Berlin. Niedergelassene Ärzte können für die zusätzlichen Hygienemaßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie für jeden unmittelbaren Kontakt mit Privatpatienten einen Zuschlag von 14,75 Euro in Rechnung stellen. Auf diese “Hygienepauschale” als eine von zwei zentralen – zeitlich befristeten – neuen Abrechnungsmöglichkeiten haben sich Bundesärztekammer (BÄK) und Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) geeinigt, wie dieser am Dienstag (12. Mai) mitgeteilt hat. Die Sonderregelungen gelten rückwirkend ab 5. Mai.
Der Zuschlag, der beispielsweise Kosten für Schutzkleidung, Desinfektionsmittel oder Plexiglas-Trennscheiben mit abdecken soll, wird nach der Analog-Nummer A245 GOÄ und mit dem 2,3-fachen Satz berechnet (s. Tab.). Die Abrechnung ist befristet bis Ende Juli dieses Jahres und nur bei „unmittelbarem, persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt“ möglich.
Wichtig: An einem solchen Behandlungstag ist der Multiplikator für die übrigen Leistungen auf den 2,3-fachen Gebührensatz beschränkt, es sei denn, andere Gründe nach Paragraf 5 Abs. 2 der GOÄ, die einen höheren Multiplikator begründen, liegen vor (z. B. ein besonderer Aufwand am Patienten).
Cave: Es handelt sich bei den nun getroffenen Sonderregelungen um keine offizielle Änderung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), sondern ein „Abkommen“ mit PKV-Verband und Beihilfe, das deshalb nur bei reinen Privatkassen gilt. Andere Versicherungsträger, die auch nach GOÄ erstatten – etwa die Krankenversicherung der Bahnbeamten (KVB) oder der Postbeamten „Post B“ – sind daran formal nicht gebunden.
Gegenüber “Der Hausarzt” bestätigte die KVB am Dienstag (26.5.), dass sie aber die getroffenen Sonderregelungen ebenso akzeptieren werde. Bei der Post B hingegen sah sich kein Mitarbeiter dazu in der Lage, die Nachfrage offiziell zu beantworten. Da der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und privatversichertem Patienten und nicht mit der Kasse selbst geschlossen wird, können Ärzte erwägen, auch bei Versicherten der Post B den Hygienezuschlag zu berechnen. Sollte die Post B dies nicht erstatten und sich der Patient beim Arzt beschweren, kann dieser immer noch auf die Erstattung verzichten.
Fallbeispiel 1: Hygienezuschlag in der Praxis
Eine Privatpatientin mit Diabetes mellitus erscheint zur Blutzuckerkontrolle in der Praxis.
Privatversicherungen haben sich an den zusätzlichen Praxiskosten – etwa für Schutzkleidung – bisher noch nicht beteiligt; den besonderen Aufwand konnten Ärzte bisher nur über eine entsprechende Faktorsteigerung abdecken.
Bereits Anfang April hatte der PKV-Verband mit der Bundeszahnärztekammer eine zusätzliche Hygienepauschale in Höhe von 14,23 Euro vereinbart.
Video und Telefon ab sofort öfter abrechenbar
In der Psychotherapie werden die Möglichkeiten zum Einsatz von Telemedizin in der Corona-Krise erweitert: Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung sind demnach auch ohne den sonst vorgeschriebenen unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient abrechenbar, also auch bei einer Videosprechstunde.
Eine von der PKV mitgetragene “Abrechnungsempfehlung” gibt die BÄK darüber hinaus für Patienten, die in der aktuellen Krisensituation den Arzt nicht aufsuchen können und bei denen auch keine Video-Sprechstunde möglich ist, an die Hand: In diesen Fällen ist – ebenfalls neu und bis Ende Juli 2020 befristet – ein mehrfacher Ansatz der Nr. 3 GOÄ für längere telefonische Beratungen, je vollendete 10 Minuten, zu berechnen.
Wichtig: Als Begründung muss dabei angegeben werden, dass der Patient wegen der Pandemie nicht persönlich die Praxis aufsuchen konnte und auch ein anderer mittelbarer Kontakt, beispielsweise mit einer Videosprechstunde, nicht möglich war. Auch die Dauer des Telefonats muss in der Rechnung angegeben werden.
Die geänderte Leistung nach Nr. 3 GOÄ ist je Sitzung höchstens viermal und je Kalendermonat ebenfalls höchstens viermal berechnungsfähig. Auch in diesem Fall ist ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes bei der Leistung selbst ausgeschlossen.
Fallbeispiel 2: “Mehrfach-Telefon” in der Praxis
69-jähriger Patient mit einer schweren COPD, der zunächst fürchtet, bei einem Praxisbesuch mit COVID 19 infiziert zu werden, dann aber wegen Beschwerden doch in die Praxis kommt.
Die Anzahl der Berechnung der Nr. 3 GOÄ ist hier deshalb in dieser Größenordnung möglich, da die Sonderregelung sich nur auf telefonische Kontakte bezieht, die bis zu 4-fach in einer Sitzung und ggf. auch 4-mal in dieser Anzahl im Kalendermonat berechnungsfähig sind. Der Zweitkontakt im Fallbeispiel ist nicht telefonisch und kann deshalb unabhängig von der Sonderregelung nach den oben erwähnten Bedingungen einmalig oder mit Begründung mehrfach im Behandlungsfall berechnet werden.
Praxis-Tipp: Da sich diese Regelung ausdrücklich nur auf telefonische Kontakte bezieht, ist der Ansatz der GOÄ-Nr. 3 bei einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt nicht tangiert. Falls die Beratung besonders aufwändig ist, kann der Faktor dann entsprechend und über den 2,3-fachen Satz hinaus gesteigert werden. Nur hier gilt aber auch die Abrechnungsbestimmung, dass die Nr. 3 GOÄ nur mit einer besonderen Begründung mehr als einmal im Behandlungsfall berechnet werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der Behandlungsfall in der GOÄ nicht – wie bei der Sonderregelung – der Monatsfall ist, sondern der Krankheitsfall für die Dauer des Zeitraums (von unterschiedlicher Anzahl von Tagen) bis zum Ablauf des Tages mit dem gleichen Tagesdatum.
Rückkehr in Regelversorgung als wichtiger Schritt
Die neu vereinbarte Hygienepauschale soll auch helfen, die Regelversorgung in den Praxen aufrecht zu erhalten. Hierfür macht sich der Deutsche Hausärzteverband seit Wochen stark. Mit als erstes wies er darauf hin, dass insbesondere chronisch kranke Patienten weiterhin eine gute Betreuung benötigen.
“Der Schutz unserer Krankenhäuser und des gesamten Gesundheitssystems vor einer Überlastung beginnt in jeder Arztpraxis”, erklärt der Vorsitzende des PKV-Verbands, Ralf Kantak. “Die Praxen sind mit allen erforderlichen Hygiene- und Distanzmaßnahmen darauf vorbereitet, ihre Patienten sicher zu betreuen.” Die Versicherten sollten daher jetzt nicht länger aus Sorge vor Ansteckungen ihre Arztbesuche aufschieben oder absagen.
Gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen benötigen die regelmäßige ärztliche Betreuung, sonst erhöhen sie ihre gesundheitlichen Risiken. Auch wichtige Vorsorgeuntersuchungen sollten nicht lange aufgeschoben werden, weil zu spät entdeckte Krankheiten umso schwerer zu bewältigen wären und zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden führen können.
Damit unterstreicht PKV-Chef Kantak bestehende Forderungen des Deutschen Hausärzteverbands und weiteren Ärztevertretern. So warnte unter anderem Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), jüngst, dass die “größere Bedrohung” als Corona andere Gesundheitsrisiken darstellen, wenn eine Rückkehr zur vertragsärztlichen Regelversorgung nicht zeitnah erreicht wird.
(Mitarbeit jk)