Soziale Persönlichkeitsmerkmale und das Selbstbild eines Menschen entscheiden darüber, ob er Medikamente nimmt, wenn er krank ist, den Arzt aufsucht oder zur Selbstmedikation greift. Das zeigen zwei Gutachten [1, 2]. „Bei Patienten gibt es keinen Durchschnitt“, sagt Prof. Elmar Brähler vom Uniklinikum Leipzig. Die Kommunikation sollte sich daher an Persönlichkeitstyp, Geschlecht und Alter orientieren.
Mit einer Befragung von 1.000 Männern und Frauen hat er den Zusammenhang zwischen sozialen Persönlichkeitsmerkmalen (Soziales Selbst) und Selbstmedikation untersucht [1]. Während Senioren ab 60 Jahren den Gang zum Arzt bevorzugten, neigten 18- bis 39-Jährige zur Selbstmedikation. Die Tendenz zur Selbstmedikation war stärker bei Frauen und Personen der Mittelschicht ausgeprägt. Männer und Befragte der Oberschicht verzichteten oft auf eine Behandlung und gingen nicht zum Arzt. Vor allem bei Kopfschmerzen, Erkältung, Allergien und Hautproblemen therapierten sich Patienten selbst – besonders Personen bei guter Gesundheit.
Es zeigten sich auch psychosoziale Zusammenhänge: „Personen, die sich selbst medikamentieren, sind eher introvertiert, wenig selbstwirksam, einsam, von außen steuerbar, ängstlich und mit wenig sozialer Unterstützung – aber verträglich und nicht zwanghaft“, so Brähler. Sie wollten geführt werden und holten sich Ratschläge beim Apotheker. Hingegen seien Menschen, die kaum Medikamente nehmen, eher selbstsicher, informierten sich und nähmen ihr Schicksal selbst in die Hand; allerdings seien sie unverträglicher und korrekter. „Sie wollen autark sein, nicht belehrt werden und gleichberechtigt mitentscheiden“, betont Brähler. Im Gespräch sollten Ärzte ihnen Alternativen ohne eigene Bewertung erläutern – im Sinne eines „shared decision making“.
Auch das Selbstbild (Inneres Selbst) kann Bremse oder Beschleuniger beim Heilprozess sein, weiß Prof. Astrid Schütz von der Uni Bamberg [2]. Personen, die Fähigkeiten für unveränderlich halten, haben ein statisches Selbstbild. Menschen, die an die Veränderbarkeit der eigenen Fähigkeiten durch Anstrengungen glauben, verfügen über ein dynamisches Selbstbild. „Menschen mit statischen Mindsets fühlen sich durch Krankheit stark belastet und der Situation ausgeliefert. Im Gegensatz dazu vertrauen Personen mit einem dynamischen Selbstbild auf ihre Regenerationskräfte und wissen, was im Krankheitsfall zu tun ist. Sie verhalten sich gesundheitsfördernd und machen Sport.“ Menschen mit geringem Einkommen und geringer Bildung hätten häufiger statische Selbstbilder. Sie sähen sich weniger in der Lage, etwas zu verändern. Hier gelte es, neue Sichtweisen zu etablieren, nach dem Motto: „Du kannst selbst etwas tun.“
Das dynamische Selbstbild kann sich mit dem Alter verändern: Während Jüngere überzeugt sind, die eigene Gesundheit beeinflussen zu können, glauben Ältere weniger daran, das Vertrauen in ihre Selbstheilungskräfte schwindet. Dieser Resignation können Ärzte mit gezielter Kommunikation begegnen, um aktive Sichtweisen zu fördern und das Selbstbild lange „jung zu halten“. Frauen bemühen sich stärker um die eigene Gesundheit als Männer und vertrauen eher darauf, wieder gesund zu werden. Sie wüssten, wann ihr Körper eine Pause brauche, sähen sich aber weniger in der Lage, sich diese auch zu gönnen, sagt Schütz. Frauen übernähmen mehr Verantwortung für die eigene und die Gesundheit des Partners. Diese Rolle als „Gesundheitsberaterin“ müsse berücksichtigt werden.
Quelle: „Patientenmythen vs. brandneue Studienwahrheiten“, Dr. W. Schwabe, Berlin, Oktober 2015; [1] Brähler E: Soziales Selbst und Selbstmedikation; [2] Schütz A: Inneres Selbst und Selbstmedikation. Beide Gutachten im Auftrag der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co KG