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Lese- und SchreibkompetenzWartezimmer-Kampagne soll Lesekompetenz fördern

Wie viele Patienten können nicht richtig lesen und schreiben? Statistisch gesehen dürfte es jeder achte Erwachsene sein. Mit der Kampagne "Lesen & Schreiben – Mein Schlüssel zur Welt" will das Bundesministerium für Bildung und Forschung für Lese- und Schreibschwierigkeiten von Erwachsenen sensibilisieren, über Lern- und Beratungsangebote informieren und Betroffene zum Lernen motivieren. Hausärzte sollen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Geschätzt 6,2 Millionen Männer und Frauen zwischen 18 und 65 Jahren in Deutschland können laut Grundbildungsstudie “LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität” zwar Buchstaben, Wörter und einzelne Sätze entziffern und schreiben, haben jedoch Mühe, einen längeren zusammenhängenden Text zu verstehen.

Damit bleibt ihnen eine volle Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben häufig verwehrt. Gleichzeitig haben sie “viele Mechanismen und Hilfskonstruktionen entwickelt, sowie ein Netzwerk an helfenden Mitmenschen aufgebaut, das ihnen das Verstecken ihres Defizits ermöglicht”, sagt Professorin Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen in Mainz. Die Stiftung berät die Kam-pagne mit Expertise aus der Forschung.

“Weil gering literalisierte Menschen häufiger zum Arzt als der Bevölkerungsdurchschnitt gehen, sind Hausärzte wichtige Ansprechpartner für diese Patientengruppe”, begründet Ehmig die Einbindung der Hausarztpraxen in die Kampagne. “Die Hausarztpraxis wird konfrontiert mit den Folgen, wenn ein Patient nicht gut lesen und schreiben kann.”

Man erkenne das zum Beispiel daran, dass Patientenbögen kaum oder gar nicht ausgefüllt sowie schriftliche Anweisungen nicht beachtet würden. Es sei den Patienten zudem kaum möglich, Informationen zur Medikation in einem Beipackzettel nachzulesen oder sich in Aufklärungsbögen zurecht zu finden, zum Beispiel zur Corona-Schutzimpfung.

Im vertraulichen Arzt-Patienten-Gespräch kämen zudem häufig Themen aus Lebenssituationen zur Sprache, die über die medizinischen Anliegen hinausgingen. Viele dieser Probleme ließen sich angehen, wenn Betroffene besser lesen und schreiben könnten.

Schulden, familiäre Abhängigkeiten oder Depressionen stünden oft im engen Zusammenhang mit fehlender Schriftsprachkompetenz. “Hausärztinnen und Hausärzte haben eine hohe Autorität und stehen in einem Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten und Patientinnen. Das ermöglicht ihnen, auch ein sensibles Thema wie Lese- und Schreibkompetenz im geschützten Rahmen anzusprechen”, sagt Ehmig.

Gering literalisierte Menschen – die Zielgruppe

6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Grund sind unter anderem schlechte Erfahrungen in der Schule, ein bildungsfernes Elternhaus sowie grundsätzliche Probleme im Schriftspracherwerb wie zum Beispiel Verlernen von Fähigkeiten im Verlauf des Lebens.

Für mehr als 50 Prozent von ihnen ist deutsch ihre Herkunftssprache.

58,4 Prozent sind Männer.

46,8 Prozent sind älter als 45 Jahre.

60 Prozent besitzen keinen oder einen niedrigen Berufsabschluss.

62,3 Prozent von ihnen sind erwerbstätig, häufig Geringverdiener. Aufgeschlüsselt nach Berufsgruppen arbeiten gering literalisierte Menschen unter anderem in der Nahrungsmittelzubereitung (47 Prozent der dort als Hilfskräfte Beschäftigten), als Reinigungspersonal (30 Prozent), als Bau- und Ausbaufachkräfte (29 Prozent) und als Hilfsarbeiter (23 Prozent).

“Mein Schlüssel zur Welt”

Zu den Lern- und Beratungsangeboten zählen unter anderem das ALFA-Telefon des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung) sowie ein Netzwerk an Kursen, Projekten und weiteren Angeboten. “Mein Schlüssel zur Welt” ist Teil der AlphaDekade, mit der das Bundesforschungsministerium die Literalisierung in Deutschland verbessern will.

Die Kampagne will Betroffene zusätzlich zur Hausarztpraxis auch über Hörfunk- oder Fernsehspots erreichen. Inhalte werden vorrangig über Bildsprache in Form von Cartoons vermittelt, die typische Situationen aus dem Arzt-Patienten-Alltag aufgreifen.

Im Rahmen der Dekade hat Ehmig das Projekt “HEAL” verantwortet, in dem Health Literacy im Kontext von Alphabetisierung und Grundbildung untersucht wurde. Zentrale Ergebnisse sind in einem Video aufbereitet, das für die Bedeutung von Lesen für die Gesundheit sensibilisieren will. Es ist unter anderem auf Youtube unter dem Stichwort “Gesund Lesen” abrufbar.

Sich für eine bessere Literalisierung in Deutschland und damit eine Anhebung des Bildungsniveaus einzusetzen, verspricht Aussicht auf Erfolg. Bei der Vorstellung der LEO-Studie, der wichtigsten Erhebung im Bereich Alphabetisierung in Deutschland in 2019, betonte das Bundesbildungsministerium, dass der Anteil der Erwachsenen in Deutschland, die nicht richtig lesen und schreiben können, dank vielfältiger Bemühungen von 2011 bis 2018 um fast ein Fünftel geringer geworden ist.

Damals waren es noch etwa 7,5 Millionen Betroffene, in 2018 waren es etwa 6,2 Millionen. “Es handelt sich hierbei mehrheitlich nicht um Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer Beeinträchtigung ihrer Sinnesorgane”, betont Ehmig, sondern um Personen, die mit entsprechender Unterstützung grundsätzlich lesen und schreiben lernen könnten.

Informationen zur Kampagne

Start: Herbst 2021

Zeitraum: Oktober bis Dezember

Pilotregionen: Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Bayern

Teilnehmer: Rund 2.000 Allgemeinmediziner, 1.000 Gynäkologen

Werbemittel: 1 Plakat, 10 Postkarten pro Praxis, 10 Patientenflyer, 1 Arztbrief

Begleitende Mediakampagne: Hörfunk-Spots, digitale Werbung, Print-Anzeigen

Homepage: www.mein-schluessel-zur-welt.de mit eigener Landingpage zur Kampagne

ALFA-Telefon: Telefonische und kostenlose Beratung gibt es am ALFA-Telefon unter 0800 53 33 44 55

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