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Forum PolitikWie junge Ärzte das System reformieren würden

Wie würden junge Hausärzte das Gesundheitssystem gestalten? Vier von ihnen haben darüber am "runden Tisch" diskutiert – sehr persönlich, mit deutlichen Worten und dezidiert nicht berufspolitisch. Herausgekommen ist ein Wunschzettel für die Bundestagswahl.

Roundtable mit TImo Schumacher, Dr. Jana Husemann, Denis Nößler, Johanna Dielmann-von Berg, Ruben Bernau und Dr. Christian Fleischhauer (v.l.).

In wenigen Monaten wird der 19. Deutsche Bundestag gewählt. Grund genug für „Der Hausarzt“, noch einen genaueren Blick auf die letzten vier Jahre Gesundheitspolitik zu werfen, vor allem aber einen Blick in die Zukunft: Wo sind Reformen nötig, und um welche Baustellen muss sich die künftige Regierung dringend kümmern? Am Rande der Frühjahrstagung des Deutschen Hausärzteverbands, am 5. Mai in Mainz, haben wir vier Hausärzte getroffen, die sich in den vergangenen Jahren niedergelassen haben. Mit ihnen haben wir über Nöte und Wünsche der jungen Generation von Familienmedizinern gesprochen. Und schnell hat sich gezeigt:

Die neue Ärztegeneration hat ziemlich klare Vorstellungen, wie die medizinische Versorgung aussehen soll. Das rund zweistündige Gespräch können wir an dieser Stelle nur stark komprimiert wiedergeben, einige Teile konnten wir aus Platzgründen hier nicht berücksichtigen. Allen Interessierten sei daher der Audio-Mitschnitt des Runden Tischs ans Herz gelegt.

Zu unserem Runden Tisch habt ihr Eingangsstatements mitgebracht: Wo drückt euch im ärztlichen Alltag der Schuh?

Dr. Jana Husemann: Dass wir jedes Quartal mehr Patienten haben, also steigende Patientenzahlen, und dass wir für unsere Patienten immer weniger Zeit zur Verfügung haben. Dazu zählt auch, dass immer weniger Kollegen Hausbesuche machen, was dann an uns verbleibenden Hausärzten hängen bleibt.

Ruben Bernau: Ich würde mir wünschen, dass der Anspruch der Patienten ein bisschen sinkt. Der Deutsche denkt, er habe zu jeder Zeit Anspruch auf jede medizinische Ressource, und zwar sofort. Immer öfter haben wir Patienten, die, um ein Beispiel zu nennen, nachts um drei Uhr den Bereitschaftsdienst anrufen, weil sie ein Asthmaspray brauchen. Und wir müssen beim Thema Delegation weiterkommen: Wir sollten unsere MFA noch besser ausbilden, sie vielleicht studieren lassen, um sie noch mehr in die Versorgung einzubinden.

Timo Schumacher: Ich würde gerne mehr Zeit für die „spaßigen“ Sachen in der Medizin haben – das Ganzheitliche, von der kleinen Chirurgie bis zur Proktologie. Das wird einem künstlich schwer gemacht durch unnötige Vorschriften, Vorgaben und Hygienebestimmungen, die so extrem sind, dass das Einmalmaterial mehr kostet, als ich für die Leistung überhaupt abrechnen kann. Ich muss Patienten erst einmal gut verwalten, um das Geld zu verdienen für vernünftige Versorgung. Das finde ich das Widersinnige in unserem System: Geld gibt es fürs Verwalten und nicht fürs gute Behandeln. Die Gesetze müssten an die Versorgungsrealität angepasst werden und nicht umgekehrt.

Dr. Christian Fleischhauer: Die Flut von Prüfungen. Ich bin eigentlich Arzt geworden, weil ich gerne Patienten behandeln möchte. Wenn ein Patient mit Bauchschmerzen zu mir kommt und ich eine Sonographie mache, beginnt sofort die Bürokratie: Ich muss die Bilder dokumentieren, sie befunden, damit ich im Falle einer Stichprobenprüfung zeitnah und richtig antworten kann. Mit Interesse beobachte ich auch angestellte Ärzte. Als Praxisinhaber sitzen wir nach den Sprechstunden noch lange, um Gutachten zu machen, die Abrechnung durchzuschauen und Tageslisten zu pflegen. Als angestellter Arzt hat man Feierabend, wenn Feierabend ist. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Der Begriff „Spaß“ ist gefallen. Ihr alle habt euren Beruf aus guten Gründen gewählt …

Schumacher: Auf jeden Fall, ich würde genau den gleichen Weg wieder gehen und mich wieder niederlassen. Die Unabhängigkeit in der eigenen Praxis, die Rückmeldung der Patienten, die Vielfalt unseres Berufs machen sehr zufrieden.

Husemann: Seit ich in der Praxis bin, bin ich zum ersten Mal richtig zufrieden. Ich war eine Zweiflerin, auch in der Klinik war ich nie hundertprozentig überzeugt. Dort wird nicht erwartet, dass man etwas hinterfragt. In der Praxis war das zum ersten Mal so. Dort habe ich angefangen, die Dinge kritisch zu sehen. Das macht mich viel zufriedener, als nur ein Rädchen in einer Maschinerie zu sein. Bernau: Wir haben den tollsten Beruf der Welt. Das, was ich tue, hat einen hohen Stellenwert in meinem Dorf. Und wir verdienen gutes Geld, ja, es muss keiner am Hungertuch nagen.

Euer Job ist der beste der Welt, und er wäre noch besser, hättet ihr mehr Zeit für eure Patienten und weniger Bürokratie.

Bernau: Ja, wir müssen etliches weiterentwickeln. Mein Terminkalender ist am Anfang des Quartals voll mit freien Leistungen und Prävention, vor allem für Disease Management Programme. Da muss ich gesunde Hypertoniker oder KHK-Patienten fragen, wie es ihnen geht. Die Kontrollen könnte wunderbar mein Team machen. Dafür brauchen wir ganz wenig Arzt, weil die MFA so fit sind. Überhaupt: Wir haben unsere MFA zu VERAH ausgebildet. Das ist ein Kompetenzschub, die könnten die Praxis fast schon alleine führen. Das ist herrlich anzusehen.

Fleischhauer: Da gibt es einiges, was man delegieren kann. Fußkontrollen und Blutentnahmen können die MFA natürlich. Die Schwestern und MFA freuen sich über neue Kompetenzen. In manchen Dingen sind die sowieso viel besser: In dem Krankenhaus, in dem ich meine Weiterbildung gemacht habe, gab es eine Schwester, die hat Herzechos besser gemacht als die Assistenzärzte.

Bernau: Ich bringe ein anderes Beispiel: die Wundmanager. Du hast einen bettlägerigen Hausbesuchspatienten mit einem Dekubitus. Zuerst dachte ich: Wow, die ist ja kompetenter als ich und regelt alles. Wenn man aber dahinterguckt, sieht man: die haben einen Wochenendkurs gemacht, schlimmstenfalls von einem Hersteller, und geben mir vor, was ich aufzuschreiben habe, nämlich nur von dieser Firma. Und letztlich muss ich mich trotzdem kümmern, weil ich die Verordnung verantworte. Also mache ich es wieder selber und muss eine MFA dafür ausbilden.

Was uns zu einem kleinen Dilemma führt: Delegation entlastet nur bedingt, da die Ärzte letztlich immer die Verantwortung tragen. Wenn ihr zehn MFA mehr einstellt, seid ihr für diese zehn MFA auch verantwortlich.

Bernau: In anderen Fällen ist es nicht so. Zum Beispiel bei Stoma-Patienten: Manche brauchen von mir keine Verordnung mehr, weil deren Krankenkassen wissen, dass sie die Materialien brauchen. Warum müssen wir Inkontinenzmaterialien aufschreiben? Das ist doch nicht mehr ärztlich.

Was könntet ihr euch noch vorstellen, was nicht mehr ärztliches Tun sein müsste?

Husemann: Die Heilmittel sind stark in der Diskussion. Dort finde ich es keine schlechte Idee – auch bei der Wundversorgung, wenn die gut ausgebildet sind. Wenn wir aber die Verantwortung dafür abgeben, will ich dafür auch nicht haftbar gemacht werden.

Fleischhauer: Auch Hausbesuche zur Blutentnahme muss kein Arzt machen.

Schumacher: Oder Logopädie: Wenn die ein Schlaganfallpatient alle vier Wochen braucht, soll ich das nicht immer neu quittieren müssen. Andererseits sagen Orthopäden: „Ich möchte schon, dass der Physiotherapeut nicht macht, was er will.“ Es gibt gute und weniger gute Gründe, wo es Sinn macht, die Ärzte mit einzubeziehen. Die Wundversorgung müssen wir im Auge behalten.

Die deutsche Selbstverwaltung wird international ja groß angepriesen. Sind diese Gremien überhaupt handlungsfähig und schnell genug, um mit diesen Entwicklungen in den Praxen Schritt zu halten?

Bernau: Das, was ich da reinbringe an neuen Ideen, fällt auf fruchtbaren Boden, das hätte ich nie gedacht. Wie in jeder Verwaltung gibt es aber um kleine Probleme Diskussionen, während manches andere gerne nur aus der Ferne betrachtet wird. Insgesamt ist unsere Selbstverwaltung aber ein hohes Gut.

Schumacher: Das Problem sind die bestehenden Spielregeln, das Gros wird in KBV und G-BA von Menschen vorgegeben, von denen manche gar nicht in eigener Praxis tätig sind. Der Ansatz einer echten Selbstverwaltung wäre, dass auf Bundesebene die Funktionäre für die wichtigsten beratenden Tätigkeiten zumindest teilweise noch aktiv am Patienten tätig sein sollten. Nur so bekommt man mit, wo der Schuh drückt.

*Da hat die Bundesregierung mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz gerade eine diametrale Auffassung, wenn sie sagt: „Ihr Ärzte bekommt das nicht alleine geregelt, wir geben euch ein bisschen Kompetenz außerhalb eurer Filterblase dazu.“

Husemann: In Hamburg sieht man an dem professionellen Vorstand, dass das auch Vorteile hat, wenn sich jemand ganz dieser Aufgabe widmen kann. Dazu kommen ja auch ganz viele juristische Fragestellungen.

Schumacher: Ja, ich glaube auch, dass wir ökonomische und juristische Expertise in den KVen brauchen, weil wir Ärzte manchmal vielleicht zu sehr in eine Richtung denken. Aber auf Bundesebene hat man häufig das Gefühl, dass Gesetze von Leuten entschieden werden, die die Versorgungsrealität nicht oder nicht mehr kennen.

Bleiben wir für den Moment bei der Versorgungsrealität und den Vorgaben von „oben“. Wo hakt es eurer Ansicht nach?

Husemann: Die AU-Bescheinigungen sind so ein Beispiel. Die Patienten kommen am ersten und am dritten Tag, und man neigt dazu zu sagen: „Die brauche ich für meine Scheine, das sind schnelle Patienten.“ Das ist ein total unsinniger Anreiz. Viel besser wären unabhängige Jahrespauschalen, bei denen wir nicht auf diese eigentlich unsinnigen Besuche angewiesen sind, die die Wartezimmer verstopfen und uns die Zeit nehmen, für Patienten, die wirklich krank sind. In anderen Ländern müssen die Arbeitnehmer erst nach einer Woche zum Arzt. Dort sind sie auch nicht häufiger krank.

Schumacher: Ich bin ein bisschen zwiegespalten, weil ich auch das Risiko sehe: Ich habe Praxen kennengelernt, die im KV-System hausärztlich nur noch so tätig waren, dass sie für alles Überweisungen ausgestellt haben.

Pauschalen müssen also klug gestaltet sein, wie etwa in der HZV. Die Pauschalen bringen uns zum Thema Krankenhaus. Die Kollegen dort arbeiten unter ganz anderen Bedingungen als ihr – das stationäre und das ambulante System „ticken“ unterschiedlich.

Husemann: Ja, das ist ein Unding, dass es im Krankenhaus so gut wie keine Vorgaben gibt zum Beispiel zur Medikation. Das führt dazu, dass teilweise völlig andere Medikamente im Krankenhaus verschrieben werden. Klingt das nach einem Plädoyer dieses Zwei-Säulen-Modell abzuschaffen?

Fleischhauer: Verbessert es denn die Versorgung der Patienten, wenn es keine zwei Säulen gibt, sondern nur noch ein Primärarztsystem und die Krankenhäuser? Ich bin ganz froh, dass es radiologische Praxen gibt, in denen ich einen Patienten mit Tumorverdacht relativ schnell unterkriege und ihn nicht erst in die Notaufnahme einliefern lassen muss.

Husemann: Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit Telemedizin viel einfacher als jetzt Konsile durchführen könnten. Das würde auch dann funktionieren, wenn es nicht mehr so viele ambulant niedergelassene Spezialisten gäbe.

Wir nähern uns den Utopien. Was hieltet ihr davon, wenn die ärztliche Gesamtvergütung einfach an die Ärzte ausgeschüttet wird – quasi als Jahres-Praxis-Pauschale? Ihr müsstet nicht mehr einzeln abrechnen, nur noch nachweisen, wer eure Patienten sind, und natürlich eine saubere ärztliche Dokumentation führen.

Schumacher: Ich hätte wahrscheinlich viel kürzere Arbeitszeiten.

Bernau: Das läuft auf einen Nine-to-Five-Job hinaus, und dann bin ich angestellter Arzt. Das funktioniert gerade auf dem Land nicht: Dort muss ich auch nachts um drei Uhr erreichbar sein. Ich finde eher den HZV-Gedanken mit den Pauschalen toll. Es würde mich total glücklich machen, wenn ich damit noch etwas freier sein könnte, nämlich zu sagen, das mache ich und das nicht, aber wenn du mich brauchst, Patient, bin ich mit meinem ganzen Know-how für dich da. Das würde mich fast befreien, aber das paradiesische System wird es so auch nicht geben.

Husemann: Ich finde unser HZV-System schon relativ perfekt. In letzter Zeit gibt es wieder etwas mehr Einzelleistungen. Das verwässert den Grundgedanken etwas. Da könnten wir gegensteuern.

Bleiben wir noch ein bisschen in der Utopie: Wird es mit ausschließlich angestellten Ärzten wirklich nicht funktionieren können?

Fleischhauer: Meine Mutter war ja vorher Praxisinhaberin. Jetzt ist sie bei mir angestellt und ist froh, sich nicht mehr kümmern zu müssen, ob die Abrechnung stimmt. Das macht ihr wirklich Spaß. Sie kann sich jetzt um die Patienten kümmern und ihre Medizin machen. Das gibt ihr sehr viel.

Schumacher: Gleichzeitig gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass Selbstständige mehr Patienten versorgen. Und auch als angestellter Hausarzt kann ich wahrscheinlich nicht nur unwirtschaftliche Leistungen erbringen, weil es ein Verlustgeschäft ist. Das wird mir kein Arbeitgeber gestatten. Als eigener Chef kann ich aber sagen: Das ist mir egal, das macht mir Spaß. Ich habe zwar den Ärger, aber ich kann es selbst entscheiden. Ich sag in meinen Seminaren immer: Ich muss dreimal ums Lagerfeuer laufen, um den EBM zu erfüllen. Und je schneller ich ums Lagerfeuer laufe, desto mehr Zeit habe ich für das eigentlich Sinnvolle am Patienten – auch wenn ich keine Lust habe auf die zum großen Teil unnötige Dokumentation.

Ganz ohne Dokumentation geht es nicht, wenn wir die Qualität messen wollen.

Bernau: Das ist eine andere Motivation. Wenn ich ein Dokumentationstool bekäme, mit dem ich Qualität ableiten kann, würde ich sagen: Wow, mache ich! Natürlich ist Dokumentation eine ärztliche Aufgabe. Nur heute schreiben wir sinnlose Dinge nur dafür auf, falls wir geprüft werden.

Schumacher: Ich dokumentiere sehr viel, aber ich würde gerne mehr das Sinnvolle dokumentieren: warum ein Medikament gewechselt wurde, oder was nicht vertragen wird, damit der nächste Kollege nicht wieder auf das gleiche Medikament wechselt. Wichtige Inhalte zum Patienten also, aber nicht Abrechnungskodieren.

Bernau: Das ist das Nächste, was man abschaffen könnte: die Kodierung der Diagnose. Unsere hausärztliche Arbeit ist völlig anders, ich habe nur Symptome, das Wenigste kann ich sofort beweisen. Aber ich bin bei gewissen Ziffern gezwungen, Diagnosen aufzuschreiben, um mein Gehalt zu rechtfertigen. Ich muss mich auf eine Weise rechtfertigen, die gar nicht meinem Beruf entspricht.

Noch einmal zu den Patienten: Wie können wir mit den teils hohen Ansprüchen (Asthmaspray zur Unzeit) umgehen?

Bernau: Wenn sie wüssten, dass ihre Inanspruchnahme Geld kostet, wären wir schon weiter. Der GKV-Patient macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, was er an Ressourcen verbrät.

Husemann: Manches ist auch hausgemacht, wie die Terminservicestellen. Die vermitteln das Gefühl, dass es ein Recht auf einen schnellen Termin gibt, selbst wenn er medizinisch nicht notwendig ist. Im Grunde würde ein Primärarztsystem ganz viel lösen: Studien zeigen, dass 80 Prozent aller Fälle in der Hausarztpraxis gelöst werden können. Auch das Wiedereinbestellen oder die Chronikerziffer sind hausgemacht. Warum gibt es nicht eine Jahresabrechnung? Es sind auch die Regeln, die die Patienten in unsere Praxen treiben.

Fleischhauer: Die Chronikerziffer ist für mich der bürokratische Schwachsinn hoch zehn. Macht denn die Häufigkeit der Besuche aus, dass der Patient chronisch krank ist? Natürlich nicht.

Die Drehschrauben sind Vergütung und Abrechnung. Manche Idee rüttelt ja an den Grundfesten des hiesigen Systems. Die Zweigliedrigkeit aus EBM und GOÄ ist so eine. Macht diese Trennung denn Sinn?

Bernau: Die separate GOÄ müsste weg. Warum nicht eine Gebührenordnung für alle Versicherten?! Es geht ja nicht darum, die PKV abzuschaffen.

Husemann: Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diese Trennung aufrechterhalten werden muss. Zumindest im hausärztlichen Bereich sind wir auf Privatpatienten nicht groß angewiesen, vor allem seit der HZV. Grundsätzlich stört mich, dass man sich vom Solidarprinzip freikaufen kann. Das generiert bei Privatversicherten den Anspruch, irgendwie anders behandelt zu werden.

Ende September klingelt euer Telefon. Am anderen Ende ist Angela Merkel oder Martin Schulz mit der Frage: „Willst du Gesundheitsminister werden?“ Was wären eure ersten Reformen?

Fleischhauer: Bessere Arbeitsbedingungen und Bürokratieabbau, damit unser ambulantes ärztliches System Ärzte und Patienten zufriedenstellt. Ärzte sollten wieder mehr die Tätigkeiten machen können, die der Patientenversorgung etwas bringen. Damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, würde ich der sinnlosen Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen einen Riegel vorschieben. In Thüringen machen wir bei der Bereitschaftsnummer 116117 eine Telefontriage. Seitdem wir das tun, haben wir deutlich weniger Patienten im Bereitschaftsdienst.

Schumacher: Nachdem Christian die Bürokratie abgebaut hat, würde ich an der Kostenschraube drehen – bei unsinnigen Ausgaben. Es geht darum, für neue Therapien Vergleichsstudien zu erzwingen. Zum Beispiel NOAK: Es wäre ja interessant, diese Substanzen und Vitamin- K-Antagonisten untereinander zu vergleichen. Wir sollten diese Studien durchsetzen und staatlich finanzieren. Das würde sich rechnen, weil wir wüssten, was wirklich sinnvoll ist. Und ich würde mir die Fortbildungen vornehmen: Viele Kollegen gehen auf gesponserte Fortbildungen, die sie nicht bezahlen müssen. Da ist das Risiko für Beeinflussung sehr viel größer. Ich würde die Fortbildungen durch das Gesundheitssystem finanzieren lassen. Über die Dauer wird sich die Qualität der Versorgung erhöhen, und die Kollegen würden seltener unnötige und teure Therapien verordnen.

Bernau: Die HZV würde ich weiter ausrollen. Wir wissen aus Baden-Württemberg, wie viel wir damit einsparen können. Das Geld stecken wir in die Qualifizierung unserer Assistenzberufe und bauen die Delegation aus. Die Ärzte erhalten dadurch mehr Zeit für sinnvolle Patientenversorgung und für die Weiterbildung junger Kollegen. In die Nachwuchsförderung müssen wir viel mehr Geld stecken. Wenn wir unsere Assistenzberufe stärken und mehr delegieren können, haben wir mehr Ressourcen frei und der Ärztemangel wird uns nicht ganz so hart treffen.

Husemann: Ein Primärarztsystem mit Jahrespauschalen und einer Gebührenordnung für alle. Unsinnigen Vorsorgen würde ich das Geld streichen und es in Gesundheitstrainings an Kindergärten und Schulen stecken, damit die Jugendlichen lernen, dass nicht jeder quersitzende Pups gleich ein Darmkrebs ist. Und ich wäre eine Verfechterin von gleichen Regeln für Krankenhäuser und ambulante Versorgung.

Interessenkonflikte: Alle ärztlichen Teilnehmer des Runden Tischs sind Hausärzte mit Leib und Seele und berufspolitisch für die Allgemeinmedizin engagiert. Die beiden moderierenden Journalisten treten als Mitarbeiter für „Der Hausarzt“ ebenfalls für das Fach ein.

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