Wer in einer Verhaltenstherapie lernt, mit Tinnitus anders umzugehen, kann sein Leiden meist lindern. Doch Therapieplätze sind rar. Kann eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) genauso helfen?
Es piept, rauscht oder summt – andauernd. Das zehrt an den Nerven und nährt Zweifel, ob es Hilfe gibt. Doch die Aussage, “es bestünden keine Therapieoptionen, ist falsch”, stellt die S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus [1] klar.
Empfohlen werden für jeden ein Counselling, das Umgangsstrategien mit dem Ohrgeräusch vermittelt, sowie eine Verhaltenstherapie, wenn Erkrankte für diese Behandlung geeignet sind. Doch Therapieplätze sind schwer zu bekommen. Als Alternative nennt die Leitlinie internetbasierte Angebote. Seit 2019 gibt es dazu beispielsweise die Kalmeda-App. Was kann sie bieten?
Aufbau von Kalmeda
Die App läuft internetbasiert in Deutsch auf dem Smartphone (ab iOS 11, Android 6) oder Tablet (iOS 13). Sie wurde von einem HNO-Arzt und Psychologen entwickelt, die Vermarktung teilen sich mynoise sowie der Arzneihersteller Pohl-Boskamp [2, 3]. Sie gliedert sich in drei Phasen:
Kalmeda Start: Erfassen der Symptome und erste Tipps zum Umgang mit Begleitbeschwerden, ergänzt durch Wissenseinheiten und Entspannungsübungen (Counselling). Die “Anamnese” kann an Praxen übermittelt werden. Tipp: Da der “Start”-Bereich kostenfrei ist, können Praxen Interessierten zu einem Test raten, um zu sehen, ob sie mit dem Angebot zurechtkommen. Die Daten können später weiter genutzt werden.
Kalmeda Go: Therapieplan zur kognitiven Verhaltenstherapie (s.u.) auf Basis der Beschwerden; als DiGA verordnungsfähig.
Kalmeda Plus: Weiternutzung im Anschluss an Kalmeda Go; Selbstzahler-Abo für 9,99 Euro pro Monat.
Funktionen
Das “Übungsprogramm” von Kalmeda Go besteht aus fünf Leveln mit je neun Etappen (Video: www.hausarzt.link/zC6QC):
Aufmerksamkeitslenkung,
Entspannung,
Selbstwirksamkeit,
Akzeptanz,
Achtsamkeit.
Jede Etappe hat eine feste Bearbeitungszeit von drei bis sieben Tagen, damit sich Betroffene intensiv mit den Aufgaben (Text, Grafik, Audio, Video, Quiz) beschäftigen. Erst wenn definierte Ziele erreicht sind, werden neue Inhalte freigeschaltet. Laut Kalmeda dauert die kürzeste Nutzung sieben Monate, das DiGA-Verzeichnis gibt zwölf Monate an.
Langsam sollen Erkrankte so eine andere Haltung gegenüber dem Tinnitus entwickeln sowie negative Verstärker erkennen. Immer wieder fragt die App nach anfangs erfassten Problemen (z.B. Schlaf) oder wie man mit den Übungen zurechtkommt. Erkrankte notieren sich zudem “Hilfen oder Helfer”, um sich ihre Ressourcen zu verdeutlichen.
Neben dem Übungsprogramm können Nutzerinnen und Nutzer auf Natur- und Hintergrundgeräusche, Entspannungsübungen, Meditationen sowie einen Wissensteil zugreifen. Kalmeda zufolge soll jederzeit Kontakt zu einem Therapeuten möglich sein.
Medizinischer Nutzen bestätigt
“Durch die kognitive Verhaltenstherapie verbessert sich die Tinnitusbelastung”, urteilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach der Erprobungsstudie [4, 5]. Diese hatte 90 Frauen und 97 Männer mit chronischem Tinnitus randomisiert auf zwei Gruppen untersucht; psychisch Erkrankte waren ausgeschlossen.
Eine Gruppe nutzte Kalmeda von Beginn an, die Kontrollgruppe erst nach drei Monaten. Nach drei Monaten schnitt die Kalmeda-Gruppe beim Tinnitusfragebogen im Mittel um 10 Punkte besser ab (primärer Endpunkt). Als sekundäre Endpunkte wurden eine Veränderung von Stress, Depressivität und Selbstwirksamkeit nach drei und neun Monaten erfragt (siehe Tabelle unten).