Die praktischen Fragen von Hausarzt Dr. Carl-Heinz Müller blieben bei der Diskussion zum Thema „AMNOG 2.0 – zukunftsfähige Lösungsansätze für chronische Erkrankungen“ weitgehend unbeantwortet: Ihn nervt die zähe Kommunikation. „Warum kommen die Informationen darüber, ob einem Medikament ein Zusatznutzen bescheinigt wurde oder keiner, nicht besser in den Praxen an?“, fragte Müller in die Runde. Schließlich müsse er als Hausarzt im Zweifel seine Patienten neu einstellen.
Tatsächlich hatten die Podiumsteilnehmer in Berlin andere Sorgen. So wurde besonders die frühe Nutzenbewertung, wie sie das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (ANMOG) vorschreibt, sehr unterschiedlich beurteilt. Vor allem die Hersteller drängen auf Änderungen im Gesetz. Prof. Dieter Paar von Sanofi-Aventis Deutschland kritisierte, dass immer wieder innovative Produkte für chronisch Kranke durchfielen. Dagegen würden viele Krebsmedikamente zugelassen. Kein Wunder, meinte Paar: „Denn die vergleichsweise kurzen Überlebenszeiten von Tumorpatienten bieten harte Endpunkte für eine Nutzenbewertung.“ Aber bei chronisch Kranken sei es, wegen des noch langen Lebens der Patienten, viel schwerer, im Hinblick auf eine zweckmäßige Vergleichstherapie Endpunkte wie Mortalität zu definieren und so den Nutzen zu ermitteln.
Tatsächlich wurden in der Vergangenheit mehrere Diabetesmedikamente vom Markt genommen. Der Grund: Mit dem ermittelten Nutzen war bei den anschließenden Preisverhandlungen kein Geld zu verdienen, da dabei Generika als sogenannte „zweckmäßige Vergleichstherapie“ (ZVT) herangezogen werden. „Wir standen vor der Alternative: Entweder wir akzeptieren den niedrigen Preis oder wir entscheiden uns zum Opt-out“, sagte Paar.
Uwe Deh, eh. geschäftsführender Vorstand des AOK Bundesverbandes, erklärte dagegen, das AMNOG funktioniere „extrem gut und respektabel“. Der Vorwurf, das Gesetz sei ein Innovationshemmnis, sei falsch. „Es will nur Gutes von Schlechtem trennen“, sagte Deh. Auch die Art der Preisbildung war umstritten. Stichwort Mischpreisbildung: Bei Präparaten, die für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedlichen oder auch gar keinen Zusatznutzen haben, wollen die Kassen den bisher üblichen einheitlichen Mischpreis abschaffen, wie Deh erklärte. Stattdessen soll der Mischpreis nur noch aus den Subgruppen gebildet werden, für die ein Zusatznutzen bescheinigt wurde. Die Hoffnung der Kasse: Geld sparen, indem sie nur für Medikamente mit Zusatznutzen höhere Preise bezahlt.
Für den Juristen Claus Burgardt „eine unfaire Lösung“. „Denn wenn ich für verschiedene Populationen verschiedene Preise habe, wird es für die eine zu teuer und für die andere zu billig. „Die Hersteller würden das Präparat vom deutschen Markt nehmen. Dadurch wäre am Schluss der Werkzeugkasten für die Patienten verkleinert – und das ist nicht fair.“
Quelle: Hauptstadtkongress, Berlin, 11.06.2015