© Der Hausarzt .
“Es ist nicht hinzunehmen, dass es bislang keine Regelung in der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) gibt, die zur bundesweit einheitlichen Umsetzung in den Ärztekammern bei einem so wichtigen Thema führt”, sagt Robert Festersen, Geschäftsführer des Deutschen Hausärzteverbands. Schließlich seien die Gründe für mögliche Fehlzeiten in ganz Deutschland gleich. “Damit es hier im Sinne der jungen Ärztinnen und Ärzte vorangeht, werden wir uns – wie schon 2018 – beim Deutschen Ärztetag gemeinsam mit anderen Ärzteverbänden für die Anerkennung von beispielsweise krankheitsbedingten Fehlzeiten als Weiterbildungszeit einsetzen. Das vorgeschobene Argument, juristische Gründe sprächen dagegen, ist nicht stichhaltig angesichts der Umsetzung in den Weiterbildungsordnungen einiger weniger Ärztekammern.”
Praxishilfen
Checklisten zum Thema „Schwangerschaft“ sowohl für Ärztinnen in Weiterbildung als auch für Praxis-Chefinnen und -Chefs:
Broschüre: „Gefährdungsbeurteilung in der Praxis“: www.hausarzt.link/npjmM
Dass ein entsprechender Passus in der MWBO bislang fehlt, führt in der Praxis zu Problemen. “Viele denken nicht durch, welche Konsequenzen das in der Praxis hat – nicht nur für Ärzte in Weiterbildung, sondern auch für die weiterbildende Praxis”, beobachtet Dr. Johanna Bobardt, Vize-Sprecherin des Forums Weiterbildung. Beide seien mitunter gezwungen, eine “rechtliche Grauzone” zu betreten, beobachtet sie – etwa in Sachen KV-Förderung. “In der Realität gehen glücklicherweise viele Kammern pragmatisch vor und lösen Fälle von weniger als sechs Wochen Fehlzeit pro Jahr auf dem kleinen Dienstweg.” Jedoch gebe es aktuell keine Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, was mitunter zu haarsträubenden Szenarien führe.
Schwanger – und jetzt?
Noch komplizierter werden die Vorgaben mitunter, wenn die Fehlzeit in einer Schwangerschaft begründet liegt. Gefährdungsbeurteilung, Mutterschutz, Schutzpflichten, Schutzfristen, Zumutbarkeit und Weiterbildungsordnung: Das sind dann die Schlüsselbegriffe, um die sich Gedanken von Arbeitgeber und -nehmerin – zusätzlich zur “reinen” Fehlzeit – drehen. Schwangere dürfen heute in weiten Teilen mit und selbst bestimmen, welche Tätigkeiten sie sich noch zutrauen. Hier kommt die Gefährdungsbeurteilung ins Spiel, die jeder Hausarzt verpflichtend für seinen Betrieb erstellen und jederzeit zugänglich machen muss. Und das unabhängig von einer Schwangerschaft: Die Pflicht zur Durchführung und Dokumentation der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung nach dem Mutterschutzgesetz besteht unabhängig davon, ob aktuell schwangere und / oder stillende Frauen beschäftigt werden. Bei fehlender oder veralteter Beurteilung drohen Bußgelder von bis zu 30.000 Euro.
! Verboten sind für Schwangere in der Arztpraxis grundsätzlich Tätigkeiten am infektiösen Patienten, der Kontakt zu infektiösem Material und das regelmäßige Heben von Gewichten über fünf Kilogramm. Nicht erlaubt ist außerdem Alleinarbeit, die Schwangere muss jederzeit Unterstützung bekommen können. Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass gegebenenfalls Schutzmaßnahmen getroffen werden. Das zum 1. Januar 2018 geänderte Mutterschutzgesetz nimmt ihn deutlich in die Pflicht.
“Jeder muss das Recht haben, mal krank zu sein”
Interview mit Monika Buchalik, Hausärzteverband Hessen
? Seit Jahren machen Sie sich stark, dass Fehlzeiten von bis zu sechs Wochen in der Weiterbildung bundesweit anerkannt werden. Warum?
Nach der aktuellen Regelung haben Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung geringere Rechte als “normale” Arbeitnehmer. Das kann nicht sein! Jeder muss das Recht haben, auch ohne finanzielle Einbußen mal krank zu sein. Daher ist es wichtig, dass wir uns weiter für eine Anerkennung von Fehlzeiten bis zu sechs Wochen einsetzen.
? Ihren entsprechenden Antrag hatte der Deutsche Ärztetag 2017 in die weitere Beratung geschickt. Wie setzt sich der Deutsche Hausärzteverband dafür ein, das Thema voranzutreiben?
Wir werden das Thema wohl auch beim nächsten Ärztetag wieder platzieren. Dazu stimmen wir uns etwa im Arbeitskreis Ärztekammern ab (“Der Hausarzt” 4/20). Wichtig ist es, für die Problematik zu sensibilisieren, Mehrheitsverhältnisse zu prüfen und gegebenenfalls auf andere politische Gruppierungen zuzugehen, um eine breite Zustimmung zu erreichen.
? Letztlich sind in der Umsetzung – wie bei der MWBO – die Landesärztekammern gefragt. Warum ist wichtig, dass sie “mitziehen”?
Die Problematik betrifft ja nicht nur Ärzte, die in ihrer Weiterbildung umziehen – sondern auch die zahlreichen angehenden Ärzte und ihre Weiterbilder, die an Landesgrenzen leben und einen Teil ihrer Weiterbildung bei “Nachbarn” absolvieren. Ich bin deshalb froh, dass wir in Hessen früh reagiert haben.
(Das Interview führte Jana Kötter)
Bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung unterstützt maßgeblich die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Pressesprecherin Mareike Berger verweist auf die Broschüre “Gefährdungsbeurteilung in der Arztpraxis”, die eine Muster-Gefährdungsbeurteilung enthält. Zudem bietet die BGW einen Online-Kurs in ihrem Lernportal zum Thema an.
Arbeitgeber haben nun bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen alle aufgrund der Gefährdungsbeurteilung nach Paragraf 10 erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der physischen und explizit auch der psychischen Gesundheit der Frau und ihres Kindes zu treffen.
So steht es in der neuen Muster-Weiterbildungsordnung:
“Eine Unterbrechung der Weiterbildung, insbesondere wegen Schwangerschaft, Elternzeit, Wehr- und Ersatzdienst, wissenschaftlicher Aufträge – soweit eine Weiterbildung nicht erfolgt – oder Krankheit kann nicht als Weiterbildungszeit angerechnet werden.”
Die Krux: Der entscheidende Passus “Dies gilt nicht für Fehlzeiten bis 6 Wochen.” hat es bislang nicht in die MWBO geschafft.
Schutz von Mutter und Kind
Neu implementiert wurde der arbeitsschutzrechtliche Schlüsselbegriff der “unverantwortbaren Gefährdungen” (Paragrafen 9 und 11). Dieser besagt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen so zu gestalten hat, dass Gefährdungen einer schwangeren und auch einer stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und somit eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen wird. Werden solche Gefährdungen festgestellt, so müssen Arbeitgeber den Arbeitsplatz entsprechend umgestalten. Geht das nicht, müssen sie die werdende oder stillende Mutter an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einsetzen, etwa in einem anderen Einsatzgebiet, einer anderen Abteilung oder – wenn vorhanden – in einer Zweigpraxis. Erst wenn beides nicht möglich ist, dürfen sie die Frau nicht weiter beschäftigen im Sinne eines betrieblichen Beschäftigungsverbots.
Zudem müssen sie gewährleisten, dass eine schwangere Angestellte, so erforderlich, ihre Arbeitszeit für eine Ruhepause unterbrechen kann. Das gilt im Übrigen auch für eine Hausärztin in Weiterbildung, die noch stillt. Laut Mutterschutzgesetz ist eine tägliche Freistellung für die zum Stillen nötige Zeit während der ersten zwölf Monate nach Entbindung zu gewähren.
Mit Bekanntgabe der Schwangerschaft sind Arbeitgeber also zum besonderen Schutz der werdenden Mutter verpflichtet. So darf eine Angestellte während Schwangerschaft, Mutterschutz und bis vier Monate nach der Geburt auch nicht gekündigt werden. Das Mutterschutzgesetz legt zudem fest, dass Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche erlitten haben, bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Fehlgeburt nicht gekündigt werden dürfen (Paragraf 17). Der Mutterschutz beginnt grundsätzlich sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und endet acht Wochen nach der Geburt. Kommt das Kind nach dem Stichtag auf die Welt, verlängert sich der Schutzzeitraum, wird es früher geboren, bleibt der Zeitraum von insgesamt 14 Wochen unberührt. Bei Frühchen, Mehrlingen und Kindern, die mit Behinderungen geboren werden, verlängert sich die Schutzfrist nach der Geburt auf zwölf Wochen.
KV-Förderung ruht bei Fehlzeit
Explizit vertraglich zu regeln ist der Wiedereinstieg – ganz gleich, welcher Grund hinter diesem steckt. Die Bezuschussung der KV ruht bei der Unterbrechung der Weiterbildung durch Schwangerschaft, Elternzeit oder Krankheit. Nehmen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung die Arbeit wieder auf, kann auch die Förderung fortgesetzt werden. Deren Bewilligung erfordert einen Vorlauf von drei Monaten.
! Wichtig: Eine Schwangere darf auf eigene Verantwortung bis zur Geburt weiterarbeiten und den Mutterschutz nicht in Anspruch nehmen. Möchte also die Ärztin in Weiterbildung Inhalte für ihren Weiterbildungskatalog noch vor der Geburt abschließen, darf ihr dies nicht grundsätzlich verwehrt werden. Nach der Geburt darf die frischgebackene Mutter während der Schutzfrist nicht arbeiten, es gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot.
Zu beachten ist, dass die – wenn auch nur tageweise – Unterbrechung der Weiterbildung in kaum einer Ärztekammer als Weiterbildungszeit gezählt wird (S. 20). Dies ist auch wichtig für den Praxisinhaber und nachfolgende Ärzte in Weiterbildung. Muss also “nachgearbeitet” werden, ist je nach individueller “Praxisbelegung” und regionaler Regelung zu klären, ob beispielsweise zwei Ärzte in Weiterbildung in der Praxis tätig sein dürfen. Prinzipiell gilt dabei aber, dass die KV-Förderung nur einmal gezahlt wird.
Fiktives Fallbeispiel
skizziert von Dr. Johanna Bobardt, stellvertretende Sprecherin des Forums Weiterbildung im Deutschen Hausärzteverband
Ausgangslage: Arzt in Weiterbildung steht kurz vor der Facharztprüfung, als er von einem Auto erfasst wird. Komplizierter Unterschenkelbruch, Klinik.
Problematik: Die Ärztekammer fordert, aufgrund der bestehenden Regularien, dass vier Wochen Fehlzeit nachgearbeitet werden müssen.
Die „alte“ Praxis hat bereits einen neuen Arzt in Weiterbildung eingestellt; ohne weitere finanzielle Förderung könnten sie ihn nicht weiterbeschäftigen.
15 Praxen werden angeschrieben – ohne Antwort.
4 Praxen antworten – für vier Wochen würden jedoch nur Famulanten angenommen.
1 Praxis bietet an, den Arzt in Weiterbildung ohne Gehalt anzustellen. Doch: Laut Abschnitt A Paragraph 4 der MWBO hat die Weiterbildung zwingend innerhalb der angemessen vergüteten ärztlichen Berufsweiterbildung zu erfolgen.
Der Weiterbilder hat unterdessen eine Rückzahlungsforderung über knapp 4.800 Euro von der KV erhalten, die er an den jungen Kollegen weitergibt.
Fazit 1 – “Worst Case”: Ein motivierter, gut ausgebildeter Arzt sehnt nach elf Jahren Berufsausbildung der Niederlassung entgegen – und wird aufgrund einer vierwöchigen Krankheit ausgebremst.
Fazit 2 – “Good Case”: Landesärztekammer und Praxis finden Lösung “auf dem kleinen Dienstweg”.
Als Arbeitgeber bekommen Hausärzte die Aufwendungen bei Mutterschaft der Angestellten, insbesondere Mutterschutzlohn und Arbeitgeberzuschuss, in vollem Umfang ausgeglichen. Sie nehmen dafür an einem Umlageverfahren der Kassen teil. Voll erstattet werden die Arbeitgeberzuschüsse zum Mutterschaftsgeld sowie das Entgelt, das als Mutterschutzlohn bei Beschäftigungsverboten gezahlt wird. Ebenfalls erstattet werden die darauf entfallenden, von Arbeitgebern zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Nicht zuletzt gilt: Keine Panik. 60 Prozent der Mediziner sind heute weiblich. Wer in Zeiten von Ärztemangel gelassen auf die Nachricht einer Schwangerschaft reagiert, punktet.
(Mitarbeit: jk)