Forum PolitikMeinung: Nur Hausärzte für Multitasking weitergebildet

Die Steuerung von Patienten ist derzeit ein heißes Eisen. Auch Fachärzte sollen diese urhausärztliche Aufgabe übernehmen, fordert die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Warum Patienten nicht gleich zum Spezialisten sollten, belegt Allgemeinmediziner Dr. Uwe Popert.

In Diskussionsforen und berufspolitischen Kreisen wird derzeit versteckt oder auch offen die Rolle der Hausärzte hinterfragt, etwa ob sie die einzigen Ärzte sind, die als "Lotsen" infrage kommen, oder Patienten nicht lieber direkt zum Gebietsarzt gehen sollten. Die im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte geplante Internet-Datenbank, könnte dann ja auch die bisher üblicherweise von Hausärzten geführte Patientenkartei übernehmen. Dies greift aber zu kurz: Da Datenbanken auch gepflegt, die Informationen überblickt und gewichtet werden müssen. Zudem fehlen leider schon heute oft Arztbriefe – da hilft auch keine Internet-Datenbank. Fraglich ist meines Erachtens, ob eine Datenbank unter deutschen Datenschutz-Bestimmungen überhaupt praktikabel wäre.

Darüber hinaus steht diesen simplen wie unzureichenden Argumenten einiges entgegen:

  • Patienten wollen mehrheitlich einen festen Ansprechpartner; Hausärzte genießen nicht zufällig seitens der Patienten das größte Vertrauen unter den Ärzten. Und die größte Zufriedenheit mit Gesundheitssystemen gibt es dort, wo eine gute und flächendeckende Primärversorgung etabliert ist.

  • Gebietsärztliche Leitlinien gelten nur in der Sekundärversorgung, da nicht nur die Rahmenbedingungen anders sind als in der Hausarztpraxis, sondern auch die Häufigkeitsverteilung der Erkrankungen, mit denen Patienten Gebietsfachärzte aufsuchen. Gehen Patienten also direkt zum Gebietsfacharzt, müsste sich dieser eigentlich entsprechend der hausärztlichen Leitlinien verhalten.

  • Es ist ein – von einigen Interessengruppen gerne genährter- Irrglaube, dass die hausärztliche Arbeit im Wesentlichen im Schreiben von Überweisungen besteht. Tatsächlich bearbeiten Hausärzte etwa 80 Prozent der Patientenanliegen abschließend, Überweisungen sind eher die Ausnahme.

  • Wenn Gebietsärzte sich in der Primärversorgung betätigen möchten, dann gehört dazu neben Hausbesuchen auch die Versorgung von Altenheimen, die Versorgung akuter Erkrankungen (am gleichen Tag!) und im ärztlichen Bereitschaftsdienst, die Beantwortung von Kassenanfragen und Kuranträgen, die Betreuung von chronisch Kranken und Multimorbiden, Prävention, Impfungen, Seelsorge usw.

  • Die meisten Patienten haben weit gefächerte Anliegen. Das kann aber nur der effektiv bearbeiten, der die Behandlung mehrerer Organsysteme beherrscht. Auch einige Internisten sind nur teilweise (30 bis 40 Prozent) für hausärztliche Beratungsanlässe ausgebildet.

  • Die in der Primärversorgung häufigsten anderen Fachbereiche verteilen sich wie folgt (in Prozent): Orthopädie (15), HNO und Infektionen der oberen Atemwege (11), Psychiatrie/Psychotherapie (8), Haut (5), Chirurgie (4), Urologie (1).

  • Die meisten Patienten haben mehrere Fragen gleichzeitig oder es sind mehrere Organsysteme betroffen. In der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit müssen Hausärzte diese meist parallel abarbeiten. Dieses Multitasking erfordert eine gute Allround-Ausbildung und viel Erfahrung. Dies kann kein Gebietsarzt leisten, denn selbst wenn er mal organübergreifende Diagnostik und Therapie gelernt haben sollte, In der gebietsärztlichen Weiterbildung wird das nicht unterrichtet, sondern im Gegenteil eher abtrainiert. Er müsste es also mühsam (wieder) lernen – deswegen dauert der Quereinstieg zur Allgemeinmedizin auch mehrere Jahre in der Praxis.

Was können also Allgemeinärzte, was Gebietsärzte nicht können?

Dazu gibt es längere Definitionen der DEGAM (s. Kasten S. 33) und der WONCA, die sich beispielsweise auf die Langzeitbetreuung ("erlebte Anamnese"), die Kenntnis des sozialen Umfeldes als Grundlage für ein bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis und die gute Erreichbarkeit inklusive Notfallversorgung beziehen. Allerdings sind das typische Qualifikationen einer selten gewordenen Spezies, des omnipräsenten generationsübergreifenden Familienarztes in einer Landpraxis. Im Zeitalter von Generationstrennung und höherer Mobilität von Arzt und Patient, von Arbeitsteilung durch organisierten ärztlichen Bereitschaftsdienst, von zunehmender Teilzeittätigkeit und Teamarbeit wandelt sich das Berufsbild. Vor diesem Hintergrund muss man fragen: Was bleibt als Charakteristika der Allgemeinmedizin?

Multitasking: besondere hausärztliche Kompetenz

Einige verbleibenden Punkte sind in der Regel bedingt durch eine gute Ausbildung im Primärversorgungsbereich: die Kenntnis und die Berücksichtigung dessen,

  • was häufig / selten ist ("Prävalenz im unausgelesenen Krankengut"),

  • was in den meisten Fällen hilft ("Primärversorgung"),

  • was sicherheitshalber bedacht werden muss ("abwendbar gefährliche Verläufe"),

  • welche weiteren Instanzen hilfreich sein können ("Lotsenfunktion"),

  • welche Diagnostik / Therapie übertrieben ist ("Quartärprävention").

Allerdings könnten einige Spezialisten in Deutschland einwenden, dass sie auch die eine oder andere Fertigkeit davon besitzen und anwenden. Gibt es tatsächlich allgemeinmedizinische Alleinstellungsmerkmale?

Im Schnitt 2,4 Beratungsanlässe

Multitasking: In einer Befragung von 49 deutschen Hausärztinnen und -ärzten gaben diese an, je Konsultation durchschnittlich 2,4 Beratungsanlässe und 2,2 Organsysteme parallel zu behandeln. Dabei seien körperliche Untersuchungen bei durchschnittlich zwei Beratungsanlässen oder von 2,2 Organsystemen erforderlich.

Dahinter steht: Hausärzte sind typischerweise in effektiver Diagnostik und Therapie aller Organsysteme ausgebildet und sogar in gleichzeitiger Anwendung geübt. Für eine ganzheitliche Herangehens- weise ist das auch erforderlich. Daher auch der Name Allgemeinmedizin oder das Schlagwort "Facharzt für den ganzen Menschen".

Das ist nicht so trivial wie es vielleicht scheinen mag: Auch wenn der eine oder andere deutsche Gebietsarzt primärmedizinisch versiert sein sollte – er ist weniger effektiv. Um die gleiche Menge an Beratungsanlässen wie bei einem Hausarzt zu bearbeiten, braucht es vermutlich zwei bis drei Gebietsärzte.

Fazit für die Praxis

In der Situation des spürbaren Ärztebedarfs ist es also erforderlich, den ärztlichen Nachwuchs vorrangig für die hausärztliche Versorgung zu gewinnen und gut auszubilden.

Aus der Definition der DEGAM [1]

… Der Arbeitsbereich der Allgemeinmedizin beinhaltet die Grundversorgung aller Patienten mit körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen in der Notfall-, Akut- und Langzeitversorgung sowie wesentliche Bereiche der Prävention und Rehabilitation. Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte sind darauf spezialisiert, als erste ärztliche Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen zu helfen.

Die Arbeitsweise der Allgemeinmedizin berücksichtigt somatische, psycho-soziale, soziokulturelle und ökologische Aspekte. Bei der Interpretation von Symptomen und Befunden ist es von besonderer Bedeutung, den Patienten, sein Krankheitskonzept, sein Umfeld und seine Geschichte zu würdigen (hermeneutisches Fallverständnis).

Die Arbeitsgrundlagen der Allgemeinmedizin sind eine auf Dauer angelegte Arzt-Patienten-Beziehung und die erlebte Anamnese, die auf einer breiten Zuständigkeit und Kontinuität in der Versorgung beruhen. Zu den Arbeitsgrundlagen gehört auch der Umgang mit den epidemiologischen Besonderheiten des unausgelesenen Patientenkollektivs mit den daraus folgenden speziellen Bedingungen der Entscheidungsfindung (abwartendes Offenhalten des Falles, Berücksichtigung abwendbar gefährlicher Verläufe) …

Literatur: 1. www.degam.de/fachdefinition.html

Interessenkonflikte: keine

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