Berlin. Die seit 1. Juli eingeschränkten Bürgertests auf SARS-CoV-2 samt des damit verbundenen Dokumentations- und Kontrollaufwands empfinden viele Praxisteams als Ärgernis. Kurz vor Inkrafttreten der Verordnung hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach zudem nochmal den Personenkreis erweitert und bei der Nachweiskontrolle nachjustiert.
Der Deutsche Hausärzteverband sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen hatten – trotz nur sehr kurzer Zeit zur Stellungnahme – mehrfach auf den erheblich gestiegenen Aufwand hingewiesen und die Verordnung erheblich kritisiert.
88240 entfällt
Darüber hinaus kommen mit dem Juli aber weitere EBM-Anpassungen auf Ärztinnen und Ärzte zu. So müssen sie jetzt die Corona-Patienten nicht mehr mit der 88240 kennzeichnen. Diese Regelung ist zum 30. Juni ausgelaufen, teilt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am Donnerstagabend (30.6.) mit.
Die Körperschaft schließt allerdings nicht aus, dass die 88240 auch wieder reaktiviert werden kann. Dies hänge davon ab, wie die Corona-Pandemie sich entwickle. Die 88240 wurde zu Pandemiebeginn geschaffen, um den Mehraufwand der Praxen bei Corona-Patienten beziffern zu können. Die so dokumentierten Leistungen bezahlten die Kassen zunächst extrabudgetär. Seit Jahresbeginn wurden diese Leistungen nur noch extrabudgetär vergütet, wenn Corona-Patienten mehr Leistungen benötigen als dies an Bedarf in der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) einkalkuliert ist.
Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes in Rheinland-Pfalz Dr. Barbara Römer appelliert allerdings an ihre Kolleginnen und Kollegen: “Setzen Sie diese Kennziffer bitte bei der Behandlungen mit Verdacht auf Covid-19 aus statistischen Gründen weiter an!” Denn nur so könnten hausärztliche Teams ihren Arbeitsaufwand für die Betreuung der Corona-Patienten dokumentieren und belegen, welchen “essenziellen Anteil” Hausarztpraxen bei der Pandemiebekämpfung haben.
U-Vorsorgen und Unfallversicherung
Weitere Änderungen greifen zum 1. Juli bei den Kindervorsorgeuntersuchungen U6 bis U9. Hier fällt die Corona-Ausnahme weg, sodass Ärztinnen und Ärzte sich wieder an die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgegebenen Untersuchungszeiträume halten müssen.
Ebenso enden die Corona-Sonderregeln für die Unfallversicherung (DGUV), informiert die KBV. Das heißt, Praxisteams dürfen bei Arzt-Patienten-Kontakten nun nicht mehr die Hygienepauschale von vier Euro abrechnen. Zudem können Folgeverordnungen von Arznei- und Heilmitteln nicht mehr nach rein telefonischem Kontakt ausgestellt werden.
Notdienst auch per Video erlaubt
Darüber hinaus erweitert sich ab 1. Juli der Einsatz der Videosprechstunde auf den Notdienst. Das hat der ergänzte Bewertungsausschuss am 17. Juni beschlossen. Mit Beginn des dritten Quartals 2022 sind also auch bei der ersten Inanspruchnahme des organisierten ärztlichen Notfalldienstes die 01210 und 01212 EBM bei einer Videosprechstunde abrechenbar.
Dazu wurde bei der 01210 und 01212 EBM in den Leistungslegenden beim obligaten Leistungsinhalt neben dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ein zweiter Spiegelstrich eingeführt: „oder Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer Videosprechstunde im organisierten Notfalldienst.“
Darauf sollten Hausärztinnen und Hausärzte bei der Abrechnung achten:
- Die Leistungserbringung per Videosprechstunde ist durch die Angabe einer bundeseinheitlich kodierten Zusatzkennzeichnung (88220) zu dokumentieren.
- Bei ausschließlichen Kontakten per Videosprechstunde im Behandlungsfall wird die Vergütung der 01210 und 01212 um zehn Prozent gekürzt (Allgemeine Bestimmungen (AB) des EBM Nr. 4.3.1 Abs. 5 Nr. 1).
- Behandlungsfälle mit Leistungen ausschließlich per Videosprechstunde im organisierten Notfalldienst werden bei der Obergrenze von 30 Prozent gemäß AB 4.3.1 Absatz 6 nicht berücksichtigt.
- Auch Einzelleistungen, die einer Obergrenze in der Regelversorgung unterliegen (z.B. 03230 oder Kap. 35) und die im organsierten Notfalldienst via Video erbracht werden, fallen nicht unter diese Obergrenze. Diese EBM-Ziffer-bezogene Obergrenze wurde im April 2022 eingeführt und zum 1. Juli 2022 noch einmal für das Kap. 35 geändert
- Die Schweregradzuschläge nach 01223, 01224 und 01226 EBM sind weiterhin ausschließlich bei einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt abrechenbar.
- Der Authentifizierungszuschlag gemäß 01444 EBM ist ab dem 1. Juli auch bei Inanspruchnahme der Videosprechstunde im organisierten Notfalldienst neben der 01210 und 01212 EBM erlaubt.
- Die Liste der EBM-Ziffern, bei deren Abrechnung als Videosprechstunde der Betreuungszuschlag gemäß 01450 EBM bezahlt wird, wird um die 01210, 01212, 01214, 01216 und 01218 EBM ergänzt.
Notdienst-Hausbesuche ersetzbar?
Bei dem Beschluss des ergänzten Bewertungsausschusses handelt es sich um eine logische und nachvollziehbare Erweiterung der Möglichkeiten der Telemedizin. Inwieweit sie Auswirkungen auf den aktuellen Ablauf in den Notfallpraxen hat, bleibt abzuwarten.
Es könnte allerdings manch einen Patienten motivieren, doch den Notdienst zu kontaktieren, wenn er weiß, dass er nicht in die Praxis muss. Ebenso kann bei immobilen Patienten damit womöglich auch der ein oder andere Hausbesuch gespart werden. Voraussetzung dafür sind allerdings zwei Gegebenheiten:
- Ärztinnen und Ärzte müssen bereit für den Einsatz der Videosprechstunde sein und
- die Möglichkeit muss in der Bevölkerung publik gemacht werden.
Quellen:
https://institut-ba.de/ba/ergaenzbeschluesse/2022-06-17_ergBA80.pdf
https://institut-ba.de/ba/ergaenzbeschluesse/2022-06-17_ergBA80_eeg.pdf