Die Implementierung von PraCMan entwickelte sich seit dem Start positiv mit kontinuierlich wachsenden Teilnehmerzahlen: Derzeit nehmen bereits 523 Ärzte teil. Beeindruckend stieg auch die Zahl der betreuten PraCMan-Patienten seit Beginn von 1.573 auf 9.620. "Das Konzept setzt sich in den Praxen immer mehr durch. Es hat sich gezeigt, dass eine Vorauswahl von Patienten, die von einem solchen Case-Management profitieren, sinnvoll ist", so Tanja Rommelfangen, Geschäftsführerin der HÄVG in Baden-Württemberg und verantwortlich für die PraCMan-Aus- und Weiterbildung der VERAH®.
Carmen Gaa, bei der AOK Baden-Württemberg verantwortlich für das PraCMan-Konzept, verweist auf die Notwendigkeit der Versorgung einer zunehmenden Zahl chronisch kranker Patienten bei gleichzeitig rückläufigen Hausarztzahlen. Daraus leiten sich die Hauptziele des Programms ab:
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Verbesserung der Lebensqualität und die Verhinderung von Krankenhauseinweisungen multimorbider Patienten.
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Weitere Professionalisierung des nicht-ärztlichen Personals durch Delegation ärztlicher Leistung an die VERAH® und die damit verbundene Arztentlastung.
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Intensivere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Fach- und Hausärzten.
"Wir sind froh, dass es in relativ kurzer Zeit gelungen ist, fast 10.000 Patienten in das Programm aufzunehmen. PraCMan ist ein lernendes System. Um die Versorgungsqualität multimorbider Patienten mit den Vertragspartnern weiter zu optimieren, wird PraCMan von der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg auch in Zukunft wissenschaftlich begleitet", betont Carmen Gaa.
PraCMan-Einsatz: VERAH® berichten
Seit Juli 2014 haben Hausärzte und VERAH® viele Erfahrungen mit PraCMan gesammelt – durchaus positive, wie sie berichten. Die AOK Baden-Württemberg schlägt den HZV-Ärzten zu Beginn des Quartals geeignete Patienten vor, die an bestimmten chronischen Krankheiten (Herzinsuffizienz, Diabetes Typ II, COPD) leiden und dadurch ein hohes Risiko für einen Klinikaufenthalt haben. Der Arzt entscheidet final, welche Patienten ins Konzept aufgenommen werden. Nicht alle Patienten eignen sich für das Programm. "Meistens handelt es sich um Menschen mit einer mittelgradigen Demenz", erklärt Judith Kastner, eine VERAH® mit PraCMan-Zusatzausbildung. Eine Zielvereinbarung zwischen Arzt und Patient, um weitere Komplikationen zu vermeiden, wäre aufgrund mangelnder aktiver Beteiligung durch den Patienten in diesen Fällen nicht möglich. Die PraCMan-Versorgung endet für Patienten, wenn sie ins Pflegeheim kommen oder im Verlauf dieser Betreuung an Demenz erkranken. In der täglichen Funktion als Case Managerin werden die verantwortlichen VERAH® durch datengestützte PraCMan-Feedbackberichte in den MFA-Qualitätszirkeln des Hausärzteverbandes in ihrer Tätigkeit unterstützt.
Judith Kastner moderiert auch einen MFA-Qualitätszirkel. Die Teilnahme ist bei PraCMan verpflichtend, die VERAH® schätzen aber auch den Gedankenaustausch. Kastner und viele ihrer Kolleginnen machen das Monitoring nicht nur in der Praxis, oft auch bei Hausbesuchen – eine der typischen VERAH®-Tätigkeiten bei chronisch kranken Patienten. Die meisten ihrer Telefonate mit PraCMan-Patienten sind inzwischen Routine. Andererseits erfährt sie von Patienten manchmal auch ungewöhnliche Informationen, die sonst nicht in der Praxis ankommen würden. Sie erinnert sich etwa an den Patienten mit der Angst zu erblinden. "Einen medizinischen Anlass für diese Sorge gab es nicht", berichtet sie. "Es war gut, dass ich das erfahren habe – die Angst konnten wir ihm nehmen".
Im Qualitätszirkel werden auch Fragen des Praxismanagements rund um PraCMan diskutiert. Hier gibt es in mancher Praxis noch Optimierungsbedarf. Beispielsweise hat nicht jede VERAH® die nötige Ruhe und Zeit zur optimalen Betreuung ihrer PraCMan-Patienten, weil während der Sprechzeiten kein Rückzugsort vorhanden ist. Auch Christina Jacobs aus Schwetzingen arbeitet als VERAH® und berichtet, dass die neuen Aufgaben des Case-Managements inzwischen alltäglich geworden sind – von besonders eindrücklichen Verläufen abgesehen. Sie berichtet von einem Patienten, der nach einem schweren Schlaganfall depressiv geworden war. Ihm tat die engmaschige Betreuung und eine Reha sehr gut. "Er läuft inzwischen besser und ist auch fast aus der Depression draußen", beschreibt sie.
Das durch die spezielle Software "PraCMan-Cockpit" strukturierte Monitoring hilft dabei, mehr über die Teilnehmer zu erfahren. Das gilt sogar für Patienten, die sowieso regelmäßig in die Praxis kommen und eigentlich finden, dass sie nichts Neues zu berichten haben. Manchmal stellt sich während des Telefonats doch heraus, dass kürzlich zum Beispiel ein Sturz passiert ist.
Nachgefragt
Von 2010 bis 2012 hat eine randomisierte kontrollierte Studie mit 2.076 Patienten in 115 Hausarztpraxen in Baden-Württemberg das von der Uniklinik Heidelberg entwickelte Hausarztpraxis-basierte Case Management evaluiert. Die Studie hatten AOK Baden-Württemberg und AOK-Bundesverband beauftragt. Die Ergebnisse wurden im Februar 2016 im Annals of Internal Medicine veröffentlicht. Wir haben nachgefragt bei Dr. Tobias Freund, Uniklinik Heidelberg.
Was sind die wichtigsten Studienerkenntnisse?
Freund: Die körperliche wie psychische Lebensqualität der Patienten hat sich signifikant verbessert. Das ist ein wichtiges und beeindruckendes Ergebnis, weil man bei multimorbiden Patienten eher erwarten würde, dass deren Lebensqualität tendenziell sinkt. Erfreulich auch, dass die Zahl der Klinikaufenthalte durch COPD in den ersten zwölf Monaten signifikant um 73 Prozent sank. In einer multivariaten Analyse – das bedeutet, hier wurden mehrere statistische Variablen gemeinsam untersucht – zeigte sich im ersten Interventionsjahr außerdem eine signifikant geringere Sterblichkeit in der Case-Management-Gruppe.
Verbesserte Lebensqualität: was heißt das konkret?
Freund: Die Patienten haben zum Beispiel weniger Verschlechterungen bezogen auf Schmerzen, Bewegung oder Depressivität.