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Praxis WissenDie Krisenspirale: Auf Kürzungen folgt Krankheit

Infolge der Finanzkrise sparen die armen Länder Europas ihre Gesundheitssysteme kaputt. Dabei wären oft Investitionen das Mittel der Wahl.

Dass Armut und Krankheit in einem eindeutigen Verhältnis stehen, ist längst eine Binse. Auf dem Berliner Kongress Armut und Gesundheit im März wurde aber überdeutlich, wie sehr dieser Effekt in den armen Ländern Europas inzwischen die Gesundheitsversorgung und die Gesundheit der Bürger beschädigt. Aleksander Kentikelenis von der Uni Cambridge erläuterte den Einfluss der griechischen Wirtschaftskrise auf das öffentliche Gesundheitswesen. Quintessenz: Die Milliarden von Euro, die nach Griechenland flossen (110 Milliarden Euro in 2010, 120 Milliarden in 2012), haben das ohnedies schlecht funktionierende Gesundheitssystem nicht gestützt. Im Gegenteil. Das Geld wurde für Anderes ausgegeben. Die Folge: Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit im Land steigt die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung. Immer mehr Ärzte verlassen das Land, weil sie in Griechenland keine Anstellung mehr bekommen. Manche Kliniken können sich nicht mal mehr Verbrauchsmaterialien leisten, um nur einige der dramatischen Missstände in der medizinischen Versorgung griechischer Bürger zu nennen.

Erst Wirtschaftskrise, dann Versorgungskrise

Von dem Geld, das Griechenland erhalten hat, sind rund zwei Drittel an die Banken geflossen, bei denen der griechische Staat in der Kreide steht, berichtet Kentikelenis. „Nur 11,7 Milliarden Euro konnte die Regierung für ihre Arbeit verwenden“, also unter anderem für die Gesundheitsversorgung. Unterdessen stürzten die Kurven der Wirtschaftsdaten ab. Der Kollaps des Brutto-Inlandproduktes sei vergleichbar mit dem Kollaps der großen Depression in den USA 1929 bis 39, hieß es. Dabei war das Land schon vor der Krise angeschlagen.

Bereits vor 2004 gab man im Südosten Europas weit weniger Geld für die öffentliche Gesundheitsversorgung aus als im Rest Europas. 2007 waren es in Griechenland rund 5,9 Prozent des BIP, in den übrigen Ländern des Kontinents legte man 7,25 Prozent auf den Tisch. Bis 2011 vergrößerte sich die Differenz auf fast genau zwei Prozentpunkte – sechs Prozent versus acht Prozent. Zugleich stieg die Arbeitslosigkeit von sieben Prozent 2007 auf sagenhafte 27 Prozent in den Jahren 2013/2014. Entsprechend brachen die Krankenkassenbeiträge ein, während die Zahl der nicht Krankenversicherten in Griechenland auf fast ein Viertel der Bevölkerung anschwoll. „Das sind rund 2,5 Millionen Menschen“, so Kentikelenis.

Die Geldknappheit vertreibt nun offenbar die Fachkräfte. Der Athener Journa-list Filippos Sacharis berichtete jedenfalls im Deutschen Ärzteblatt, dass einige öffentliche Kliniken ihre Mitarbeiter in Folge der Krise nicht mehr bezahlen können. Im Krankenhaus des Roten Kreuzes „Korgialenio Benakio“ etwa hätten daher die Hälfte der Ärzte und Pflegenden das Haus verlassen.

Der Versorgungskrise folgt Krankheit

Dem Niedergang des Gesundheitssystems folgt die Gesundheitskrise, womit der Zusammenhang von Armut und Krankheit offensichtlich wird. So vervielfachte sich die Zahl der HIV-Infektionen nach 2010 von 25 Neuinfektionen in 2010 auf 307 in 2011 und 484 in 2012. Die Prävalenz der Patienten mit Tuberkulose stieg von 3,3 pro 100.000 Einwohner in 2010 auf 4,7 in 2012. 2012 kämpfte Griechenland mit einem Malaria-Ausbruch und sieht sich mit immer mehr Depressions-Patienten und Selbstmordversuchen konfrontiert.

Ähnlich in Spanien, wie Dr. Helena Legido-Quigley von der London School of Hygiene and Tropical Medicine berichtete. Auch hier gehen steigende öffentliche Schulden einher mit wachsender Arbeitslosigkeit und größerer Gefahr der Verarmung. Obwohl die Arbeitslosigkeit in Spanien inzwischen zurückgehe, steige etwa der Konsum von Antidepressiva. 2012 ist die Selbstmordrate im Vergleich zum Vorjahr um 11,3 Prozent gestiegen, so Legido-Quigley. Sogar Unterernährung stellen Ärzte und Pflegende immer häufiger fest. In 2012 verloren 873.000 Spanier das Recht auf eine umfassende Gesundheitsversorgung, „das waren 2.300 am Tag“, so Legido-Quigley.

Besonders Rentner können ihre Zuzahlungen zu lebenswichtigen Medikamenten oft nicht mehr zahlen, selbst dann nicht, wenn es sich nur um vier oder fünf Euro handelt. die Folgen für ihre Gesundheit liegen auf der Hand.

Nicht nur kürzen

Offen ist die Frage, was in derart angespannten Lagen das Heilmittel der Wahl ist. Die Forderungen nach Strukturreformen durch die Troika betreffen und betrafen ja auch den Gesundheitssektor. Und die griechische Regierung kürzte in der Tat „horizontal“. So wurden die Ausgaben für Arzneimittel und für öffentliche Kliniken zwischen 2009 und 2011 um 26 Prozent gekürzt. In den Jahren 2010 bis 2012 sanken die öffentlichen Ausgaben für die psychotherapeutische Versorgung um 75 Prozent. 2010 wurde rund zwei Drittel der Streetworker-Programme zur HIV-Prävention aufgegeben. Kein Wunder, dass durch die Kostenbremse fast die Hälfte (47 Prozent) der Bevölkerung „unerfüllte gesundheitliche Bedürfnisse“ aufwies, wie Kentikelenis sagte, „umso mehr, als es Arme und schlechter Gebildete betrifft.“

Inzwischen wurde auch der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages aufmerksam. Im Mai warnte Wolfgang Zöller, im Ausschuss Fachbeauftragter für das griechische Gesundheitssystem, dass die Regierung nicht durch Strukturreformen spare, sondern durch „drastische Kürzungen“. Immer noch würden zum Beispiel nur zu fünf Prozent Generika verschrieben, also mehrheitlich teure Originalpräparate. Welche Reformen die Regierung indessen anpacken wolle, sei „derzeit unklar“.

2013 führte die Regierung zum Beispiel ein Gutscheinsystem für die Grundversorgung ein. „Aber nur wenige profitieren davon“, sagte Kentikelenis. Die Primärversorgung liegt in Griechenland ohnehin vor allem in den Händen von Nicht-Regierungs-Organisationen.

Investieren!

Sahra Thommsen, für die Weltgesundheitsorganisation in Barcelona tätig, erklärte: Auch wenn Politiker sparen müssten, hätten sie die Wahl. Kürzungen und Einsparungen bedeuteten nicht immer auch gesteigerte Effektivität. Vor allem dann nicht, wenn grundsätzlich überall gespart wird, statt an wohlgewählten Punkten. Überhaupt hätten sich viele Staaten zum Sparen bei der Prävention und dem öffentlichen Gesundheitsdienst entschlossen. „Nur wenige reduzieren bei der Verwaltung“, so Thomsen. Dabei seien auch in Krisenzeiten im Gesundheitswesen oft Investitionen nötig, um die Effektivität zu steigern.

Im Übrigen brauche man in den Krisenländer schneller bessere Daten. Vor allem aber – da waren sich Thomsen und Kentikelenis einig, brauche man den politischen Willen, ein funktionierendes Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten. Am Schluss seines Vortrags zitierte Kentikelenis denn auch den Walisischen Gesundheitspolitiker der 1950er Jahre, Aneurin Bevan : „Ungeachtet unserer finanziellen oder wirtschaftlichen Befürchtungen, sind wir immer in der Lage, das Zivilisierteste zu tun: das Wohlergehen der Kranken vor alle anderen Überlegungen zu stellen.“

WHO-Observatory Study

Eine gute primärärztliche Versorgung verbessert die Qualität und Effektivität eines Gesundheitssystems, etwa was Prävention und die rechtzeitige Entdeckung und Behandlung von Krankheiten angeht. Das stellt die Weltgesundheitsorganisation in ihrer Studie fest. Sie hatte die Folgen der Finanzkrise auf Gesundheit und Gesundheitssysteme in Europa untersucht und daraus Handlungsempfehlungen für Politiker abgeleitet. Zusammenfassung online.

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