Bad Homburg. Große private Krankenhausbetreiber in Deutschland tüfteln am digitalen Arztbesuch. Seitdem die gesetzlichen Hürden für Telemedizin gefallen sind, drängen Klinikkonzerne in den Markt und treiben Diagnosen per Video, App oder Telefon voran. Fresenius, Rhön und Asklepios wetteifern um digitale Plattformen, die manchen Besuch in der Arztpraxis überflüssig machen und Patienten viel Zeit sparen dürften. Das könnte gegen den Ärztemangel auf dem Land helfen – und den Firmen neue Umsatzquellen bringen.
Vorabdiagnose per Internet
So kündigte Deutschlands größter Krankenhausbetreiber Fresenius eine neue Telemedizin-Plattform an. Der Dax-Konzern habe angefangen, hierzulande einen Beratungsdienst über die Gemeinschaftsfirma Helios Dialogue einzuführen, sagte Fresenius-Vorstand Francesco De Meo der Deutschen Presse-Agentur. Patienten könnten sich künftig über eine digitale Plattform einwählen und auch per Video Kontakt mit einem Arzthelfer aufnehmen, der zunächst gesundheitliche Beschwerden abfrage. Anschließend werde ihnen eine Video-Sprechstunde, der Gang in die Notfallambulanz oder zu einem nahen Facharzt empfohlen.
„Es funktioniert wie ein digitales Wartezimmer, aus dem wir nach einem international anerkannten Verfahren den weiteren medizinischen Weg weisen“, sagte De Meo. Bis Anfang 2020 soll der Service für Patienten freigeschaltet sein. Therapien über die Plattform seien nicht vorgesehen – anders als etwa bei Schlaganfällen, wo Fresenius seit Jahren Video-Schalten bei Behandlungen einsetzt.
Geringere Wartezeiten
Fresenius erhofft sich von Helios Dialogue, das mit dem kanadischen Start-up Dialogue entwickelt wird, effizientere Prozesse, mehr Service und gezieltere Patientenströme. Das soll auch die eigenen 86 Kliniken und 126 medizinischen Versorgungszentren in Deutschland besser auslasten. „Wenn die Leute zum Arzt kommen, hat er schon die Einschätzung aus der vorherigen Abfrage“, sagte De Meo, der bei Fresenius das Klinik-Geschäft leitet. „Und Patienten mit Beschwerden müssen nicht lange beim Facharzt im Wartezimmer sitzen, bis sie eine Diagnose bekommen oder womöglich zum nächsten Arzt geschickt werden.“
Der Deutsche Ärztetag hatte 2018 den Weg für Telemedizin geebnet, indem er das Fernbehandlungsverbot lockerte. Zuvor durften Ärzte ihnen unbekannte Patienten nur persönlich beraten. Experten erhoffen sich viel von Telemedizin – gerade wegen des Ärztemangels auf dem Land. Beratung aus der Ferne könnte Berufstätigen mit wenig Zeit entgegenkommen und alten Menschen helfen, die schwer zum Arzt kommen.
Jeder fünfte Besuch ersetzbar
Bei vielen Verbrauchern stößt die Idee auf Zustimmung. Immerhin 87 Prozent unterstützen Online-Diagnosen zumindest in leichten Krankheitsfällen, heißt es in einer aktuellen Umfrage der Beratungsgesellschaft BCG unter 1.000 Versicherten. Nach Einschätzung von Medizinern lässt sich demnach jeder fünfte Arztbesuch durch digitale Beratung ersetzten.
Fresenius ist mit seinem Vorstoß nicht allein. Rhön-Klinikum will in der zweiten Jahreshälfte eine Gemeinschaftsfirma mit dem Schweizer Anbieter Medgate an den Start bringen und Marktführer in Deutschland werden. Rhön hält sich Kooperationen mit dritten Ärzten offen. Firmen könnten ferner für den Dienst bezahlen, um Mitarbeitern betriebsärztliche Dienste zu bieten. In Kanada ist das verbreitet.
In Deutschland indes steht Telemedizin noch am Anfang, auch wegen der Vergütungsregeln für Ärzte: Bislang können sie eine Fernbehandlung ohne direkten Kontakt nur bei Privatpatienten problemlos abrechnen. Kassenpatienten sind weitgehend außen vor. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Honorarregeln angleichen. Anbieter erhoffen sich ein lukratives Geschäft. In Deutschland lasse sich ein zweistelliger Milliarden-Umsatz digital bewegen, heißt es in der Branche.
Steigende Akzeptanz
„Die Bereitschaft von Patienten für Ferndiagnosen steigt“, sagt Thilo Kaltenbach, Gesundheitsexperte bei der Beratungsgesellschaft Roland Berger. „Die Technik für virtuelle Diagnosen in Praxen und Kliniken entwickelt sich schnell.“ Versicherungen und spezialisierte Telemedizin-Firmen drängten ebenfalls in den umkämpften Markt.
Die größte Hürde bei der Einführung seien nicht skeptische Patienten, sondern analoge Prozesse, sagte De Meo. „Zum bedarfsgerechten Weiterleiten von Patienten und für eine sofortige Terminvergabe brauchen wir Zugriff auf die digitalen Kalender von Ärzten.“ Viele Mediziner führten aber Papierkalender oder öffneten diese bislang nur fürs eigene Personal. Fresenius will die Plattform auch bei der spanischen Kliniktochter Quirónsalud einführen und niedergelassenen Ärzten anbieten. So will der Konzern neue Patienten gewinnen.
Wettbewerb ist stark
Auch Deutschlands zweitgrößter Klinikbetreiber Asklepios hat große Pläne. Noch dieses Jahr will er Telemedizin-Angebote für niedergelassene und klinische Ärzten einführen. Diese und andere digitale Prozesse könnten die Effizienz steigern, sagte Vorstandschef Kai Hankeln. „Pflegekräfte und Ärzte verbringen in Deutschland mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation.“
Anders als kleine Krankenhäuser haben Fresenius oder Asklepios mit Milliarden-Umsätzen die Finanzkraft, um Softwarelösungen im großen Stil einzuführen. Die Vorstöße der Klinik-Riesen könnten in einen Wettlauf um die dominierende digitale Plattform münden. „Am Ende werden sich voraussichtlich wenige Portale durchsetzen“, sagt De Meo. „Wer besser und schneller ist, wird die Nase vorne haben.“
Quelle: dpa