DigitalisierungGesundheitsweise attestieren ePA „Schiffbruch“

In seinem aktuellen Gutachten kritisiert der Sachverständigenrat massiv Deutschlands Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die E-Patientenakte sei zum Scheitern verurteilt. Eine unzureichende Datennutzung sieht der Rat als genauso unethisch wie Datenmissbrauch.

Der Sachverständigenrat übte scharfe Kritik am derzeitigem opt-in-Verfahren (ausdrückliches Zustimmungsverfahren durch Patienten) der elektronischen Patientenakte.

Berlin. In ihrer aktuellen Form werde die elektronische Patientenakte (ePA) keine Zukunft haben. Das attestiert der Sachverständigenrat Gesundheitswesen (SVR) in seinem aktuellen Gutachten „Digitalisierung im Gesundheitswesen“. Das bisherige opt-in-Verfahren (ausdrückliches Zustimmungsverfahren durch die Patienten) sei zu umständlich und solle durch ein opt-out-Verfahren ersetzt werden (Anlegen, nur bei aktivem Widerspruch nicht).

„Wir sprechen uns für die Einrichtung einer ePA für jede Person, bei Geburt oder Zuzug, mit zeitgleichem Zugriff der behandelnden Leistungserbringer, die Daten einzusehen, zu speichern und zu verarbeiten, aus. Bürger sollen dem Anlegen der ePA aber auch widersprechen können“, betonte Prof. Petra Thürmann auf der Pressekonferenz des SVR am Mittwoch (24. März). Wichtige Daten wie Patientenverfügung sowie Organspendeausweis sieht die Expertin auch als Bestandteile dieser ePA.

In der ePA selbst sollen die Patienten einzelne Daten zudem „verschatten“, statt wie bisher ganze Datensätze löschen lassen zu können. Daten in der ePA seien bisher zu unvollständig und damit keine zuverlässige Informationsquelle zwischen den Leistungserbringern, so Thürmann weiter.

Das hatte auch der Deutsche Hausärzteverband mit Blick auf einen potenziellen Mehrwert der E-Akte in der Praxis angemahnt.

Hör-Tipp: Auch Rechtsanwalt Jan Ippach warnt aufgrund der möglichen Datenlöschung davor, sich auf die ePA zu verlassen, wie er im Hausarzt-Podcast „HörBesuch“ (#6 „Ärzte sollten sich nie auf die Inhalte der E-Patientenakte verlassen.“) verrät.

„Das aktuelle Modell der ePA ist zum Scheitern verurteilt.“

Zentral für den Erfolg oder Misserfolg der ePA in Deutschland sei aus Sicht der Experten die ausreichende Zahl der aktiv Nutzenden. Denn nur dann könnten Leistungserbringer routiniert mit der Akte arbeiten und die Investitionen in die Infrastruktur gerechtfertigt. Hierzulande nutzten zu wenige Versicherte das Angebot ihrer Kassen, laut Thürmann hauptsächlich „gesundheitlich versierte und informierte Bürger“. Sie bezeichnete den derzeitigen Zustand als „unerträglich“, Daten liegen überall verstreut, einzig die Abrechnung erfolge digital.

Die Motivation, den digitalen Gesundheitsordner zu nutzen, wird nach Ansicht des SVR künftig noch weiter sinken, hier müssten von Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mehr Kampagnen gestartet werden.

„Wir sind uns im Klaren, dass die Lösung über das opt-out-Verfahren derzeit nicht konsensfähig ist“, sagte Thürmann. „Mit einem opt-in wird die ePA nicht fliegen. Das hat man bereits in Frankreich versucht und gesehen: es klappt nicht“, ergänzte der Sachverständigenrats-Vorsitzende Prof. Ferdinand Gerlach.

Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens

„Die Hightech-Nation Deutschland wirkt mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen wie ein Entwicklungsland.“ Daran erinnerte Gerlach vor den Journalisten einmal mehr an ein bekanntes Problem. „Gerade in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass verknüpfte Gesundheitsdaten, wie nachgewiesene Ansteckung mit Bewegungs- und Kontaktdaten, zur Eindämmung der Pandemie hilfreich gewesen wären“, ergänzte der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner.

Im internationalen Vergleich zum Beispiel mit Estland und Dänemark hinke Deutschland deutlich hinterher bei selbiger Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Gerade die deutschen Krankenhäuser gelten im internationalen Vergleich digital als völlig unterdurchschnittlich ausgestattet, obwohl die Digitalisierung technisch schon heute ohne weiteres möglich wäre.

Die größten Ineffizienzen sieht Greiner durch Verlust von Gesundheitsinformationen, zum Beispiel an der Schnittstelle zwischen Kliniken und Hausärzten. Dies sei durch eine Volldigitalisierung des Gesundheitswesens vermeidbar.

„Konzept der Datensparsamkeit ist überholt“

Eine Unterlassung der sinnvollen Datennutzung sieht der Rat wie den Datenmissbrauch als „unethisch“. „Es geht dabei ja um Leib und Leben von Menschen“, betonte Gerlach. Seiner Ansicht nach muss der Datenschutz im Sinne eines umfassenden Patientenschutzes neu gedacht werden – von Politik und Gesellschaft. Als Beispiel nannte er die Behandlung von Tumorerkrankungen.

Die alte „Maxime der Datensparsamkeit und die strenge Zweckbindung der Daten“ werde gerade von der Realität, durch maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz insbesondere, überholt. Datenschutz müsse eine Norm der Datensicherheit werden, in Verbindung mit empfindlichen, strafrechtlichen Sanktionen für diejenigen, die die von der Rechts- und Solidargemeinschaft gezogenen Grenzen überschreiten oder dies nur versuchen.

Gerlach sieht Erfolge in der . In Deutschland würden als erstes Land Gesundheits-Apps verschrieben, das sind dem Experten zufolge große Fortschritte und so ergeben sich viele Möglichkeiten zur Behandlung und Prävention von Krankheiten. Diese Apps sollen künftig auch mit der ePA verbunden sein, so Greiner. Dies sieht das dritte Digitalisierungsgesetz, das sich aktuell im parlamentarischen Verfahren befindet, explizit vor.

„Daten teilen heißt besser heilen“

„Daten teilen heißt besser heilen“, lautete die Kernbotschaft des Gutachtens. Für das Expertengremium des Sachverständigenrates steht fest, dass Gesundheitsdaten besser genutzt werden müssen um:

  • die Gesundheitsversorgung zu verbessern,
  • das ärztliche „Fax-Standard und die Zettelwirtschaft“ zu überwinden,
  • gezielt zu forschen in Prävention, Diagnostik und Therapie von Krankheiten,
  • und nicht zuletzt, um Geld einzusparen und produktiver im Gesundheitswesen zu arbeiten.

„Wir wünschen uns die Neuausrichtung in ein digitales, dynamisch lernendes Gesundheitswesen und mehr Entschlossenheit von Seiten der Politik, dies zügig und Sektor-übergreifend voranzubringen“, sagte Prof. Gerlach.

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