Neuer GesetzentwurfDigitalgesetz: 4 Folgen für die Praxis

Gesundheitsminister Lauterbach hat sein lang angekündigtes Digitalgesetz vorgelegt. Das Herzstück ist die elektronische Patientenakte – doch es finden sich auch Passagen zu Videosprechstunden und Telekonsilen, die weit in den Praxisalltag hineinreichen könnten.

Blick in die eigene Patientenakte: Damit könnten künftig neue Fragen in der Hausarztpraxis auftreten.

Berlin. Mehr telemedizinische Versorgungsangebote, eine elektronische Patientenakte (E-PA) für jeden Versicherten, der nicht widerspricht, und mehr Sichtbarkeit für Gesundheits-Apps: Mit seinem Digitalisierungsgesetz will Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach die Digitalisierung im Gesundheitswesen an breiter Front vorantreiben. Der entsprechende Referentenentwurf seines Ministeriums, der noch nicht in der Abstimmung zwischen den Ministerien ist und nach der parlamentarischen Sommerpause beraten werden soll, ist am Dienstag (20. Juni) publik geworden.

Im gleichen Atemzug hat das Ministerium einen ersten Aufschlag für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vorgelegt, das unter anderem die Freigabe der E-PA-Daten für die Forschung regeln soll.

Beide Referentenentwürfe kritisiert der Deutsche Hausärzteverband nach einer ersten Bewertung als “alles in allem enttäuschend”. “Sie beinhalten neben einigen guten Ansätzen vor allem sehr viel Stückwerk”, kommentiert Bundesvorsitzender Dr. Markus Beier am Mittwoch (21. Juni). “In Teilen sind die Pläne sogar schlichtweg haarstäubend und brechen mit bewährten Prinzipien unseres Gesundheitswesens.”

Für Hausärztinnen und Hausärzte könnten im Praxisalltag vier Schlüsselbereiche von besonderer Relevanz sein.

1. Aufhebung der Limits für Videosprechstunden und Telekonsile

Der Gesetzentwurf sieht vor, die bisherige Begrenzung der Videosprechstunden auf maximal 30 Prozent der ärztlichen Leistungen aufzuheben. Die Vergütung soll gleichzeitig an Qualitätsmerkmalen orientiert werden, damit es nicht nur eine „mengenmäßige Ausweitung der Nutzung“ gibt.

So sollen nur die telemedizinischen Angebote besser vergütet werden, „die strukturierte Versorgungsprozesse beinhalten, gut in die übrigen Versorgungsprozesse eingebunden sind und dazu die elektronische Patienten­akte und weitere digitale Anwendungen und Dienste der Telematikinfrastruktur einbeziehen“, heißt es in der Gesetzesbegründung. Die Vergütung auch für die Telekonsile soll dabei in der Hand der Selbstverwaltung liegen.

Dass es gelingt, allein aufgrund dieser Systematik einen “Wildwuchs” zu verhindern, stellt der Deutsche Hausärzteverband in Frage. Vielmehr sieht Bundesvorsitzender Beier, dass nun “der Call-Center-Medizin durch kommerzielle Anbieter, die ausschließlich Videosprechstunden im Portfolio haben, Tür und Tor geöffnet” werden. Eine Anschlussversorgung sei dann nicht gesichert.

Die bisher geltende Begrenzung für Videosprechstunden komplett aufzuheben, betrachtet der Hausärzteverband daher als Fehler. “Es wäre deutlich sinnvoller, diese beispielsweise auf 50 Prozent zu erhöhen, statt sie komplett zu streichen”, so Beier.

2. E-Patientenakte mit Mehrarbeit

Das Herzstück des Gesetzes ist – wie mehrfach von Lauterbach angekündigt – die elektronische Patientenakte (E-PA). Ab 15. Januar 2025 sollen gesetzlich Krankenversicherte automatisch eine E-PA erhalten. Wer sie nicht nutzen will, muss über ein sogenanntes Opt-out-Verfahren ausdrücklich widersprechen. 

Wichtig in der Praxis: Die derzeit im EBM vorgesehene Vergütung der ärztlichen Beratungsleistungen zur Nutzung der E-PA und der Erstbefüllung mit medizinischen Daten soll weiterhin insgesamt einmalig zehn Euro betragen, heißt es im Gesetzentwurf.

Bisher gilt die Lösung, dass Versicherte explizit zustimmen müssen, wenn sie eine E-PA nutzen wollen. Die Einführung der Opt-out-Lösung sieht der Deutsche Hausärzteverband grundsätzlich positiv. Dies könne eine “echte Bereicherung” sein.

Aber: Der Verband erinnert an die Wichtigkeit einer praxistauglichen Ausgestaltung. “Sehr viel wird davon abhängen, ob Ärztinnen und Ärzte die E-PA schnell und möglichst automatisiert befüllen können”, so Beier. “Wenn die Befüllung so umständlich bleibt, wie bisher und die Daten weiterhin unstrukturiert vorliegen, wird die E-PA zum Rohrkrepierer.” Hier seien insbesondere auch die PVS-Hersteller in der Pflicht, ihre zum Teil vollkommen überholten Systeme auf Vordermann zu bringen.

In der Tat finden sich im Gesetzentwurf jedoch Überlegungen, die in eine völlig andere Richtung weisen – und die der Verband daher explizit ablehnt. Denn Patientinnen und Patienten sollen laut Gesetz Leserechte auf ihre Akte aufheben oder zulassen dürfen. Der Entwurf erwähnt explizit, dass Ärztinnen und Ärzte bei HIV-Infektion, Schwangerschaftsabbrüchen oder einer psychischen Erkrankung ihre Patienten auf die Widerspruchmöglichkeiten der Dokumentation dieser Daten hinweisen müssen.

Wichtig in der Praxis: Einen daraufhin erklärten Widerspruch sollen Ärztinnen und Ärzte “nachprüfbar in ihrer Behandlungsdokumentation” protokollieren.

Versicherte sollen zudem einen Anspruch auf die Digitalisierung alter, ausgewählter Patientenakten durch ihre Krankenkasse erhalten. Sie können über zwei Jahre insgesamt zwei Mal bis zu zehn Dokumente von ihrer Krankenkasse in die E-PA einpflegen lassen, heißt es in dem Entwurf.

Vorgesehen ist, dass Versicherte dafür mit den Dokumenten in Papierform die Geschäftsstelle ihrer Krankenkasse aufsuchen oder diese ihrer Krankenkasse schicken. Dies könnte zu vermehrten Patientenanfragen in Hausarztpraxen führen.

3. Medikationsplan schon im PVS

Als erste Anwendung auf der E-PA soll der „digitale Medikationsprozess“ abgebildet werden. Danach folgen die Laborbefunde. Welche weiteren Anwendungen kommen sollen, will das Ministerium per Rechtsverordnung festlegen, heißt es in dem Gesetzentwurf. Zum 1. Januar 2025 sollen auch die elektronischen Notfalldaten auf der E-PA gespeichert sein.

Der Medikationsplan soll darüber hinaus bereits in der Praxisverwaltungssoftware (PVS) aufgenommen werden, um von dort aus befüllt zu werden. Die Daten aus der E-PA sollen entsprechend in den Plan mit einbezogen werden. Hier benötigt es die Zustimmung des Patienten.

Für die Sicherstellung der Interoperabilität – also dass PVS und E-PA hier kompatibel sind – sieht das Ministerium die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in der Pflicht.

4. E-Rezept verpflichtend ab 2024

Ebenso soll das E-Rezept weiterentwickelt werden – entsprechende Apps sollen weitergeführt, aber auch innerhalb der E-PA angeboten werden können. Krankenkassen sollen ihre Versicherten über die Modalitäten informieren müssen.

Das E-Rezept wird nicht wie geplant gestaffelt ausgerollt, sondern soll ab 1. Januar 2024 flächendeckend verbindlich werden.

Wichtig in der Praxis: Praxen, die dazu technisch nicht in der Lage sind, soll das Honorar pauschal um 1 Prozent gekürzt werden – und zwar so lange, bis der entsprechende Nachweis gegenüber der KV erbracht ist.

Entsprechend hat am Donnerstagabend (22.6.) auch die Gematik ihren Beschluss zum stufenweisen Roll-out des E-Rezeptes – gegen die Stimmen der KBV) – aufgehoben. Der neue Gematikbeschluss sieht nun auch eine verpflichtende Nutzung für Praxen ab 1. Januar 2024 vor. Die KBV weist darauf hin, dass ein reibungsloser Ablauf nicht gesichert sei. Denn in einigen Praxissoftwares sei das E-Rezept noch nicht “anwenderfreundlich”.

Hohe Kosten für die Umsetzung

Die Krankenkassen wird das Gesetz viel Geld kosten: So prognostiziert der Referentenentwurf, dass zwischen 2024 und 2027 für die Umsetzung der Vorhaben rund 789 Millionen Euro ausgegeben werden sollen.

„Dem gegenüber stehen nicht näher bezifferbare Einsparpotenziale durch eine verbesserte Arzneimittel­therapiesicherheit sowie weitere Effizienzgewinne durch die bessere Verfügbarkeit von behandlungs­relevanten Daten und die Vermeidung unnötiger und belastender Doppeluntersuchungen”, schreibt das Ministerium.

 

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