Mit “echten” Notfällen sind Hausärzte zwar eher selten konfrontiert, umso wichtiger ist aber ein gutes und fest implementiertes Notfallmanagement. Gesetzliche Anforderungen, die detailliert beschreiben, in welcher Art und Weise in Arztpraxen mit Notfällen umgegangen werden muss, gibt es nicht. Es liegt im Ermessen und der Verantwortung des einzelnen Arztes, Vorkehrungen zu treffen, die im Ernstfall schnell umgesetzt werden können.
Prozessabläufe
Im Notfall kann eine gute Organisation lebensrettend sein, da oft keine Zeit bleibt, sich umständlich abzustimmen. Jeder muss seine vorab klar definierten Aufgaben kennen und beherrschen. Am besten listet eine Prozessbeschreibung alle relevanten Fragen und Faktoren auf und benennt die Verantwortlichkeiten im Notfall:
- Wer informiert den Arzt?
- Wer kümmert sich um den Patienten?
- Wer holt den Notfallkoffer oder andere notwendigen Utensilien?
- Wozu und wie werden die einzelnen Gegenstände benutzt?
- Wie werden Infusionen und Medikamente für Injektionen vorbereitet?
- Wer informiert den Rettungsdienst und weist ihm den Weg?
- Mit welcher Telefonnummer wird der Notarzt alarmiert?
- Wie meldet man den Notfall richtig?
- Wer kümmert sich um die anderen Patienten und evtl. um die Angehörigen?
Eine zentral abgelegte, gut lesbare Checkliste sollte vorgeben, wie ein Notruf schnell und vollständig gemeldet wird. Das gehört dazu:
- Notrufnummer
- Wer meldet
- Wo ist der Notfallort (Anschrift)
- Praxis-Telefonnummer
- Notfalldiagnose (Verdacht)
- Ggf. welche Rettung wird benötigt
Notfallausrüstung und Medikamente
Es ist praxisindividuell festzulegen, was in den Notfallkoffer gehört, wer ihn regelmäßig wartet und wo er aufbewahrt wird. Ausstattungslisten (s. Abb 1) können bei der Auswahl helfen, ersetzen aber nicht die eigenen Überlegungen. Im Idealfall gehören zur Notfallausrüstung: ein Notfallkoffer, ein Automatisierter Externer Defibrillator (AED) und ggf. ein tragbares EKG-Gerät. Gerade im Hinblick auf Medikamente oder technische Geräte (Sauerstoffflaschen, AED) sollten nur Materialien enthalten sein, mit denen Arzt und Mitarbeiter in der Anwendung vertraut sind. Generell sind Praxen zwar nicht verpflichtet, einen AED vorzuhalten. Die neue ERC-Leitlinie empfiehlt dies aber. Zudem gehören typischerweise Herzerkrankungen zum Behandlungsspektrum einer Hausarztpraxis, auch dafür ist es oft ratsam, einen AED anzuschaffen.
Die komplette Notfallausrüstung sollte regelmäßig, etwa vierteljährlich, kontrolliert werden. Idealerweise benennt das Team einen Verantwortlichen für die Routineprüfung. Bei dieser ist besonders zu achten auf: Funktionsfähigkeit, Vollständigkeit, Wartungsbedarf und Verfallsdaten. Die Prüfungsintervalle sollten dokumentiert und abgezeichnet werden.
Aber die beste Ausrüstung hilft dem Patienten nur, wenn auch alle damit umgehen können. Die Abläufe sollten möglichst automatisch erfolgen, ohne Zeit mit dem Suchen von Informationen oder Material zu verlieren. Gerade der Umgang mit der technischen Ausstattung muss sitzen.
Am besten übt das gesamte Team den Ernstfall regelmäßig. Studien haben gezeigt, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten von lebensrettenden Maßnahmen innerhalb von nur drei bis sechs Monaten erheblich abnehmen. Mindestens einmal jährlich sollte das Team daher eine Auffrischung einplanen. Sollten bereits Notfälle vorgekommen sein, sollten sie kritisch und offen besprochen werden. Was lief gut/schlecht? Was ist zu verbessern? Ein wichtiger Tipp für jeden Notfall: Kurze und klare Aufforderungen retten Leben. Auf das höfliche “Sie” kann in dem Fall verzichtet werden.
Wie erkenne ich einen Notfall?
Darüber hinaus müssen Mitarbeiter Notfälle immer schnell erkennen können. Daher sollte das Team die wichtigsten allgemeinen und speziellen Erkennungsmerkmale besprechen und festlegen, was ein “Notfall” ist und welche Anzeichen darauf hindeuten. Neben den medizinischen Notfällen sollte die Praxis auch an besondere Situationen denken, die eventuell mit einem Notfall einhergehen können. Zum Beispiel: Wie bekomme ich die Toilettentür auf? Was tun, wenn der Fahrstuhl stecken bleibt? Was mache ich bei einem Stromausfall? Wo ist der Sicherungskasten der Praxisräume? Wenn die Computer der Praxis ausfallen, kann das im Notfall Folgen haben, wenn etwa wichtige Telefonnummern nur dort zu finden sind.
Der Notfall am Telefon
Eine besondere Herausforderung ist das Erkennen eines Notfalls während eines Telefonats. Es ist ratsam, auch darauf vorbereitet zu sein und gezielte Fragen zu stellen (s. Abb 2).
Nach dem Notfall
Und was passiert nach einem Notfall? Es müssen alle Ereignisse, die Verdachtsdiagnose und eingeleitete Maßnahmen lückenlos dokumentiert werden. Dies gilt auch für alle verabreichten Medikamente. Wurden Betäubungsmittel gegeben, muss das Betäubungsmittelgesetz eingehalten werden. Ein Gespräch zwischen Arzt und allen beteiligten Mitarbeitern kann bei der Nachbearbeitung helfen. Denkbare Fragen sind hier: Warum ging es diesem Patienten so schlecht? Was lief gut? Was sollte verbessert werden?
Das Europäische Praxisassessment
Das Europäische Praxisassessment (EPA) ist ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem, das auf Qualitätsindikatoren basiert. Es bezieht die Perspektive von Patienten, Ärzten und Mitarbeitern der Praxen ein.
Über die Benchmarking-Software VISOTOOL® haben Praxen die Möglichkeit, sich anonym miteinander zu vergleichen. Insgesamt haben bisher etwa 2.000 Hausarztpraxen an EPA teilgenommen.
Abb 2: Checkliste fürs Telefon
Symptome, die auf einen medizinischen Notfall hinweisen können
- Luftnot
- Atemnot
- Sprachstörungen
- Bewusstlosigkeit
- Stechende Kopfschmerzen
- Verwirrtheit
- Plötzliche Wesensveränderung
- Lähmungen / Taubheitsgefühle
- Akuter Brustschmerz
- Linker Armschmerz
Abb 1: Checkliste Notfallkoffer für Nicht-Arzneimittel
Notfallkoffer für Nicht-Arzneimittel
- Beatmungsbeutel mit unterschiedlichen Masken
- Automatisierter Externer Defibrillator oder Notfall-Defibrillator
- Blutdruckmessgerät
- Blutzuckerteststreifen
- Desinfektionsspray
- Einmalhandschuhe
- Gummibeißkeil
- Kanülen (Nr. 12, Nr. 1)
- Kornzange
- Oropharyngealtuben (Größe 3 und 4)
- Pflaster
- Schere
- Spritzen (2 ml, 5 ml, 10 ml, 20 ml)
- Stauschlauch
- Stethoskop
- Venenverweilkanülen (z.B. Braunüle Gr. 1 bis 3)
- Verbandsmaterial (Heftpflaster, Binden, usw.)