© privat Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin
Das beinhaltet, dass wir die Maskenpflicht beibehalten und vor allem auch alle weiter Masken richtig tragen. Bei vielen hängt die Maske leider unterm Kinn oder die Nase schaut raus, so nutzt sie wenig. Außerdem sollten Großereignisse noch ausgesetzt bleiben. Hier kann ich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nur zustimmen. Er hat kürzlich gesagt: Wenn wir jetzt die Maskenpflicht abschaffen, suggerieren wir damit, „es ist alles schon vorbei“.
Aus Hausarztpraxen bekomme ich nach wie vor mit, dass einige Patienten sich beklagen, sie bekommen mit der Maske nicht genug Luft. Können Sie ein paar Argumente an die Hand geben, was für Masken spricht?
Scherer: Hier gibt es eine ganze Reihe von Studien. Unterscheiden müssen wir Endpunktstudien, die die Folge von Maßnahmen auf Infektionsraten oder Klinikeinweisungen zeigen, und laborexperimentelle Studien, die schauen, was lässt ein Mundschutz durch, wenn man hustet, spricht oder singt. Schon der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass ein Stück Stoff vor Mund und Nase Flüssigkeit davon abhält, sich zu verbreiten, und die Tröpfchen zurückgehalten werden.
Gute Effekte bringen aber oft auch Maßnahmenpakete: So hat eine Studie aus Hongkong gezeigt, dass die Kombination aus Abstand halten und Maske tragen wirksam ist. Die meisten Studien belegen, dass das Trio aus sozialer Distanz, Maske und Händehygiene – in dieser Reihenfolge von der Wichtigkeit – wirkungsvoll verhindert, dass sich das neue Coronavirus ausbreitet.
Und wie vermitteln Sie das Ihren Patienten?
Scherer: Im Gespräch mit den Patienten ist vieles erstmal eine Einstellungsfrage. Ängstliche Patienten können Ärzte beruhigen: Niemand erstickt unter einer Maske! Manche müssen sich einfach erstmal ans Tragen gewöhnen. Man kann es also im Sprechzimmer ein paar Minuten zusammen ausprobieren, um die Angst zu nehmen. Es gibt zum Beispiel auch Menschen mit Asthma, die keine Perlenketten tragen, weil sie meinen, das engt sie ein. Oft entsteht dieses Gefühl aber im Kopf der Patienten.
Und wenn wirklich jemand partout die Maske nicht tragen kann, dann muss man mit demjenigen intensiv über soziale Distanz sprechen. Wie schaffen es diese Patienten, in die Praxis zu kommen? Zum Einkaufen zu gehen etc. und dabei immer die 1,5 bis 2 Meter Abstand einzuhalten. Da genau das in manchen Situationen schwer fällt, sind Abstand halten und Maske eine gute Kombination.
Manche Patienten wünschen sich von Ärzten auch ein Attest, das sie von der Maskenpflicht befreit. Gibt es ihrer Meinung nach Erkrankungen oder Umstände, die das rechtfertigen?
Scherer: Zum Beispiel bei Menschen mit Orthopnoe, die sauerstoffpflichtig sind und diesen über eine Nasenbrille bekommen oder ihr Sauerstoffgerät mit sich führen, fällt es schwer, eine Maskenpflicht aufzuerlegen. Das ist eindeutig. Ebenso bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz im Stadium NYHA IV mit einer Orthopnoe, wenn diese Patienten wirklich schon schnaufend vor einem sitzen.
Hingegen würde ich beim Gros der Asthma- und COPD-Patienten eher von solchen Attesten abraten. Letztlich muss es jeder Arzt selbst entscheiden. Ich handhabe solche Befreiungen sehr restriktiv, auch wenn es die langfristige Hausarzt-Patienten-Beziehung erschweren kann, den Patienten Bitten abzuschlagen. Einerseits ist die Frage, wo braucht man dieses Attest wirklich? Andererseits lässt sich das subjektive Empfinden schwer ärztlich bescheinigen.
Mein Tipp ist daher: Ich stütze mich bei der Attestierung nur auf das, was ein hartes Faktum ist. Zum Beispiel wünschten sich einige Patienten Atteste zu ihrem Risikostatus. Hier bescheinige ich nur: „Der Patient hat diese und jene Erkrankung. Laut DEGAM-Leitlinie zählen folgende Erkrankungen zu den Risikofaktoren für einen schweren Verlauf bei einer Corona-Infektion.“
Ein weiterer Punkt, der gerade viel diskutiert wird, ist die Teststrategie – oder besser Strategien, denn jedes Land fährt seine eigene . Von Beginn an hat Jens Spahn die Devise „testen, testen, testen“ ausgegeben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat ihn wörtlich genommen: In Bayern kann sich jetzt jeder einfach testen lassen – ohne weitere Kriterien. Ist das sinnvoll?
Scherer: Damit verschwenden wir Ressourcen, denn es ist weder aus testtheoretischer noch epidemiologischer Sicht sinnvoll. Auch Jens Spahn hat inzwischen erkannt, dass es eine Vortestwahrscheinlichkeit gibt, dass die Prävalenz eine Rolle spielt, für den Anteil der falsch positiven Testergebnisse usw.
Allein vor dem Hintergrund, dass ein PCR-Test immer nur eine Momentaufnahme ist, sind solche ungezielten Massentests wie in Bayern nicht sinnvoll. Ein negativer PCR-Test sagt mir eigentlich nur: Heute bin ich nicht infiziert. Morgen kann das schon wieder anders aussehen.
Ein negativer PCR-Test sagt eigentlich nur: Heute bin ich nicht infiziert.
Zudem wiegt man sich mit einem falsch negativen Test in Sicherheit und denkt, jetzt kann ich Oma doch sorgenfrei im Heim besuchen und muss keinen Abstand mehr halten. Wie und wer getestet wird, sollten daher Ärzte und der Öffentliche Gesundheitsdienst entscheiden. Und was das Testergebnis bedeutet, muss den Patienten erklärt werden.
Viel wichtiger ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, worauf es ankommt: Wir müssen wachsam bleiben und die Ressourcen gezielt einsetzen, um Corona-Hotspots so schnell wie möglich zu identifizieren. Und nochmal: Entscheidender als die Testerei ist, dass wir die Motivation hochhalten, soziale Distanz zu bewahren und Masken zu tragen.
Masken sind für mich ein minimaler Akt der Höflichkeit: Denn wir schützen damit ja nicht uns selbst, sondern unser Gegenüber! Dadurch können wir mit minimalem Aufwand, viel für uns alle erreichen. Das halte ich für sehr viel wirksamer als wahlloses Testen.
Wie schätzen Sie die Corona-Warn-App ein?
Scherer: Die App finde ich super. Wünschenswert wäre, wenn sie künftig auch auf älteren Geräten funktionieren würde, damit ältere Menschen, die meist nicht die neuesten Handys besitzen, nicht abgehängt werden. Ebenso sollten wir uns überlegen, wie wir diejenigen mitnehmen, die sich kein Smartphone leisten können.
Aber ich glaube, mehr als 15 Millionen Menschen haben die App schon heruntergeladen – also rund jeder fünfte Deutsche. Je mehr es werden, desto besser!