Es ist Freitagnachmittag. Die pflegebedürftige Patientin wird nach einem schweren Harnwegsinfekt aus der Klinik entlassen, die Antibiotika-Behandlung sollte gewohnt lückenlos fortgesetzt werden – doch ein Rezept wurde ihr nicht mit auf den Weg gegeben. Hilfesuchend schickt sie ein Fax in die Praxis von Dr. Carsten Rädisch.
“Keine Frage: Beim Entlassmanagement liegt einiges im Argen”, bilanziert der Hausarzt aus dem niedersächsischen Barsinghausen. Andere Patienten würden in der Klinik etwa gezielt auf eine Schmerzpumpe eingestellt, dann aber entlassen, bevor auch daheim der Einsatz eines Geräts sichergestellt wurde. “Die Krankenhäuser sind zum großen Teil zwar sehr bemüht”, beobachtet Rädisch. “Doch es läuft an vielen Stellen einfach wirklich schlecht.”
Nicht selten greift der Hausarzt deshalb selbst zum Hörer und regelt den sauberen Übergang an der Grenze von ambulanter und stationärer Versorgung – als Engagement für seine Patienten. “Ich habe es da gut”, weiß er aber auch. “Ich bin auf einem Dorf mit insgesamt vier Ärzten niedergelassen, meine Einzelpraxis zählt 1.000 Scheine, und so habe ich Zeit, die ich auch für defizitäre Palliativnetz-Arbeit und Gespräche nutzen kann.”
Kliniken sind per Gesetz am Zug
Tatsächlich sind beim Entlassmanagement eigentlich die Kliniken am Zug. Mit dem im Juli 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurden sie in die Pflicht genommen, Nachbehandlungen zu veranlassen und entsprechende Leistungen zu verordnen. Klinikärzte können seither Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie für einen Übergangszeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen sowie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Und: Mit dem Rahmenvertrag Entlassmanagement, der zum 1. Oktober 2017 verbindlich geworden ist, haben Kliniken einen Entlassplan zu erstellen – mit allen relevanten Informationen auch für den weiterbehandelnden Hausarzt.
In der Praxis kommt das aber häufig nicht an, meint Rädisch. Im Entlassmanagement beobachtet er teils kleine, aber bedeutende Probleme: “Wenn etwa mal ein Klinikarzt beim Hausarzt anruft, dann ist das klassisch zwischen 12 und 15 Uhr. Dann geht in der Praxis aber oft nur der Anrufbeantworter ran und wir sind auf Hausbesuch.”
Krankenhäuser berücksichtigten zudem häufig nicht, welche Kasse welches Medikament bezahlt, weiß Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. “Hier wäre eine vernünftige elektronische Vernetzung sehr hilfreich.” Aktuell jedoch helfe der Medikationsplan in Papierform nicht, und die Kliniken seien oft noch nicht anschlussfähig an die Telematikinfrastruktur.
Hinzu komme eine generelle Überlastung, beobachtet Hausarzt Rädisch. “Je größer die Klinik und je professioneller die Organisationsstruktur dort, umso schlechter vorbereitet sind häufig die Entlassungen.”
Hausärzteverbands-Chef Weigeldt identifiziert als Ursache klare Strukturprobleme. “Ich glaube, wir haben nach wie vor große Probleme durch Kommunikationsbrüche”, meint er. Diese entständen nicht, weil der Wille fehle, sondern es seien meist Organisationsprobleme. “Meine Vorstellung von einem guten Entlassmanagement ist, die Kommunikation zu stärken. In Dänemark etwa funktioniert das so, dass Hausärzte auf die Krankenhausakte zugreifen können und umgekehrt. Das halte ich für sinnvoll.”
Kurze Wege helfen
Eine Verbesserung der Kommunikation sieht auch Rädisch als Schlüssel. Als Kreisstellenvorsitzender der KV Niedersachsen in Springe diskutiert er regelmäßig, warum das Entlassmanagement nicht funktioniert. Seine Bilanz: Ein gutes Entlassmanagement funktioniere dort sehr gut, wo die Wege zwischen Krankenhaus und weiterbehandelndem Arzt kurz sind, wo man sich kennt und miteinander telefoniert, wenn Fragen sind. “All das, was notwendig ist, um einen Patienten “gut” zu entlassen, muss zwischen Klinik, Arzt, Apotheker, Pflegedienst, Sanitätshaus kommuniziert werden, und das lässt sich nicht in Formulare und Standards pressen.”
Doch dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Vor zwei Jahren etwa, erzählt Rädisch, habe er die Kollegen seiner Kreisstelle um Erreichbarkeits-Telefonnummern gebeten, damit das Kreiskrankenhaus die Ärzte zur Entlassung erreichen kann. “Geantwortet haben vier. Die einhellige Begründung: Bitte nicht noch mehr! Ich weiß jetzt schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht.” Rädisch versteht diese Reaktion.
“Für ein wirklich funktionierendes Entlassmanagement muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die den Arztberuf wieder auskömmlich machen – und damit meine ich auch, es möglich machen, mal zum Hörer zu greifen und den Kollegen anzurufen”, betont er deshalb. Einzelne Ziffern, wie sie zuletzt etwa für die Vermittlung von Facharztterminen durch Hausärzte diskutiert wurden, hält er für kontraproduktiv. “Ziffern in Höhe von zwei Euro einzuführen, die ich dann wieder einzeln ansetzen muss, das ist fast eine Beleidigung”, sagt er offen. Viel wichtiger sei eine echte Stärkung der sprechenden Medizin, wie sie sich die große Koalition auf die Fahne geschrieben hat.
Durch eine solche Verbesserung der Rahmenbedingungen könne es die Politik auch schaffen, wieder eine kommunikative Grundstimmung unter Kollegen zu schaffen. “Früher hat man sich auf Konferenzen getroffen, sich regelmäßig auch ohne festen Anlass ausgetauscht”, meint er. “Dass dieser Austausch normierbar ist in Form von festen Formularen an der Grenze der Sektoren, ist vielleicht der größte Denkfehler der Politik.”
Rädischs Palliativnetz vor Ort sei dabei ein positives Beispiel: “Hier kümmern wir uns meist früh vor der Entlassung um die Weiterbehandlung. Wenn der Zeitpunkt früh genug bekannt ist, klappt das meist gut.”
Gleichzeitig steht für ihn aber auch fest: Ein solches Engagement darf kein “Luxus” sein, den sich ein Hausarzt neben dem Praxisalltag leisten muss. “Hier ist die Politik gefragt.”