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Forum Politik“Wir müssen Vieles zusammenführen, das ist intellektuell Hightech”

Seit einem Jahr führt Prof. Erika Baum als Präsidentin die DEGAM. Mit „Der Hausarzt“ hat sie vor dem DEGAM-Kongress eine erste Bilanz gezogen. Für die Aufgaben, die mit dem Masterplan Medizinstudium 2020 kommen werden, sieht sie die Allgemeinmedizin gut vorbereitet, aber beim wissenschaftlichen Nachwuchs gibt es noch eine große Hürde zu überspringen.

Prof. Erika Baum

Die letzte Regierung hat viel für die Allgemeinmedizin unternommen: Förderung der Weiterbildung, Masterplan Medizinstudium 2020, Kompetenzzentren. Kommt das beim Nachwuchs schon an?

Baum: Das Kompetenzzentrum gibt es bei uns in Hessen seit fünf Jahren. Aktuell nimmt die Nachfrage wieder zu. Daher bauen wir jetzt die Kapazitäten etwa in den Seminar- und Mentoringprogrammen aus. Bundesweit sind wir an vielen Standorten gut aufgestellt, es gibt aber ein paar die wir noch stärken müssen. Wir haben Probleme, neue Lehrstühle zu besetzen, gerade den akademischen Mittelbau gilt es auszubauen. Eine große Hürde ist dabei der Tarifvertrag: Es ist attraktiver in der Klinik oder Praxis zu arbeiten als an der Universität. Der Unterschied beträgt in etwa 30 Prozent!

Auch Lehrpraxen sind künftig stärker gefordert. Wie sind wir dafür gerüstet?

Wir werden genug Lehrpraxen haben, da Studierende ein ambulantes PJQuartal und kein reines Quartal in der Hausarztpraxis absolvieren müssen. Aber natürlich wollen wir unsere Lehrpraxen noch besser unterstützen, sie von den Universitäten aus betreuen, sie weiter qualifizieren. Dafür brauchen wir Manpower, aber es ist eine schöne Aufgabe. Ich habe keine Sorge, dass wir das nicht schaffen.

Wie unterstützt die DEGAM neue Lehrpraxen?

Hier muss man sich an seinem Standort erkundigen, welche Angebote es jeweils gibt. Inzwischen haben die DEGAM und die GHA aber einige Instrumente und Materialien entwickelt, wie man bei der Lehre in der eigenen Praxis vorgehen kann.

Ihr Vorgänger Ferdinand Gerlach war vielseitig politisch aktiv. Täuscht der Eindruck, dass mit Ihnen wieder eher eine „praktische Hausärztin“ an der Spitze ist?

Ferdinand Gerlach ist ein Glücksfall für die Allgemeinmedizin, wir kooperieren eng. Aber unsere Satzung sieht vor, dass nach sechs Jahren als Präsident Schluss ist, sonst wäre er wiedergewählt worden. Ich wurde früher schon gefragt, ob ich kandidieren würde, aber damals war ich noch in der Praxis und an der Universität Marburg sehr aktiv. Ich übernehme Aufgaben nur, wenn ich mich hundertprozentig engagieren kann – dafür habe ich jetzt Zeit. Zudem ist es sicher für die Außenwirkung gut, eine Frau und jemanden, der seit vielen Jahren mit beiden Füßen in der Praxis steht, an der Spitze zu haben. Anfang dieser Woche war ich noch auf Hausbesuchen und habe zwei Kindervorsorgen in der Praxis durchgeführt – das ist auch eine Chance die Arbeit der DEGAM nah an die Bedürfnisse in der Praxis heran zu rücken.

Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?

Ich möchte in erster Linie eine solide Basis für die Allgemeinmedizin schaffen – von der wissenschaftlichen Seite wie von der Lehrseite. Das ist wichtig, um Menschen für die Allgemeinmedizin zu begeistern. Auf der anderen Seite brauchen wir den Berufsverband: So werden wir nur genügend Allgemeinmediziner bekommen, wenn die Rahmenbedingungen attraktiv sind. Wir sind die Zehnkämpfer – das hab ich von Ferdinand Gerlach übernommen – also die Könige der Athleten und entsprechend müssten wir ein hohes Prestige haben. In den Niederlanden ist das so. Das Schöne an unserem Beruf ist gerade, dass wir so viele Kompetenzen zusammenführen müssen, das ist intellektuell Hightech ohne die Technik.

Aktuell wird der neue Beruf Physician Assistant kritisch diskutiert. Wie sehen Sie das?

Genau das – viele verschiedene Kompetenzen integrieren – kann kein Physician Assistant übernehmen. Das können nur wir. Bestimmte, einzelne Routineaufgaben können wir hingegen schon delegieren. Dafür gibt es in der Hausarztpraxis bereits die VERAH, die dafür sehr gut ausgebildet ist. Ich sehe also für den Physician Assistant in der Hausarztpraxis keinen Platz.

DEGAM und Hausärzteverband marschieren bei vielen Themen Seite an Seite. Wie beschreiben Sie das Verhältnis zueinander?

Ich bin seit 35 Jahren Hausärztin und seitdem im Verband. Daher liegt mir eine konstruktive Zusammenarbeit am Herzen. Gemäß unserer jeweiligen Ausrichtung erreichen wir unterschiedliche Charaktere von Hausärzten. Der Berufsverband muss dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Die DEGAM erarbeitet die wissenschaftliche Basis. Natürlich gibt es mal Meinungsverschiedenheiten, aber wenn es ums Eingemachte geht, nutzt jeder seine Stärken, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: zum Beispiel beim Masterplan Medizinstudium 2020, den Kompetenzzentren oder der jüngsten Aktion des Spitzenverbands Fachärzte Deutschland.

Wir brauchen einen starken Berufsverband, daher empfehle ich jedem Arzt in Weiterbildung, werde Mitglied. Auf der anderen Seite haben wir Studierende, Ärzte in Weiterbildung und weniger berufspolitisch interessierte Hausärzte, die dann in der DEGAM gut aufgehoben sind. Wir wollen die Lehre und Forschung voranbringen, damit wir wissen, was sollten wir tun und was lassen. Schließlich erarbeiten wir, wie dieses Wissen in Aus-, Weiterund Fortbildung optimal transportiert werden kann.

Worauf legen Sie als Präsidentin dabei besonders Wert?

Sehr wichtig war uns immer die Pharmaunabhängigkeit. Das ist ein schwerer Weg, weil viel auf ehrenamtlichem Engagement basiert oder unzureichend vergütet wird. Aber auf unsere Bescheidenheit sind wir stolz! Ich fahre zum Beispiel einen Golf und brauche keinen Mercedes (lacht). Gerade haben wir sehr Aufwind bei den Leitlinien, weil wir durchgängig pharmaunabhängig sind. So haben wir eine hohe Glaubwürdigkeit erreicht. Beispiel Osteoporose-Leitlinie: Hier waren wir nur drei Leute ohne Pharmainteressen. Wir konnten die anderen aber nicht ausschließen, sonst hätten wir nicht mehr abstimmen können! Das ist keine gute Basis.

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