Ob elektronisch aufgeladene Gesundheitskarten, reihenweise PC-Abstürze, fehlender Nutzen der Telematikinfrastruktur (TI) – in die unrühmliche TI-Geschichte reiht sich die nächste Hiobsbotschaft ein: Ein Tausch der 130.000 Konnektoren in den Praxen wird nötig, da nach fünf Jahren die Sicherheitszertifikate ablaufen.
Der Umstand überraschte die Ärztinnen und Ärzte. Die Gematik informierte darüber nicht selbst. Vielmehr machte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem Newsletter im März – neben anderen Themen – auf den nötigen Tausch aufmerksam.
“Wir haben nach wie vor von der Gematik keine Informationen erhalten, wie der Konnektortausch ablaufen soll. Die Informationspolitik ist desaströs. Es sind jetzt nur noch wenige Monate, bis die Nutzungszeit der ersten Konnektoren abläuft. Die Ärztinnen und Ärzte werden mit dem Thema komplett allein gelassen”, kritisiert der Deutsche Hausärzteverband Ende April und fordert neben klaren Informationen, dass den Hausärztinnen und Hausärzten keine Kosten durch den Konnektorentausch entstehen dürfen.
Eigentlich wären die Konnektoren noch funktionsfähig, aber wegen des Ablaufs des Sicherheitszertifikats würde der Wechsel notwendig, heißt es aus informierten Kreisen. Denn ohne gültiges Zertifikat kann sich der Konnektor nicht mehr mit der TI verbinden. Und offline ist der Konnektor nicht oder nur eingeschränkt nutzbar.
In zwei Stunden getauscht?
Die Sicherheitszertifikate der ersten Konnektoren laufen im September dieses Jahres aus, teilt die Gematik auf Anfrage von “Der Hausarzt” mit. Der Austausch dafür soll im Juli beginnen. In diesem Jahr müssen nach Angaben der Gematik zunächst rund 30.000 Konnektoren der KoCo Connektor GmbH getauscht werden. Konnektoren anderer Hersteller werden erst 2023 gewechselt, so die Gematik weiter.
Der Tausch kommt in Zeiten der Pandemie und zusätzlicher Versorgung von Flüchtlingen denkbar ungünstig. Für Praxen wichtig zu wissen ist: Wie lange dauert der Austausch eines Konnektors in der Regel oder wieviel Zeit muss eingeplant werden?
Für die Auswechslung der Konnektoren, schätzt die Gematik, werden in etwa zwei Stunden benötigt. Die CompuGroup Medical (CGM), fügt die Gematik hinzu, plane den Austausch projekthaft. Sie werde die Praxen wegen entsprechender Termine kontaktieren. Bei Secunet und RISE soll das laut Medienberichten auch so ablaufen. Derweil kursierten Ende April Gerüchte, dass möglicherweise bei bestimmten Konnektoren das Sicherheitszertifikat doch um zwei Jahre verlängert werden könnte. Das ist aber noch unklar.
Dabei müssen nicht nur die Konnektoren ausgetauscht werden, erklärt die Gematik. Die Sicherheitskarten (gSMC-KT) in den Kartenterminals und die Praxisausweise (SMC-B) würden ebenfalls nach fünf Jahren ablaufen.
Bei vielen Ärztinnen und Ärzten weckt der Start mit der TI und der Installation der Konnektoren vor fünf Jahren unschöne Erinnerungen. Während bei den einen die Installation gut klappte, waren andere Praxen mehrere Stunden lahmgelegt.
Mini-Störung mit Rattenschwanz
Zwar lief die Installation in der Praxis von Dr. Kristina Spöhrer recht glimpflich ab, denn im Januar 2019 wurde ohnehin ihre gesamte IT neu aufgesetzt. Trotzdem bereitet der angekündigte Tausch der Allgemeinärztin aus dem niedersächsischen Winsen etwas Sorge.
Denn bei der Komplexität des Systems muss nur irgendwo eine kleine Störung auftreten, die gleich einen Rattenschwanz an IT-Problemen hinter sich herzieht. Das war zum Beispiel der Fall, als in Spöhrers Praxis ein Kartenterminal ausfiel. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass nach dem Austausch des Terminals die Zuordnung im Konnektor nicht sauber erfolgte und in der Folge die Anbindung an den Server nicht mehr korrekt war. Somit funktionierten weder KIM noch das Versenden der eAU.
“Ich habe die Pflege und Wartung der IT komplett an Externe vergeben”, sagt Spöhrer. Schließlich könne man bei der komplexen Telematikinfrastruktur schon froh sein, wenn man ein Problem für die IT beschreiben und eingrenzen könne, ergänzt sie. Immer noch hegt sie die Hoffnung, dass es statt dem Tausch eine andere Lösung gibt. Ein Jahr bleibt noch, bis der Konnektorwechsel in ihrer Praxis ansteht, sagt Spöhrer.
Moritz Eckert, Allgemeinarzt in Herzberg am Harz, erinnert sich mit Schrecken an die Zeit, in der es um die Installation der neuen Technik in der Praxis ging. Alleine die Androhung, Honorarkürzungen hinnehmen zu müssen und die stetig kleiner werdenden Fördersummen, die Praxen bei einer späteren Installation zugestanden wurde, erzeugte großen Druck bei den Ärztinnen und Ärzten.
Wo steht das Produktionsdatum?
Beim anstehenden Konnektorwechsel macht Eckert auf ein zusätzliches Problem aufmerksam: Der Zeitpunkt, wann ein Konnektor ausgetauscht werden muss, ist nicht identisch mit dem Installationsdatum in der Praxis, sondern mit dem Produktionsdatum des Konnektors. Dieses Datum könne zwar auf irgendeine Art und Weise ausgelesen werden. Wie das funktioniere, müsste aber bei den Softwarehäusern erfragt werden, sagt Eckert.
Für Praxen bedeutet das zunächst, dass sie – was den Zeitpunkt des erforderlichen Austauschs des Konnektors angeht – im Ungewissen sind. Bei der Gematik nach Produktions- und Installationsdatum nachgefragt, teilt diese mit, dass das Produktionsdatum der im Konnektor verbauten Karte entscheidend sei. Dies könne “ein paar Monate vor dem eigentlichen Installationstermin sein”.
Nachgehakt, ob eine Praxis dieses Produktionsdatum selbst abrufen kann, teilt die Gematik weiter mit: Über die Adminoberfläche werde das Ablaufdatum der gSMC-K erst ab der Firmware PTV5 angezeigt. Bei den aktuell betroffenen KoCo-Konnektoren sei eine PTV5 Firmware jedoch noch nicht verfügbar.
Ungewiss, wann TI 2.0 kommt
Über die technische Schnittstelle ließe sich das Ablaufdatum bei allen Versionen abfragen, “zum Beispiel durch das Primärsystem oder ein geeignetes Tool.” Manche Hersteller hätten die Information auch auf das Typenschild gedruckt.
Dass die Chips, die ebenfalls ausgetauscht werden müssen, zeitgleich mit dem Konnektor erneuert werden müssen, glaubt Eckert nicht. Zwingend müsse der Tausch nicht zusammen erfolgen, bestätigt auch die Gematik gegenüber “Der Hausarzt”. Es sei jedoch sinnvoll, “alles in einem Technikereinsatz durchzuführen”.
Ein weiteres Problem wittert Eckert darin, dass derzeit bekanntlich nicht nur in Deutschland ein Mangel an Chips herrscht. Selbst die Krankenkassen hätten aktuell ein Problem damit, bei Änderungen den Versicherten eine neue Karte auszustellen, weil nicht genügend Chips lieferbar sind, sagt Eckert.
Hier gibt sich die Gematik zuversichtlich: Die Hersteller bereiteten sich langfristig auf den Konnektorentausch vor und stellten die Verfügbarkeit der Hardware sicher. Für dieses Jahr, so die Gematik, sollten alle Komponenten auf Lager liegen.
Die ganze Geschichte ist äußerst peinlich: Hatte die Gematik in der Vergangenheit doch betont, dass man ohne Tausch der Konnektoren auskommen wolle. Denn mit der TI 2.0 sollten die Konnektoren sowieso ausgemustert werden (s. “Der Hausarzt” 5/22). Allerdings ist unklar, wann die TI 2.0 tatsächlich Realität in den Praxen wird.
Kurz vor Redaktionsschluss hatte das Bundesschiedsamt höhere TI-Pauschalen und neue Erstattungen sowie Quartalszuschüsse zu Anwendungen festgesetzt. Die KBV hatte das Amt eingeschaltet, weil die Kassen sich weigerten, die Sätze zu erhöhen. Unabhängig davon müssen KBV und Krankenkassen noch über die Finanzierung der neuen Konnektoren und dem Austausch an sich verhandeln. Das Ganze sollte voll finanziert werden, erwartet die KBV. Die Praxen dürften nicht auf den Kosten sitzen bleiben, fordert auch der Deutsche Hausärzteverband.