Der Arzt in Weiterbildung ist mit das greifbarste Beispiel. In der Arztstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist er als Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung nicht mitgezählt. Immerhin sind Ärzte in Weiterbildung keine fertig ausgebildeten Allgemeinmediziner und können somit auch nicht als eigenständig agierende Hausärzte gezählt werden.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht das anders. In ihren Auswertungen für Deutschland, etwa in der Analyse "State of the Health in the EU Analyse "State of the Health in the EU" [1], werden auch Ärzte in Weiterbildung als "general medical practicioner" gelistet. Auch zahlreiche andere Berufsgruppen werden inkludiert: vom "general practicioner", also dem Hausarzt, bis hin zum "medical officer", dem Amtsarzt. Unter Berücksichtigung all dieser Berufe berechnet die OECD 1,7 "general medical practicioners" für Deutschland.
Fehlinterpretiert als Hausärzte
Rein rechnerisch mag das zunächst nicht falsch sein – jedoch wird die Zahl schnell falsch interpretiert: dann nämlich, wenn die "general medical practicioners" mit Hausärzten gleichgesetzt werden (kurz berichtet in Hausarzt 3). Nicht zuletzt das Bundesgesundheitsministerium hat die Zahl in diesem Zusammenhang in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion völlig unkritisch übernommen [2]: Als "Dichte der Allgemeinärzte je 1.000 Einwohner" ist die 1,7 hier sogar zu finden.
In der sich anschließenden Berichterstattung wurde die OECD-Zahl dann immer wieder "Hausarztdichte" genannt. Dabei zeigt sich bei einem Blick auf die Statistik der KBV schnell, dass 1,7 Ärzte auf 1.000 Einwohner in dieser Interpretation nicht stimmen können: Demnach waren Ende 2016 rund 54.600 Hausärzte in der vertragsärztlichen Versorgung tätig [3]. Das ergibt gerade einmal 0,66 Hausärzte pro 1.000 Einwohner. Auch das "Gegenrechnen" zeigt: Die OECD-Zahl ergäbe – basierend auf einer Bevölkerung von 82,6 Millionen – rund 140.500 "general medical practicioners" in Deutschland.
Mit der tatsächlichen Zahl der Hausärzte und damit der Versorgungsrealität, in der zunehmend auch in Ballungsregionen Nachwuchs fehlt, hat die von der OECD errechnete 1,7 also nichts zu tun.
Auch in anderen europäischen Ländern dürfte eine solche Verzerrung aufgrund der verschiedenen Datenlagen herrschen. Ob es zur Definition der "general medical practicioners" auch aus anderen Ländern Kritik gibt, konnte die OECD auf Anfrage von "Der Hausarzt" bis Redaktionsschluss nicht sagen.
"Probleme nicht relativieren!"
In der Diskussion stehen sich nun die Zahlen 1,7 und 0,66 gegenüber. Rein rechnerisch sind beide nachvollziehbar – doch die Kategorie "general medical practicioner" mit allen inkludierten Berufsgruppen ist hierzulande schlichtweg nicht relevant. So können Statistiken – je nach gewählten Kenngrößen – leicht in die Irre führen.
Werden entscheidende Kenngrößen also falsch gewählt, sei es fahrlässig oder zur politischen Willensbildung, birgt das Zündstoff."Die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung gehört zu den drängendsten Herausforderungen", betonte Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt. "Diese werden nicht kleiner, wenn man sich die tatsächliche Situation schönredet und Probleme relativiert."
Auch die DEGAM hatte vor der Fehlinterpretation gewarnt. "Falsche Daten der OECD", hieß es dabei gar scharf, "verschleiern den Hausarztmangel".
Quellen: