Stuttgart. Während der Hausarzt in der Stadt oft nebenan wohnt, müssen Patienten auf dem Land mitunter einige Kilometer zurücklegen. Dieser Unterschied soll in Baden-Württemberg bald geringer werden – dank einem flexibleren Medizinstudium.
Mehr Studienplätze
Aus einer zehnseitigen Kabinettsvorlage geht hervor, was sich ändern soll. Demnach wird die Zahl der Studienplätze um 150 erhöht – im Studienjahr 2021/22 soll es somit 1.699 Plätze geben. Dabei werden die medizinischen Fakultäten in Tübingen, Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim jeweils 30 Studienanfängerplätze mehr anbieten.
Zumindest als Kompromiss mit dabei ist die “Landarztquote”: Laut Kabinettsvorlage werden 75 der neuen Plätze an Studenten vergeben, die Landarzt werden möchten und nach dem herkömmlichen Verfahren keinen Studienplatz erhalten haben. Diese müssen sich verpflichten, nach Abschluss ihres Studiums in einer von Ärztemangel betroffenen Region zu arbeiten.
Diese Quote war für die CDU eine Bedingung, um den Plänen von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zuzustimmen. Die Grünen-Ministerin ist weiterhin nicht begeistert von der Quote: “Es ist ein langsames und unsicheres Mittel. Wir brauchen aber etwas Schnelles und Wirksames”, sagt sie.
Neigungsprofil “Ländliche Hausarztmedizin”
Eingeführt wird außerdem das Neigungsprofil “Ländliche Hausarztmedizin”. Jeder Student der Humanmedizin kann sich im Laufe des Studiums dafür entscheiden. “Wir wollen den Studierenden das ganze Studium hindurch Angebote machen und ihn oder sie entscheiden lassen. So bekommen alle Medizinstudenten Zugang zu dem Thema”, erklärt Bauer.
Die Medizinstudenten können in jedem Semester spezielle Ausbildungsmodule wählen, die sie auf eine Karriere in der Primärversorgung vorbereiten sollen, heißt es in dem Papier. In den Kursen sollen sie auch mit regionalen Akteuren wie Hausärzten, Versorgungszentren, aber auch Bürgermeistern und Landräten in Kontakt kommen. Ziel sei es, die angehenden Ärzte früh für eine Region zu interessieren, so Bauer.
Denken in alten Hausarztmodellen ablegen
Sie hält es für wichtig, das Denken in alten Hausarztmodellen abzulegen. “Junge Menschen wollen Zeit verbringen direkt am Patienten, aber auch mit ihrer Familie. Sie wollen hingegen keine Zeit verlieren mit Unternehmensbürokratie und Softwareanpassungen.” Dafür brauche es neue Praxismodelle, etwa Gemeinschaftspraxen.
Junge Studenten müssten früh erfahren, dass der Beruf des Arztes in der Region durchaus mit Familie und mit geregelten Arbeitszeiten vereinbar sein könne. Dank digitaler Anbindung könnten sie auch an der Forschung dranbleiben. So bleibe der Kontakt zu Kollegen und Spezialisten in den Kliniken erhalten.
Netzwerk erforderlich
Das Netzwerks organisieren neue Institute an den Uni-Standorten, unter anderem das Freiburger Team von Andy Maun. “Die künftige Generation an Hausärzten ist weiblich, jung, hat Familie und möchte vor allem mit Patienten arbeiten und nicht mit der Verwaltung”, sagt auch er.
Die Beteiligten müssten nun an einen Tisch gebracht werden, es brauche ein Netzwerk und Kontakte zu Praxen, die einen Nachfolger suchten. Maun zeigt sich optimistisch: “Was das Interesse am Beruf angeht, haben wir die Talsohle durchlaufen.”
Gemäß Bauers Vorstellungen können die ersten Studenten im ersten Quartal des kommenden Jahres für das dann folgende Wintersemester ausgewählt werden. Billige das Kabinett den Entwurf, werde das Sozialministerium das entsprechende Gesetz entwerfen. “In zwei oder drei Jahren sehen wir dann frühestens, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen.”
Derzeit 616 Stellen unbesetzt
Die Landesregierung schätzt, dass etwa 665.000 Menschen in Baden-Württemberg keinen Hausarzt an ihrem Wohnort haben. Die Kassenärztliche Vereinigung geht davon aus, dass 616 Stellen für Hausärzte nicht besetzt sind (Stand 12. Februar). Zudem sind viele Hausärzte nicht mehr jung: Das Durchschnittsalter beträgt 56,1 Jahre (Stand 1. April), 37 Prozent sind 60 Jahre und älter.
Quelle: dpa/lsw