Nicht alles, was heute in der Medizin gemacht wird, ist notwendig und sinnvoll. "Viele Eingriffe sind eine Belastung für den Patienten und deshalb ist es unsere Pflicht als Ärzte, Behandlungen zu unterlassen, die dem Patienten nichts nutzen sondern ihm sogar schaden", sagte Professor Michael Hallek, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik in Köln und zugleich Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) beim diesjährigen Internistenkongress.
Gewohnheiten und fehlendes Wissen über neue Entwicklungen seien häufig für ein solches "unkluges Entscheiden" verantwortlich. Dazu kämen die Angst vor dem Vorwurf, etwas unterlassen zu haben, mit eventuellen juristischen Konsequenzen und falsche ökonomische Anreize wie beispielsweise die schlechte Honorierung von Gesprächsleistungen. "Wir müssen uns bewusst machen, dass ein Zuviel an medizinischer Fürsorge ähnlichen Schaden anrichten kann wie das Unterlassen einer notwendigen Leistung", so Hallek. Drei konkrete Beispiele für medizinische Leistungen, die von der amerikanischen und auch schweizerischen Initiative in Frage gestellt werden und häufig auch in Deutschland unnötigerweise erbracht werden, sind:
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Antibiotika bei Atemwegsinfekten
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Wiederholung der Koloskopie innerhalb von zehn Jahren, wenn die Erstuntersuchung unauffällig war
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Osteoporose-Screening bei Frauen unter 65 Jahren ohne erhöhtes Risiko.
"Im Zweifelsfall mehr machen, nach dieser Devise wird auch in der Kardiologie nicht selten gehandelt", so Professor Gerd Hasenfus, Direktor der kardiologischen Universitätsklinik in Göttingen. In den offiziellen Leitlinien würden negative Empfehlungen zu wenig berücksichtigt. So könne der Verzicht auf einen zusätzlichen Stent durchaus für den Patienten "besser" sein. Beispiele für Maßnahmen in der Kardiologie, die nicht empfohlen werden können, sind:
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Therapie mit Klasse-I-Antiarrhythmika bei KHK-Patienten
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Implantation eines ICD bei Patienten mit einer Lebenserwartung unter einem Jahr
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Koronardilatation bei asymptomatischen Patienten ohne Ischämienachweis
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Systematische Kontroll-Koronarangiografien nach einer Koronarintervention.
Viel hilft nicht immer viel!
"Auch in der Gastroenterologie wird haufig des Guten zu viel getan", so Professor Frank Lammert, Direktor der Gastroenterologischen Universitätsklinik in Homburg/Saar. Weit verbreitet sei die zu hohe Dosierung von PPIs bei Patienten mit einer Refluxkrankheit. Grundsätzlich sollten diese Patienten auf die niedrigste noch wirksame Dosis eingestellt werden. Bei Patienten mit einem Barrett-Ösophagus ist eine zweite Gastroskopie erst nach drei Jahren erforderlich, wenn initial keine Dysplasien nachgewiesen werden konnten. Ein durch nichts zu rechtfertigendes Übermaß an Diagnostik erhalten insbesondere Patienten mit einem Reizdarm und zwar sowohl in Form von Endoskopien als auch CT-Untersuchungen. Auch in der Medizin müsse gelten, dass Perfektion keinesfalls dann erreicht sei, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen könne, so Lammert.