Fast auf den Tag genau zwei Monate nach Ende ihrer Weiterbildungszeit hat Dr. Andrea Stolz-Lindemann ihre Tochter auf die Welt gebracht. Mitten im letzten Jahr ihrer Assistenzzeit wurde die 36-Jährige schwanger. Ein Problem? Überhaupt nicht, sagen die Aschaffenburgerin und ihr Arbeitgeber, der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Bernhard Link aus Mömbris in Unterfranken.
Die werdende Mutter arbeitete, das war ihr Wunsch, mit kleinen Einschränkungen weiter voll in den Sprechstunden mit und fuhr auch zu Hausbesuchen; nur für Mutter und Kind potenziell gefährdende Behandlungen übernahm grundsätzlich Link. Er rät zur Gelassenheit im Umgang mit angestellten schwangeren Ärztinnen. Denn das Beispiel von Stolz-Lindemann zeigt: Schwangere Ärztinnen in Weiterbildung sind gut einsetzbar, motiviert und langfristig an einer hausärztlichen Tätigkeit interessiert. Gleichwohl gelten wegen der Schwangerschaft Vorgaben.
Werdende Mütter dürfen wegen der Infektionsgefahr unter anderem nicht mit spitzen Gegenständen, Ausscheidungen und Wunden in Kontakt kommen. Maßgeblich für Umfang und Ausgestaltung ihrer Arbeit ist das Gesetz zum Schutze der werdenden Mutter. Es sieht unter anderem vor, dass Schwangere nicht nachts, an Sonn- und Feiertagen und nicht im Labor arbeiten dürfen, nicht mehr als 8,5 Arbeitsstunden am Tag oder 90 Stunden innerhalb zweier aufeinanderfolgender Wochen. Auch dürfen sie zum Beispiel keine schweren Lasten tragen. Operative und invasive Tätigkeiten sind verboten, was in der Hausarztpraxis unter anderem Wundversorgung und Blutabnahmen betrifft, sofern dafür nicht die Medizinischen Fachangestellten zuständig sind.
Hochschwanger zur Reanimation
Den zur Facharztreife erforderlichen Katalog an operativen und invasiven Tätigkeiten schon während der Klinikzeit zu erfüllen, dürfte manche Ärztin in Weiterbildung anstreben. Andrea Stolz-Lindemann fehlten lediglich einige Ultraschall-Untersuchungen, die sie auch während ihrer Schwangerschaft in der Hausarztpraxis schaffte. „Es kommt sicherlich auch auf die persönliche Einstellung an“, sagt die 36-Jährige, die mittlerweile ihre Facharztprüfung zur Allgemeinärztin bestanden hat. „Wir wurden einmal zu einer Reanimation gerufen, als ich schon hochschwanger war. Da habe ich natürlich mitgeholfen. Alles andere hätte ich als unterlassene Hilfeleistung gesehen.“
Sie kennt sowohl Kolleginnen, die vom behandelnden Frauenarzt ein sofortiges Beschäftigungsverbot ausgestellt bekamen, als auch Ärztinnen, die wie sie selbst bis zum Mutterschutz voll mitgearbeitet haben. „Ich hatte das Ende meiner Weiterbildungszeit dicht vor Augen und deshalb ein großes Interesse daran diese zu beenden“, sagt sie rückblickend. Nach dem ersten Geburtstag ihrer
Verzicht auf Mutterschutz
Maria Fischer vereinbarte sogar mit ihrem Arbeitgeber, auf den Mutterschutz zu verzichten. Denn ihre fünf Jahre Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin endeten zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, „und ich wollte nicht nach der Elternzeit wenige Wochen arbeiten müssen, um die fünf Jahre voll zu bekommen.“ Stimmen Schwangere und Arbeitgeber zu, ist das möglich. Maria Fischer und ihr Arbeitgeber verständigten sich darauf, dass sie am Ende ihrer Vertragslaufzeit Überstunden abbaute und Resturlaub nahm, so dass sie die Wochen vor der Geburt de facto nicht mehr arbeitete.
Ihr Arbeitgeber habe etwas reserviert auf die Mitteilung der Schwangerschaft reagiert, erinnert sich Fischer. „Aber ein paar Tage später stand er mit einem Blumenstrauß vor mir.“ Auch die 35-Jährige will nach der Elternzeit und der Facharztprüfung rasch wieder in den Beruf einsteigen. Sie hatte zunächst die Fachärztin für Innere Medizin angestrebt, dann aber unter anderem wegen der besseren Vereinbarkeit mit dem Familienleben in der Weiterbildungszeit zur Allgemeinmedizin gewechselt.
Deshalb hat auch Dr. Uta Wiechmann aus Erfurt die Weiterbildung begonnen. Ursprünglich wollte sich die 38-Jährige auf Viszeralchirurgie spezialisieren. Während des Studiums kam ihr Sohn auf die Welt, zwei weitere Kinder während der Weiterbildungszeit in der Chirurgie. Sie habe damals nicht operieren dürfen, sei aber zum Dienst in der Ambulanz eingeteilt gewesen, wo die Einhaltung der Schutzmaßnahmen für werdende Mütter quasi kaum möglich gewesen sei.
Nicht schon früher in die Allgemeinmedizin gewechselt zu sein, bereut Uta Wiechmann nicht. „Unabhängig von der Fachrichtung ist das Arzt-Patienten-Verhältnis entscheidend. In dieser Beziehung habe ich mich in den fünf Jahren Chirurgie weiterentwickelt. Ich habe viele Kontakte geknüpft und mit chirurgischen Fragestellungen der Allgemeinmedizin keinerlei Berührungsängste.“
So steht es im Gesetz
Die Ausgestaltung der Arbeit während Schwangerschaft und Stillzeit regelt das Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter, präzisiert durch die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz. Letztere setzt die Richtlinie zum Mutterschutz der Europäischen Union in nationales Recht um. Die Überwachung der Einhaltung obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden.
Demnach dürfen werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind durch die Tätigkeit gefährdet sind. In den sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin dürfen sie nur beschäftigt werden, wenn sie sich ausdrücklich und jederzeit widerruflich dazu bereit erklären. Ein absolutes Beschäftigungsverbot gilt acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach Geburt. Während eines Beschäftigungsverbots muss das Entgelt weiter gezahlt werden. Im Mutterschutz übernehmen die Krankenkassen das Mutterschaftsgeld. Für Untersuchungen sind Schwangere während der Arbeitszeit freizustellen.
Kündigungen während der Schwangerschaft und vier Monate nach Geburt sind unzulässig. Dies gilt auch, wenn die Schwangerschaft erst innerhalb von zwei Wochen nach der Kündigung bekannt gegeben wird. Zum Stillen sind der Mutter während der Arbeitszeit Zeiten einzuräumen.
Leitfaden zum Mutterschutz des BMFSFJ: http://bit.ly/SH1YGz
Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz: http://bit.ly/1Nk5JqC
Zu beachtende Verbote im Tätigkeitsbereich
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Invasive Tätigkeiten wegen der Verletzungsgefahr durch den Umgang mit schneidenden und stechenden Instrumenten (zum Beispiel Operieren, Blut abnehmen)
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Umgang mit giftigen, gesundheitsschädlichen und potenziell Krankheitserreger übertragenden Stoffen (betrifft Wundversorgung, Kontakt mit Ausscheidungen und Patienten mit Infektionskrankheiten)
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Heben und Tragen von Lasten, Belastung durch physikalische Einflüsse
Wichtig zu wissen für Schwangere
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Der Arbeitgeber sollte früh über die Schwangerschaft informiert werden. Denn erst dann greifen die gesetzlichen Schutzregelungen.
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Medizinische Fachangestellte bitten, Patienten mit offenen Wunden und Infektionskrankheiten zur Behandlung an Kollegen zu verweisen.
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Titer überprüfen
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Zu Beginn des Mutterschutzes muss die Krankenkasse die Bescheinigung des Gynäkologen über den voraussichtlichen Geburtstermin erhalten, damit das Mutterschaftsgeld ausgezahlt wird. Nach der Geburt müssen Mütter ein Formblatt der Kasse zum Mutterschaftsgeld ausfüllen und die Bescheinigung des Standesamtes zur Mutterschaftshilfe einreichen.
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Bis sieben Wochen nach der Geburt muss der Arbeitgeber über den Zeitpunkt des Wiedereinstiegs informiert werden.
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Das Bundesfamilienministerium informiert mit Broschüren über Elterngeld und Teilzeitarbeit
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Für die Einhaltung der Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz ist jede werdende Mutter selbst verantwortlich. Nur wenn trotz eingehaltener Schutzmaßnahmen ein Schaden entsteht, haftet der Arbeitgeber.
Wichtig zu wissen für Arbeitgeber
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Die Schwangere ist über das Mutterschutzgesetz zu informieren und die Schwangerschaft sowie den voraussichtlichen Beginn des Mutterschutzes an Förderstelle der KV, Lohnbüro und Krankenkasse zu melden.
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Ein Arbeitsplatz ohne Gefährdungspotenzial muss bereitgestellt und entsprechende Schutzmaßnahmen eingerichtet werden.
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Während der Mutterschutzfrist vor und nach der Geburt zahlt die Krankenkasse pro Kalendertag maximal 13 Euro. Die Differenz zum durchschnittlichen Nettolohn (Basis: zurückliegende drei Monate) legt der Arbeitgeber aus und bekommt sie von der Krankenkasse erstattet. Privat versicherte Schwangere erhalten eine Einmalzahlung des Bundesversicherungsamtes.
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Während einer Unterbrechung der Weiterbildungszeit ruht die Bezuschussung der KV. Bis sieben Wochen nach der Geburt muss die Mutter den Zeitpunkt der Rückkehr ins Arbeitsverhältnis melden. Auch für die Wiederaufnahme der KV-Förderung ist eine entsprechende Vorlaufzeit nötig (etwa drei Monate).
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Arbeitgeber und Ärztin in Weiterbildung müssen zur Wiederaufnahme der Tätigkeit einen Anschlussvertrag schließen.