© Thiemann Anja Thiemann, Sprecherin des Ausschusses Angestellte im Hausärztinnen- und Hausärzteverband
“Das Tool zeigt aber auch, in welche Praxisdaten ärztliche Angestellte Einblick brauchen, um ein Gefühl dafür entwickeln zu können, wie sie zum Gewinn der Praxis beitragen können”, sagt die Berliner Hausärztin. “Das kann sich für die Chefin oder den Chef natürlich erstmal ungewohnt anfühlen”, ergänzt Schwill. Der Rechner solle aber beide Seiten dazu anregen, welche Zahlen vertraulich besprochen werden sollten.
“Nur mit Transparenz können Angestellte eine Vorstellung davon entwickeln, was ihre Vorgesetzten neben dem Gehalt alles berücksichtigen müssen, um ihre Stelle zu finanzieren.” Dazu zählten etwa die 20 Prozent Lohnnebenkosten oder dass womöglich die Praxis mit einem Sprechzimmer erweitert werden muss, nennt Schwill zwei Beispiele.
2. Arbeitszeit definieren
Der zweitgrößte Knackpunkt sei die Arbeitszeit, erzählt Schwill. Früher sei es üblich gewesen, dass die Vor- und Nachbereitung der Sprechstunde als Überstunden geleistet werden. Dies sei heute anders, daher könne man sich schnell missverstehen.
“Im Muster-Anstellungsvertrag des Verbandes wird daher dazu geraten, über den Anteil der Sprechstundenzeit an der gesamten Arbeitszeit zu sprechen und dies im Vertrag festzuhalten.” Als Daumenregel könne man von einer Stunde Nachbereitungszeit für vier Sprechstunden ausgehen. Bei 20 Stunden Arbeitszeit stünden also 16 Stunden für die Sprechstunde zur Verfügung.
“Klare Vorgaben bieten für alle Vorteile: Das Team kann die Sprechstunde gut planen. Die Arbeitgebenden können sich darauf verlassen, dass ihre Angestellten ihre Fälle abschließend – also samt Formularen, Dokumentation etc. – bearbeiten und die Angestellten haben Sicherheit, wie sich ihre Arbeitszeit gestaltet”, erklärt Thiemann.
Zudem könne vereinbart werden, dass bestimmte Aufgaben wie Labor auswerten, Patientenanrufe, Dokumentation auch von zuhause aus erledigt werden können, was eine Stelle attraktiver mache.
3. Recht auf Fortbildung
Ein weiteres Missverständnis kann bei Fortbildungen auftauchen. “Manche wissen nicht, dass in den meisten Bundesländern ein Anspruch auf Bildungszeit besteht”, sagt Schwill. Außer Bayern und Sachsen gibt es in jedem Land ein Bildungszeitgesetz, das in der Regel fünf Tage pro Jahr oder zehn Tage in zwei Jahren zur Fortbildung von Mitarbeitenden vorsieht.
Dafür müssen Mitarbeitende keinen Urlaub nehmen und das Gehalt wird weitergezahlt. “Die für sie gültigen Vorgaben sollten beide Seiten kennen, damit keine Arbeitsverträge geschlossen werden, die dagegen verstoßen”, rät Schwill.
Zudem solle man mindestens einen Teil der Fortbildungen möglichst selbst wählen können. “Angestellte sollten aber frühzeitig, spätestens ein halbes Jahr im Voraus, ihre Fortbildung mit den Vorgesetzten abstimmen, damit es bei der Praxisplanung berücksichtigt werden kann”, ergänzt Thiemann. Davon unabhängig könne Fortbildung auch als Teamerlebnis gestaltet werden, zum Beispiel als gemeinsamer Ausflug zur practica in Bad Orb oder zum BAM-Kongress in Berlin.
4. Urlaub früh planen
Ebenso frühzeitig sollte man den Urlaub und die Praxisschließzeiten im Team gemeinsam besprechen, empfehlen Schwill und Thiemann. Manche Arbeitgebenden seien der Meinung, sie legen die Schließzeit fest und das Team müsse sich gänzlich danach richten – ein Irrtum. Hier sollten beide Seiten das Bundesurlaubsgesetz kennen.
Demnach ist Urlaub in der Regel frei wählbar und kann nur aus dringenden betrieblichen Gründen einseitig angeordnet werden. Aber selbst dann darf nicht alles vorgegeben werden: Laut Bundesarbeitsgericht muss das Personal in etwa zwei Fünftel seines Urlaubs selbst bestimmen können.
“Mitunter kann es aber auch im Interesse des Arbeitgebenden sein, freiwillig mehr Urlaubstage zu gewähren. Wenn man etwa die Praxis acht Wochen pro Jahr schließen möchte, Angestellte aber nur sechs Wochen Urlaub haben, dann würden für zwei Wochen Überstunden anfallen”, erläutert Schwill.
Verbandsangebote
Neben dem Kodex Anstellung bietet der Hausärztinnen- und Hausärzteverband weitere Services rund um die Anstellung:
Kalkulationstool : Erhalten Mitglieder bei ihrem Landesverband. Der Rechner wird mit den Praxisdaten gefüttert und zeigt dann, wie viel gearbeitet werden muss, um ein Angestelltengehalt samt Nebenkosten zu refinanzieren.
Muster-Anstellungsvertrag: Mitglieder mailen an gvp@haev.de
Stellenbörse : Gesuche von Angestellten, Angebote von Praxen
Die Services finden Sie über die Webseite des Ausschusses Angestellte (www.hausarzt.link/xre93 ). Künftig sollen weitere Fortbildungen speziell für Angestellte entwickelt werden.
Wer diese Knackpunkte gemeinsam löst, legt die Basis für ein gutes Miteinander im Team. Und darauf kann sich wiederum Motivation zur Niederlassung entwickeln, weiß Schwill aus seiner Tätigkeit als Leiter des Kompetenzzentrums Weiterbildung in Baden-Württemberg. “Für einige ist die Anstellung nur eine Zwischenstation. Aus Studien wissen wir, dass sich die Niederlassung von Mitte 30 auf eher Mitte 40 verlagert hat.”
Mit zunehmendem Alter könne man seine Risikobereitschaft und die mentalen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen besser einschätzen. “Gehen Arbeitgebende transparent, aber vertraulich mit ihren Praxisdaten um, weckt das bei einigen mit der Zeit die Lust, selbst eine Praxis zu führen.”
So zum Beispiel bei Anja Thiemann, die in ihrer Chefin ein “tolles Vorbild” gefunden hat. Sie hat schnell gemerkt, dass sie die Praxis übernehmen möchte. Ihre Vorgesetzte wolle aber noch etwas länger arbeiten. “Deswegen haben wir eine flexible Übergangszeit von drei bis fünf Jahren definiert, in der ich Schritt für Schritt Aufgaben von ihr übernehme und so auch genug Zeit habe, die neuen Aufgaben selbst zu lernen”, erzählt die Berlinerin.
Kommentar
von Dr. Simon Schwill, MME
Ein ZEIT Online-Beitrag hat in den vergangenen Wochen unter Hausärztinnen und Hausärzten – Angestellten wie auch Anstellenden – für Irritation und manchen Ärger gesorgt. Dort berichtet ein angestellter hausärztlicher Kollege anonym, dass er mit weniger als 40 Arbeitsstunden pro Woche auf knapp 7.000 Euro netto monatlich kommt. Stress habe er nicht. Er verstehe daher nicht, worüber sich seine Kolleginnen und Kollegen eigentlich beschweren.
Leben wir angestellten Hausärztinnen und Hausärzte also im Paradies und wollen es nur nicht wahrhaben? Mitnichten! Denn unter der sich immer weiter zuspitzenden Lage der hausärztlichen Versorgung leiden beide Seiten – Anstellende und Angestellte. Der zunehmende Versorgungsdruck sorgt dafür, dass sich der Arbeitsalltag immer weiter verdichtet – bis er irgendwann nicht mehr zu schaffen ist. Die explodierenden Kosten der Praxen merkt auch jeder Angestellte.
Anstellende und angestellte Hausärztinnen und Hausärzte sitzen dabei im selben Boot. Für eine patientennahe hausärztliche Versorgung kann der eine nicht ohne den anderen. Daher müssen wir auch gemeinsam dafür kämpfen, dass die Krise der hausärztlichen Versorgung als das gesehen wird, was sie ist: Eine Bedrohung für die Zukunft unseres Gesundheitswesens, der mit echten Strukturmaßnahmen begegnet werden muss. Vielleicht kommen wir dann irgendwann dahin, dass der Kollege aus dem ZEIT Online-Artikel mit seiner privilegierten Situation nicht allein auf weiter Flur ist.