solchen Beschwerdebild, das auf einen Notfall, mit Parästhesien, hindeutet;
- und offenbar die Schwierigkeit des Patienten, sich mit seinen Wahrnehmungen verständlich zu machen.
Auf diesen Notfall war die Praxis nicht vorbereitet. Der Berichtende gibt als mögliche Verbesserungsansätze selbst an:
- „Ja. Praxisabläufe an Umstände anpassen. MFA schulen. Delegationen als Standards einüben. Fallstricke auch für das Telefon definieren.
- Versuchen, Überforderung zu verhindern, ggf. Teamabsprache im Moment der Überforderung.“ Drei Folgerungen erlaubt dieser Bericht:
- Für alle Notfälle sollte im Praxisteam besprochen werden, wie Notfälle bereits am Telefon effektiv gefiltert werden können;
- Eine Sicherheit, dass Notfälle auch zuverlässig bearbeitet werden;
- Patienten, die nur unzureichend Deutsch beherrschen, müssen in der Praxis ebenso zuverlässig behandelt werden wie andere auch. Das könnte schon das Programm einer Teamsitzung sein, die die „Willkommenskultur“ auf Seiten der Allgemeinmedizin unterstützt.
Fehlerbericht #719
Gemeinschaftspraxis, GP-Partner im Urlaub, Montagmorgen, Grippewelle! Patient spricht eingeschränkt Deutsch. Nett, bekannt, chronisches Schmerzsyndrom bei Z.n. Bandscheibenvorfällen, auf Grund dessen erwerbsunfähig. Patient meldet sich telefonisch. Er habe seit zwei Tagen zunehmende wechselnde Kribbelgefühle und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten, ob er heute noch kommen könne. MFA teilt mit, dass kein Termin mehr frei sei und er mit Wartezeit kommen könne. Er kommt und setzt sich ins Wartezimmer. Nach 1,5 Stunden im Wartezimmer wird der Patient von mir untersucht und aufgrund neuer diffuser neurologischer Defizite ins KH/Neurologie eingewiesen. Der Patient möchte erst nach Hause. Kann aber selber nicht ins 20 km entfernte KH, da niemand ihn fahren könne. Ich erkläre mich bereit, die Leitstelle zu informieren, dass der Patient einen Krankentransport erhält. Leider vergesse ich das Telefonat! Bemerke dies am Mittag. Patient hat sich in dieser Zeit selbst einen RTW organisiert und ist im KH.
Was war das Ergebnis?
Nach zwei Wochen WV in meiner Sprechstunde. Patient hatte einen medialen Bandscheibenvorfall der HWS mit Tetraplegie. Nach Not-OP (drei Tage nach KH-Aufnahme) jetzt nahezu beschwerdefrei.
- Erreicht bei unklarem neurologischem Defizit verspätet das Krankenhaus.
- Fühlt sich im Stich gelassen.
- Ärztliche Kollegen raten ihm zur Klage.
Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?
- Überforderung von MFA und Arzt.
- Fallstricke bereits am Telefon erkennen und filtern. Notfälle definieren!
- Möglichkeit der Delegation von Aufgaben auch im Notfallmanagement.