RenditegefahrenMVZ – Spielball der Spekulanten

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind für Ärzte wichtige potenzielle Arbeitgeber. Immer öfter gelangen MVZ jedoch in die Hand nichtärztlicher, gewinnorientierter Kapitalgesellschaften. Die Recherche von "Der Hausarzt" zeigt eine intransparente Marktsituation aufgrund verschachtelter Strukturen.

Konzerne übernehmen immer häufiger Praxen.

Noch ist das Problem nicht in allen KV-Regionen gleichermaßen angekommen – doch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) beobachten es flächendeckend “mit Sorge”: Immer öfter werden Medizinische Versorgungszentren (MVZ) von Investoren gegründet, die keinen fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung haben – sondern allein Kapitalinteressen verfolgen. Bei einer Umfrage von “Der Hausarzt” unter den 17 KVen, auf die sich bis Redaktionsschluss 14 zurückmeldeten, äußerten acht konkrete Befürchtungen hinsichtlich dieser Entwicklung. Allein Brandenburg und Thüringen gaben an, dass es noch keine gezielten Aufkäufe durch Kapitalanlagegesellschaften gegeben habe. Auch in Schleswig-Holstein sei dies “zum Glück” noch nicht der Fall, so KV-Sprecher Marco Dethlefsen.

Auch bei regionalen Hausärztetagen lenkten Hausärzte in jüngster Vergangenheit immer wieder den Blick auf das entstehende Problem. Der Deutsche Hausärzteverband beobachtet das Thema auf Bundesebene aufmerksam. Aus seiner Sicht sollte nicht nur die Leitung, sondern auch die Trägerschaft von MVZ idealerweise in ärztlicher Hand liegen. Denn nur so sei von vornherein gewährleistet, dass die Patientenversorgung Vorrang vor ökonomischen Interessen hat.

“Heuschrecken” greifen um sich

Dabei ist das wahrgenommene Problem auf den ersten Blick nur schwer zu greifen. Denn: 1.799 der 2.821 MVZ in Deutschland (2017) waren laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) als GmbH organisiert [1]. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die zu den Kapitalgesellschaften gehört, ist bei MVZ-Gründern – ganz gleich ob auf Vertragsarzt- oder Klinikseite – also eine beliebte Rechtsform. Auch, weil die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) – 632 MVZ waren 2017 so geführt – nicht für alle Gründer infrage kommt.

Dabei ist GmbH nicht gleich GmbH. Denn die Rechtsform allein trifft noch keine Aussage über die Gewinnorientierung des Trägers. Besonders deutlich wird dies bei sogenannten Private-Equity-Investoren. Private Equities, übersetzt mit “privates Eigenkapital”, sind eine Art Kapitalsammelstelle, die mit dem von Anlegern eingebrachten Geld Unternehmen kaufen, um diese möglichst gewinnbringend schnell wieder zu verkaufen.

Der Gesundheitsmarkt scheint für solche Private Equities besonders lukrativ, zeigt eine Analyse der Gewerkschaft Verdi [2]. Gesundheitseinrichtungen – neben MVZ auch Pflegeeinrichtungen, Homecare-Unternehmen oder Kliniken – werden demnach gezielt von diesen “Heuschrecken” aufgekauft. Allein 2017 wurden 43 Käufe getätigt (s. Tab.). Zur Einordnung: Insgesamt zählte Ernst & Young in dem Jahr 210 Käufe durch Private-Equity-Unternehmen in Deutschland.

Damit waren 2017 laut Verdi 300 der 2.800 MVZ in Private-Equity-Hand. Doch handele es sich ausdrücklich nur um eine “Momentaufnahme, denn viele der Investoren stehen erst am Anfang ihrer Akquisitionsphase”. Für den zahnärztlichen Bereich beziffert die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) 60 MVZ, die mittelbar oder unmittelbar Finanzinvestoren zuzurechnen sind, “Tendenz steigend”.

Doch: “Unter einem nichtärztlichen Management besteht die Gefahr, dass Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie nicht mehr allein nach medizinischen Gesichtspunkten getroffen werden dürfen und beispielsweise nur noch bestimmte Therapieformen verordnet und besonders günstige Medikamente verschrieben werden können”, bringt es Birgit Grain, Sprecherin der KV Bayerns, auf den Punkt.

“Medizinische Entscheidungen dürfen keinesfalls durch renditegetriebene Kapitalinteressen von Finanzinvestoren eingeschränkt werden”, betont gleichermaßen der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt. “Die Therapiefreiheit ist ein hohes Gut, das es unbedingt zu schützen gilt.”

Vor allem vor dem Hintergrund der Nachwuchsgewinnung wird die Bedeutung des Problems sichtbar: Gerade für junge Ärzte, die sich oft zunächst für eine Anstellung entscheiden, sind MVZ wichtige Arbeitgeber. 2018 waren laut KBV 18.000 Ärzte in einem MVZ tätig, davon rund 16.500 als Angestellte. 2006 waren es noch 2.000 (s. Abb. S. 22).

“Grundsätzlich ist es für die Qualität der Behandlung unerheblich, ob Hausärzte ihren Beruf als Selbstständige in einer eigenen Praxis ausüben oder gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in einem MVZ”, meint Hausärzte-Chef Weigeldt. Das A und O in beiden Settings sei jedoch, dass Ärzte ihre Tätigkeit frei ausüben können. “Unabhängig von der Art und Weise, wie eine Arztpraxis organisiert ist, muss die Versorgung der Patienten immer im Mittelpunkt stehen.”

Gesetz öffnete neues Schlupfloch

Doch wo liegt der Knackpunkt, wenn das Problem sowohl von Ärzten als auch von Selbstverwaltung und Politik so aufmerksam beobachtet wird? Immerhin hat die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung bereits 2011 gemerkt, dass die sieben Jahre zuvor eingeführte Form der MVZ den unerwünschten Nebeneffekt der Konzernbildung mit sich gebracht hat. Diese Gefahr wollte der Gesetzgeber mit dem 2012 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstrukturgesetz eindämmen, indem Investoren, die allein Kapitalinteressen verfolgen, von der MVZ-Gründung ausgeschlossen werden sollten: “Die Zulassungsregelungen (…) werden modifiziert mit dem Ziel, die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen zu sichern. Hierzu gehört insbesondere die Beschränkung der MVZ-Gründungsberechtigung auf Vertragsärzte und Krankenhäuser mit Ausnahmeregelung aus Versorgungsgründen für gemeinnützige Trägerorganisationen”, heißt es im Gesetz.

Doch genau hier öffnet sich das heute gravierendste Schlupfloch, erklärt Verdi: “Damit blieb die naheliegendste Möglichkeit, die es allen Interessierten, also auch Private-Equity-Fonds, weiter erlaubte, MVZ zu gründen: ,Dann kauf’ ich mir ein Krankenhaus‘.” Seitdem seien 18 Krankenhausübernahmen mit dem Ziel, in Besitz einer MVZ-Trägergesellschaft zu gelangen, bekannt geworden. Davon gingen elf Häuser an Private-Equity-Investoren.

Verschachtelte Trägerstrukturen

Es ist ein Problem, das auch der hessische KV-Sprecher Karl Roth beobachtet: “Die gründungsfähigen Gesellschaften – Krankenhausträger oder Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen – bilden vor Gründung eines MVZ immer eine neue Trägergesellschaft.” Der KV müsse lediglich der Handelsregisterauszug dieser Trägergesellschaft vorgelegt werden. Eine Verpflichtung zur Vorlage weiterer Informationen, insbesondere der Gesellschafterliste der Gründergesellschaft, gebe es nicht. Die Folge: Den KVen fehlen genaue Informationen zu den Trägern, wie Sprecher aus anderen Regionen bestätigen.

Kliniken binden MVZ an sich

Vor allem Krankenhäuser nutzten die Kapitalgesellschaft als Rechtsform, um ein MVZ als Tochter-GmbH anzubinden, erklärt die KV Sachsen-Anhalt. Die Zahlen verdeutlichen das: Zum 1. Juli 2019 gab es im Land 75 MVZ. 69 wurden als GmbH (52) oder gGmbH (17) betrieben. Allein 47 seien von Krankenhäusern gegründet worden, teilt KV-Sprecherin Janine Krausnick mit.

Gleichwohl: Der Großteil der MVZ liegt weiter in der Hand von Vertragsärzten – laut KBV bundesweit und über alle Rechtsformen hinweg 45 Prozent.

Mit einem Blick in die Zukunft gewinnen die Verschiebungen auf dem Markt jedoch sowohl für angehende, zunächst eine Anstellung anstrebende Ärzte als auch für Praxisabgeber an Bedeutung. In der Umfrage von “Der Hausarzt” warnten fünf KVen gezielt vor einer Konzentration auch der ambulanten Versorgungsstrukturen. Allein in Mecklenburg-Vorpommern wurden laut KV von 2012 bis 2016 rund 180 Arztsitze in Anstellungen überwiegend in MVZ umgewandelt. Auch in Bayern beobachte man den geplanten Aufkauf von Vertragsarztsitzen. “Einige MVZ werden so groß, dass sie ausschließlich von Konzernen oder branchenfremden Geldgebern übernommen werden können, da das Investitionsvolumen für einzelne Niedergelassene nicht mehr zu bewältigen ist.” Gleichzeitig ist das Abgeben des Sitzes an MVZ gerade für Praxisinhaber, die nur schwer eine Nachfolge finden, auf den ersten Blick häufig die einzige Lösung.

Thema bleibt auf der Agenda

Das im Mai in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hat sich dem Problem nur in Teilen angenommen. So dürfen Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen künftig nur fachbezogene MVZ gründen. Auch die Gründungsbefugnis für Zahn-MVZ durch Kliniken wurde eingeschränkt. Vielen KVen geht das jedoch nicht weit genug. Sechs KVen haben gegenüber “Der Hausarzt” deswegen angekündigt, für weitere Regulierungen eintreten zu wollen.

Quellen:

 

 

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