Vieles ist mit einem Blick auf die neue Legislaturperiode noch unklar – doch ein Kernthema der kommenden Jahre steht bereits fest: die Pflege. Das geht nicht nur aus dem Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD hervor. „Wir wollen die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar verbessern“, heißt es dort, und dem Thema Pflege wird in dem insgesamt 28 Seiten zählenden Papier gar mehr Platz eingeräumt als allen anderen gesundheitspolitischen Themen zusammen (https://hausarzt.link/nTgHE). In aktuellen Debatten im Bundestag – im Januar etwa nach Anträgen der Grünen-Fraktion zur Stärkung der Pflegekräfte – wird außerdem deutlich: Zwischen allen Fraktionen herrscht Konsens, dass die Pflege Schwerpunkt der neuen Legislatur werden muss.
Grade bringen Fragen mit sich
Auch mit Blick auf die ambulante Versorgung ist das ein wichtiges Bekenntnis. Denn durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist, und die damit verbundene Einstufung in Pflegegrade erhalten deutlich mehr Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. „Mit der neuen Begutachtung konnten im Vergleich zu 2016 rund 304.000 Versicherte neu anerkannt werden“, bilanzierte Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS, jüngst für 2017. Insgesamt haben die Gutachter im vergangenen Jahr über 1,6 Millionen Versicherte nach dem neuen Verfahren begutachtet, bei fast 1,4 Millionen empfahlen sie einen der fünf Pflegegrade. „Mehr Menschen haben nun früher und insgesamt einen besseren Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung“, lobt Pick.
In der Praxis knüpfen sich daran häufig Fragen an. So sei etwa zu bedenken, ab welchem Grad ein Krankentransport im ambulanten Bereich zu Lasten der Kasse möglich ist, wenn keine entsprechende Schwerbehinderung vorliegt, erinnert Anke Richter, niedergelassene Hausärztin im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen und Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. „Zum Schutz des Patienten sollte das vor dem Einsatz, gerade bei Pflegegrad 3, durch den Patienten bei der Kasse genehmigt werden“, rät sie.
Angebote kommen nicht bei Angehörigen an
In jedem Fall nimmt der Beratungsbedarf in der Praxis zu – auch bei pflegenden Angehörigen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP), die der Gesundheitsberatung pflegender Angehöriger erhebliche Defizite attestiert. Demnach haben zwar fast drei Viertel (72 Prozent) großes Interesse an Informationen zur Prävention von Gesundheitsproblemen. Sowohl bei sich selbst als auch bei den gepflegten Angehörigen wird Prävention jedoch nicht aktiv gelebt – meist aus Zeitmangel.
Weniger als die Hälfte (46 Prozent) der Befragten mit Pflegeerfahrung war nach eigener Aussage von einem Pflegeberater oder Pflegedienst darüber informiert worden, wie man gesundheitlichen Problemen des Pflegebedürftigen vorbeugen kann. Von diesen 46 Prozent setzte knapp ein Drittel (32 Prozent) die empfohlenen Maßnahmen nur teilweise oder gar nicht um – aus Zeitmangel (22 Prozent) oder Unsicherheit (18 Prozent).
Für seine Studie hatte das ZQP 1.000 Menschen zwischen 50 und 69 Jahren befragt. Die Altersgruppe ist bei den pflegenden Angehörigen am stärksten vertreten. Auch hier ist die Hausarztpraxis zunehmend gefragt: Aus Sicht des Deutschen Hausärzteverbandes bietet vor allem der Einsatz von Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) Chancen zur Entlastung. Sie besuchen die Patienten in ihrem häuslichen Umfeld und können gezielt unterstützen – auch bei Fragen der Angehörigen.
Besonders gefragt ist diese Beratung bei Praxen in unmittelbarer Nähe eines Pflegeheims.
7.800 Verträge mit Pflegeheimen
Dies wird umso bedeutungsvoller, da Ärzte über Kooperationsverträge mit den Heimen zentrale Ansprechpartner für die ambulante Versorgung der Bewohner werden können. Ende März 2017 gab es bundesweit rund 7.800 dieser Kooperationsverträge, erklärt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) aktuell auf Anfrage von „Der Hausarzt“.
Eine solche Kooperation kann die Kapazität einer Praxis schnell auslasten, was in der Bedarfsplanung keine Berücksichtigung findet. Neben solchen möglichen Nachteilen bringt die Zusammenarbeit aber auch Vorteile mit sich: So sei der Arzt zeitlich flexibler, er sehe mit einem Besuch mehrere Patienten und habe immer einen Ansprechpartner im Heim, betont Richter. „Auskunft über den Patienten zu erhalten, kann sich im Hausbesuch im Eigenheim auch mühsam gestalten“, weiß sie. Für sich persönlich empfinde sie die Verträge jedoch als „sehr verpflichtend“.
Dabei hängt die persönliche Wahrnehmung der Kooperationsverträge teils auch stark mit der regionalen Ausgestaltung vor Ort zusammen. Um etwa die bürokratischen Hürden für teilnehmende Ärzte möglichst gering zu halten, bietet der Hausärzteverband Niedersachsen Musterverträge an. Diese können auch helfen, potenzielle Schwierigkeiten zwischen Arzt und Pflegeheim zu vermeiden. „Ein Pflegeheimvertrag kann die Kommunikation verbessern, da er eine gewisse Verbindlichkeit zum Beispiel durch eine regelmäßige 14-tägige Visite auf beiden Seiten fördert“, erklärt Dr. Matthias Berndt, Vorsitzender des Landesverbands.
Auch ein gemeinsames Erstgespräch erleichtere zukünftige Absprachen, rät Berndt. Seit Juli 2016 können Ärzte bei den Verträgen erweiterte Leistungen abrechnen – eine Vorgabe des Hospiz- und Palliativgesetzes. Die Vergütung soll den erhöhten Aufwand widerspiegeln: etwa für die Koordination von diagnostischen, therapeutischen und rehabilitativen Schritten sowie die Kooperation mit Ärzten und Pflegefachkräften.
Die Kooperationsverträge könnten so helfen, die Vernetzung zwischen den Akteuren anzukurbeln – auch das ist explizit Ziel der nächsten Legislaturperiode.
Musterverträge für Ihre Praxis Der Hausärzteverband Niedersachsen stellt online Musterverträge zur Pflegeheimversorgung zur Verfügung: https://hausarzt.link/ayWqV