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Tipps und TricksSpracherkennung: Gewinn oder Niete im Praxisalltag?

Ein aufwändiger Fallbericht bindet im Praxisalltag die kostbarste Ressource: Zeit. Eine Diktierfunktion kann unterstützen. Doch worauf kommt es bei der Entscheidung dafür oder dagegen an?

Diagnose: Stress. Therapie: Zeitdruck rausnehmen. Doch was ist das adäquate Mittel? Es gibt viele Stellschrauben, an denen sich im hausärztlichen Alltag drehen lässt, um effektiver zu arbeiten und Zeit freizuschaufeln. Das Dokumentieren kann eine solche Schraube sein – wenn es nicht ohnehin schon im Beisein des Patienten oder beim Telefonieren erledigt wird. Für alle anderen Hausärztinnen und Hausärzte können Diktierlösungen mitunter neue Freiräume schaffen.

“Eignet” sich die Praxis?

In Kliniken und bei Fachärzten wie Pathologen oder Radiologen ist Diktieren nicht wegzudenkender Alltag; zahlreiche Anbieter haben sich auf Systemlösungen spezialisiert. Sprich: Ihre Diktiersysteme “kennen” medizinisches Vokabular, oft gar explizit aus einer Facharztgruppe. Ob sich ein Diktiersystem auch für Hausärzte lohnt, hängt davon ab,

  • wie hoch ihre Technikaffinität ist,
  • wie das Dokumentieren organisatorisch in den Praxisalltag integriert ist
  • und wie viel Geld auszugeben man bereit ist. Denn Diktierlösungen können mitunter Hunderte Euro kosten.

Praxistipp: Sind Praxen noch nicht sicher, ob das Diktieren für sie eine passende Arbeitsweise ist, können sie bei zahlreichen Anbietern von kostenfreien Testversionen oder -wochen Gebrauch machen.

Erster Schritt: Wahl des Systems

Die erste Entscheidung, die es zu treffen gilt, ist diejenige für das passende System. Das Lösungsspektrum sieht im Groben zwei Szenarien vor:

  1. Klassische Hardware-Lösungen: Getreu dem Motto “Zum Diktat, bitte!” kommt hier lediglich ein Endgerät, also ein Diktiergerät oder die Diktierfunktion des Smartphones, zum Einsatz. Eine Medizinische Fachangestellte (MFA) oder gar ein externes Schreibbüro tippt das Diktat danach ab. Hier ist eine Zeitersparnis für den Arzt zwar gegeben, durch das Verlagern auf die MFA jedoch ist diese nicht optimal genutzt. Tipp: Für diesen “Einstieg” ist die auf gängigen Smartphones vorinstallierte Diktier-App (“Recorder”) vollkommen ausreichend.
  2. Demgegenüber stehen Hardware-Software-Kombinationen oder digitale Lösungen. Sie erfordern zwar den zunächst größeren (technischen) Schritt, bedeuten dann aber eine deutlich effizientere und zeitsparendere Variante als klassische Hardware-Lösungen (1.).

Diese Komponenten braucht es

Entscheiden sich Praxen für eine “komplette” Diktierlösung, benötigen sie dafür einerseits die entsprechende Hardware, andererseits die Software, die die Sprache dann in Text umwandelt. Die Hardware umfasst

  • ein stationäres oder mobiles Diktiergerät,
  • alternativ ein Diktiermikrofon oder
  • Smartphone,
  • gegebenenfalls Dockingstation/Kabel zur Übertragung auf den PC,
  • den Computer, auf den entsprechende Software aufgespielt wird.
  • Software-Komponenten sind
  • Diktier-Apps fürs Smartphones,
  • (auf Medizin spezialisierte) Spracherkennungssysteme,
  • Cloud-basierte Spracherkennungslösungen.

Sogenannte Front-End- Systeme übertragen das gesprochene Wort quasi “zeitgleich” in Geschriebenes. In Back-End-Systemen hingegen wird die Audiodatei zum automatischen Transkribieren in ein entsprechendes Computerprogramm hochgeladen.

Direkt im PVS oder erst in Word?

Eine ganz grundlegende Frage ist jene, für welchen Speicherort diktiert wird. Einfacher und kostengünstiger zu realisieren ist eine “Speech to Text”-Unterstützung mit dem Umweg über Microsoft Word oder eine – oft kostenfrei erhältliche – Diktier-App auf dem Smartphone, bei der die erstellten Notizen im eigenen Speicher hinterlegt werden. Dies ist beispielsweise auch über die Word-App für Smartphone oder Tablet möglich.

Wichtig: Um die bei fast allen aktuellen Smartphones beinhaltete Diktierfunktion in Word oder anderen Apps nutzen zu können, muss die Spracheingabe in den Einstellungen als Tastatur hinterlegt werden. Dann können beispielsweise auch Textnachrichten diktiert werden. Nachteil ist, dass diktierte Notizen so nur mit einem aufwändigen Workaround in das Praxisverwaltungssystem (PVS) kommen: Sie müssen manuell kopiert und in die jeweilige Patientenakte eingefügt werden. Für die tägliche Dokumentation “nebenbei” ist dieser Weg daher ungeeignet, für längere Fallberichte jedoch kann es ein Einstieg in die Welt der Spracherkennungssysteme sein.

Deutlich praktikabler und – meist mit “professionellerem” Vokabular ausgestattet –, dafür aber auch teurer sind Programme, die das PVS ergänzen und über eine Schnittstelle direkt in der Patientenakte speichern. Die Fülle an Herstellern und Angeboten ist groß. Die neueste Generation der Systeme erreicht Hersteller-Angaben zufolge eine Genauigkeit von 99 Prozent auch bei medizinischem Fachvokabular. Doch: Dies benötigt mitunter Zeit. Denn hochpreisige Lösungen basieren auf Künstlicher Intelligenz (KI) und Deep Learning und passen sich damit kontinuierlich dem praxiseigenen Vokabular an. Erfahrungsberichten aus der Praxis zufolge kann es jedoch einige Zeit dauern, bis die gängigsten Formulierungen aus dem eigenen Alltag vom Programm erlernt wurden. [habox:ad]

Knackpunkt Datenschutz

Die wichtigste Frage aber darf nicht unbeantwortet bleiben: Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Die neue IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die in großen Teilen seit 1. April gilt (“Der Hausarzt” 6/21), setzt für den Einsatz von Sprachassistenten enge Grenzen. Sie sollten ab 1. Januar 2022 “nur eingesetzt werden, wenn sie zwingend notwendig sind”, lautet eine Vorgabe zumindest für mittelgroße Praxen (6 bis 20 ständig mit der Datenverarbeitung betraute Personen). Für kleinere Praxen ist keine solche explizite Einschränkung enthalten.

Wichtig: Gerade beim Einsatz von Diktier-Apps sind jedoch andere Passagen der IT-Sicherheitsrichtlinie zu beachten. So sollte der Zugriff von Apps auf Daten und Schnittstellen der Geräte in den Einstellungen “restriktiv auf das Notwendigste” eingeschränkt werden – gerade bei kostenfreien Angeboten, die sich aus Werbung finanzieren, ein wichtiger Punkt! Für mittelgroße Praxen ist außerdem eine Nutzungs- und Sicherheitsrichtlinie zu erstellen, wenn Mobiltelefone für dienstliche Zwecke – also auch für eine Spracherkennung – verwendet werden.

Dies würde wiederum für den Einsatz klassischer Diktiergeräte, die nicht ans Internet angebunden sind, sprechen. Für alle Praxen gilt: Das Mikrofon am Praxisrechner sollte laut KBV-Vorgaben grundsätzlich deaktiviert sein und nur bei Bedarf temporär aktiviert und danach wieder deaktiviert werden.

Verschiedene Einschätzungen

Die Hersteller wiederum beruhigen: Nuance, Platzhirsch im Segment der professionellen Lösungen, wirbt zum Beispiel damit, dass seine cloud-basierte Lösung für Mediziner DSGVO-konform ist und in den deutschen Microsoft-Azure-Rechenzentren in Berlin und Frankfurt am Main gehostet wird. Alle Daten würden verschlüsselt, die Kommunikation erfolge über einen Verschlüsselungsalgorithmus.

Doch auch die Stiftung Warentest gibt zu bedenken, dass alles, was von Anbietern als KI verkauft werde, in aller Regel tatsächlich auf maschinellem Lernen basiere. “Die neuronalen Netze, die dabei zum Einsatz kommen, müssen von Menschen und mit von Menschen vorsortiertem Datenmaterial trainiert werden.” Die Schlussfolgerung der Warentester: “Auch wenn sich das menschliche Mitlauschen abschalten lässt, wird es für Nutzer, denen Datenschutz am Herzen liegt, weiterhin gute Gründe geben, von derlei Diensten nur sehr vorsichtigen Gebrauch zu machen.”

(Mitarbeit jas)

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